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Nach dem Bürgerentscheid zur Stadtwerke-FusionWer hat was verloren und was gewonnen?So überraschend und eindeutig wie der Bürgerentscheid vom 12. Juli ist in Augsburg wohl noch keine Entscheidung ausgefallen. Bei einer Beteiligung von fast 22 Prozent stimmten gut 73 Prozent für das Bürgerbegehren und damit gegen die Fusion der kommunalen Energie- und Netzsparte mit der Thüga-Tochter Erdgas Schwaben.Und dennoch geht der Kampf weiter. Denn für Sieger und Verlierer ist die Frage gleichermaßen wichtig, wie sie das Ergebnis, seine Ursachen und Folgen interpretieren sollen. Und vor allem: Welche Schlussfolgerungen sollen sie aus dem Bürgerentscheid zu ziehen? Mit der Niederlage des Ratsbegehrens und dem Sieg des Bürgerbegehrens bekam OB Kurt Gribl eine zweifache Niederlage: Nicht nur sein wirtschaftspolitisches Ziel hat er verfehlt, sondern auch seine Strategie ist trotz Einsatzes enormer Ressourcen krachend gescheitert. Die Augsburger_innen erwarten offensichtlich von ihren Stadtwerken kommunale Daseinsvorsorge und keine Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen der Thüga-Holding bei einem äußerst dynamischen Strommarkt, der auch Energie-Riesen wie RWE, Eon, EnBW und Vattenfall zum Wanken bringt. Die Gegner der Fusion konnten darauf hinweisen, dass vor 2013 in den wichtigsten Dokumenten zur kommunalen Energiepolitik eine dezentrale und ökologische Energieversorgung gefordert wurde. Aber den Fusionsgegnern warf OB Kurt Gribl im Wahlkampf für das Ratsbegehren vor, dass ihr Konzept der dezentralen Energiewende die Zukunft der Stadtwerke gefährde. Bei der Entscheidung der Bürger*innen gegen die Fusion mag auch ein konservatives Moment eine Rolle gespielt haben: „Keine Experimente“ mit unseren Stadtwerken! Die Skepsis der Augsburger_innen wurde noch befeuert durch OB Kurt Gribls scheinbar hocheffiziente Politikmaschine. Im Kommunalwahlkampf 2014 erreichte Kurt Gribl gleich im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit und schmiedete sofort nach der Wahl nicht nur eine Große Koalition mit der SPD, sondern zusätzlich ein Bündnis mit den Grünen. Mit einer stolzen Mehrheit von über 70 Prozent im Stadtrat (CSU 23, SPD 13, Grüne 7 Stadträt_innen von insgesamt 60) konnte der Oberbürgermeister die Entscheidung für die Fusion leicht durchwinken. Augsburg dürfte die einzige Großstadt sein, in der ein vergleichbares Dreierbündnis aus CSU, SPD und Grünen mit einer so starken Mehrheit regiert. Und dass der Grünen-Politiker Reiner Erben das Amt des Umweltreferenten bekam, sollte unausgesprochen auch den Nebeneffekt haben, dass die Augsburger Grünen dann nicht mit der Bürgerinitiative gegen die Fusion paktieren können. Ziemlich tricky, aber die Rechnung ging bekanntlich nicht auf. OB Kurt Gribl arbeitete mit einer Politik der vollendeten Tatsachen: Monate vor dem Votum der Stadträte wurde im Sommer 2014 mit K.-P. Dietmayer die Fusion personell vorweg genommen: Der Geschäftsführer von Erdgas Schwaben wurde zugleich Geschäftsführer der Stadtwerke. An die lauthals versprochene „ergebnisoffene“ Prüfung der Fusion konnten unter diesen Bedingungen auch Wohlmeinende nicht mehr glauben, zumal mit dem Jahresbeginn 2015 die Stadtwerke eine teure Werbeoffensive für die Fusion starteten – bezahlt mit den Gebühren der Verbraucher! Vollends unglaubwürdig wurde die Kampagne, als auch noch Betriebsräte und Mitarbeiter der Stadtwerke für Lobbyarbeit geworben wurden. Die Augsburger Allgemeine formulierte wieder einmal für die Stadtregierung den Kurs, wie mit dieser Niederlage umzugehen und wie der Schaden zu begrenzen ist. Michael Hörmann von der Lokalredaktion versuchte in der AZ (AZ 18. Juli) von der Rolle der Stadtratsfraktionen und vom Versagen der gesamten Politikmaschine abzulenken. Er personalisierte die Niederlage mit der Schlagzeile „Niederlage tut Gribl weh, der Regierung weniger.“ Und Kurt Gribl räumte unumwunden ein, dass die gescheiterte Fusion die heftigste Niederlage seiner bisherigen Amtszeit sei. Die Lokalredaktion der Augsburger Allgemeinen einigte sich auf die Formel: das Ziel war richtig, aber die Kampagne war falsch:
Natürlich kommt Michael Hörmann nicht daran vorbei, „auch die Regierungskoalition von CSU und SPD“ zu den Verlierern zu rechnen, aber es ist wohl taktisch klüger, wenn die veröffentlichte Meinung die Niederlage der Person Gribl anlastet. Dank der Mehrheit von fast 52 Prozent im ersten Wahlgang bei der Oberbürgermeisterwahl im März 2014 kann die Person Gribl die Verantwortung für die Niederlage leichter auf sich nehmen als die notorisch zerstrittene CSU und die politisch schwindsüchtige SPD. Und dann kommt auch noch der unerhörte Satz Hörmanns, den Fusionsgegner als völlig absurd empfinden müssen: „Die Grünen sind als Partei der große Verlierer.“ Wie das? Die Grünen haben doch auch erheblich zum überwältigenden Erfolg des Bürgerbegehrens gegen die Fusion beigetragen! Und da sollen sie „als Partei der große Verlierer“ sein? Diese These ergibt nur dann Sinn, wenn man die Partei als Transmissionsriemen betrachtet, der die Politik der Verwaltung von oben über die Fraktionen auf die Wähler da unten überträgt. In diesem technokratischen Sinn haben die Augsburger Grünen tatsächlich versagt. Denn sie hatten lange Zeit die von Michael Hörmann beklagte „höchst diffuse Position“. Erst am 18. März entschied sich die Mitgliederversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit gegen die Fusion und für den Bürgerentscheid. Der Riss ging auch durch die Stadtratsfraktion der Grünen.Vier Stadträte waren dafür und drei Stadträte waren gegen die Fusion – der Transmissionsriemen war endgültig gerissen! Nimmt man die im Grundgesetz verankerte Parteiendemokratie aber ernst, dann gehören Augsburgs Grüne zum großen Sieger neben der Bürgerinitiative, auch wenn die Partei für den Erfolg einen sehr hohen Preis zahlen musste. Denn in Artikel 21 GG steht: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Es ist nicht die Rede von der Willensbildung der Bürokratie, sondern von der des Volkes. Von unten nach oben soll die Willensbildung erfolgen und nicht umgekehrt, wie das nicht nur in Augsburg längst üblich ist. Wider alle Erwartung hat der Streit um die Fusion der Stadtwerke nicht nur bei den Grünen basisdemokratische Impulse geweckt. Auch in der Augsburger SPD gab es Widerstand gegen die Politik der Stadtratsfraktion, die als Juniorpartner der CSU geschlossen für die Fusion focht. Frank Mardaus vom SPD-Ortsverein Ulrich konnte zwar noch zwei weitere Ortsvereine für den Bürgerentscheid gegen die Fusion gewinnen (Herrenbach und Hochfeld), aber die überwältigende Mehrheit folgte ihrer Stadtratsfraktion. Der wichtigste Beitrag der SPD Ulrich für den Kampf gegen die Fusion ist vor allem die Expertise, die der Ortsverein den Fusionsgegnern im Juni 2015 zur Verfügung gestellt hat. Sicher hat nur eine Minderheit die Studie des Augsburger Diplom-Volkswirts Dr. Hans-Helmut Bünning gelesen, aber kein Bürgerentscheid kann erfolgreich sein, wenn sich die Info-Elite nicht mit guten Sachargumenten überzeugen lässt. Und zur Info-Elite zählen alle, die es genauer wissen wollen und sich nicht mit politischer Werbung abspeisen lassen. Es ist also keineswegs so, wie die Bürgerinitiative gegen die Fusion in ihrer „Pressemitteilung nach gewonnenem Entscheid“ behauptet, nämlich dass „die politischen Parteien auf der ganzen Linie versagt haben.“ Das Pauschalurteil der Bürgerinitiative, die Parteien seien „nicht mehr in der Lage, den Willen und die Stimmung der Bürger zu repräsentieren“, ist nachweislich falsch und ein Affront gegen die Augsburger Grünen, gegen linke Sozialdemokraten und gegen die Parteien, die sich im Stadtrat zur Ausschussgemeinschaft zusammengeschlossen und die Bürgerinitiative unterstützt haben. Unbestritten ist, dass in Augsburg attac und die von ihr initiierte Bürgerinitiative die größten Verdienste an dem Erfolg haben. Unbestritten ist aber auch, dass nicht sie allein, sondern sie im Netzwerk mit Parteien und unabhängigen digitalen Medien gekämpft haben. Generelle Ressentiments gegen Parteien schwächen nur weiter die ohnehin schon schwache kommunale Demokratie. Die geforderten „Formen der direkten Demokratie“ können auf absehbare Zeit die Parteiendemokratie nur ergänzen, aber nicht ersetzen. Die Forderung der Bürgerinitiative nach einem Energierat, der „direkte Mitspracherechte bei allen Fragen der Energieversorgung hat“, ist zukunftsweisend. Aber die praktische Umsetzung wirft zahlreiche Fragen auf. Soll man sich unter den „fachkundigen Bürgern“ des Energierats ein Expertengremium vorstellen? Wohl eher nicht, denn das führte von der direkten Demokratie weg in die Expertenherrschaft. Und dann: Wie soll der Energierat gewählt werden? Von wem? Nach welchem Modus? Wer darf die Kandidaten aufstellen? Welche Amtszeit soll gelten? Und vor allem: Was heißt „direkte Mitsprache“? Soll der Energierat mit dem Verwaltungsrat der Stadtwerke konkurrieren oder ihn ergänzen oder gar ersetzen? All das sind Fragen, die nicht allein in der Bürgerinitiative, sondern auch in der kritischen Öffentlichkeit, in den Parteien und in Gewerkschaftsgruppen und Betriebsräten der Stadtwerke diskutiert werden sollten. Hoffentlich machen attac und die Bürgerinitiative hier praktikable Vorschläge und fordern als Sieger der Auseinandersetzung nicht nur Demut von den Verlierern. Denn mit ihren Rücktrittsforderungen verhalten sie sich selbst ganz und gar ohne Demut – wie eine Partei, die nach dem Wahlsieg ihren Machtanspruch formuliert. Wolfgang Walter, 31.7.2015
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