Hessing-Klinik

Spezialisierung und die Folgen

Verwundert haben die Augsburger zur Kenntnis nehmen müssen, dass in einer der renommiertesten Kliniken Deutschlands, der Hessing-Klinik, elf Mediziner das Haus verlassen. Ein Teil der Mediziner verlässt die Hessing-Klinik in Richtung Donauwörth, um dort ein Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie aufzubauen. Der andere Teil geht nach München oder arbeitet in einer Praxis weiter. Als Erklärung für diesen Aderlass wird die Umstrukturierung der Hessing-Kliniken genannt, die zunehmend auf Spezialisierung setzt.

In der Praxis sieht das folgendermaßen aus: der Patient wird wegen Problemen an der Wirbelsäule zum Spezialisten geschickt, klagt er aber dabei über Beschwerden im Beckenbereich, wird er an einen anderen Spezialisten verwiesen. So behandelt nicht mehr ein Mediziner den Patienten, sondern er wird von drei oder mehr Ärzten therapiert. Die Mediziner finden diese Behandlungsmethode unbefriedigend, da das eine starke Einschränkung ärztlicher Arbeit bedeutet. Dr. Oliver Lemcke : „Ich möchte den Patienten nicht nur am Fuß oder nicht nur am Knie behandeln dürfen.“ (AZ v. 24.5.14)

Hintergrund dieser Umstrukturierung ist die Veränderung der Krankenhausfinanzierung, die von SPD und Grünen vor elf Jahren eingeführt wurde. Patienten sind in diesem System Wirtschaftsfaktoren und Krankenhäuser sind marktwirtschaftlich denkende Unternehmen geworden. 2003 hat man die Krankenhausfinanzierung umgestellt und zwar auf eine leistungsorientierte Vergütung. Das sieht dann folgendermaßen aus: Die Krankenkassen zahlen den Krankenhäusern nur noch Pauschalen (Fallpauschalensystem), die dem üblichen Aufwand für eine Behandlung entsprechen. Für Hunderte Krankheitsbilder ist darin geregelt, wie lange ein Patient im Krankenhaus bleiben sollte und wie viel Geld die Klinik für ihn bekommt. Doch wenn die Behandlung deutlich länger dauert und dadurch immer teurer wird, dann bekommt die Klinik finanzielle Probleme. Zwar gibt es Zuschläge für „atypische Extremkostenfälle“, aber diese sind sehr niedrig angesetzt.
Wie viel Krankenhäuser im Gegenzug daran verdienen, dass Patienten früher nach Hause können, die Fallpauschalen also nicht ausgeschöpft werden, ist nicht bekannt.
„Sie kennen alle den Begriff der ‚blutigen Entlassung‘, der zwar immer wieder bestritten wird. Aber als niedergelassener Chirurg kann ich Ihnen sagen, dass das inzwischen Teil meines normalen Arbeitsalltags ist“, berichtete der Frankfurter Mediziner Bernd Hontschik kürzlich auf dem Chirurgentag in Nürnberg.

Ein anderer Fall ist eine Patientin am Tübinger Klinikum, die an der Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose litt. Für diese Krankheit sieht die Fallpauschale eine Verweildauer von zehn Tagen vor. Aber dem Mädchen ging es so schlecht, dass es 250 Tage lang isoliert in seinem Krankenhauszimmer auf eine Lungentransplantation warten musste. Dafür hat die Klinik eine Fallpauschale von 124.000 Euro bekommen. Gekostet habe die Behandlung 180.000 Euro. Und weil das Kind isoliert in einem Zimmer liegen musste, konnte das zweite Bett die ganzen Monate über nicht belegt werden. Das hat noch einmal mit 50.000 Euro zu Buche geschlagen. Für die Klinik ein herber finanzieller Schlag. Das ruft den Geschäftsführer der Klinik auf den Plan, der ein Sparprogramm fordert. Andere geschäftsführende Direktoren halten die Chef- und Oberärzte dazu an Behandlungen zu unterlassen, die den Erfolg der Klinik gefährden. Dagegen sollen sie rentable Eingriffe vermehrt durchführen.

Die Hessing-Kliniken sehen den Königsweg in der Spezialisierung. Ein Spezialist – so die Hoffnung – wird die vorgegebene Fallpauschale einhalten und somit bekommt das Krankenhaus die festgelegte Vergütung ohne Abschläge. Das in der Vergangenheit mühsam erworbene Vertrauen des Patienten, dass ein Eingriff zur Vorbeugung oder Therapie aus seinem besten medizinischen Interesse und nicht aus kommerziellen Erwägungen vorgenommen wird, geht im Gesundheitsmarkt zunehmend verloren.

Gerhard Gerke, 05.06.2014

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