Veranstaltung zum Thema „Luthers Wirtschaftsethik“: „Den Fuckern ein Zaum ins Maul legen“ mit Hans-Jürgen Prien

Verpaßte Chance

von Peter Rapke

zur Druckversion  

Der Reformationsfeiertag und das -feierjahr sind vorbei. Wir wollen anhand von Besprechungen einer Veranstaltung und eines Buches ein ganz kurzes, kritisches Resumée des Jubiläums versuchen. Im ersten Artikel geht es um eine Veranstaltung von attac zu Luthers Wirtschaftsethik, im zweiten Artikel geht es um ein Buch von Ulrich Duchrow zu Luthers „Kapitalismuskritik“. Die Tendenz, Luther als „Systemüberwinder“, als Anwalt des „gemeinen Mannes“, als Revolutionär und Kapitalismuskritiker, gar Antikapitalisten darzustellen, hat in linksliberalen Kreisen Konjunktur. Wie berechtigt das ist, soll hier kritisch gewürdigt werden. Unter dem Gesichtspunkt eines Bündnisses aller kapitalismuskritischen Kräfte in der Gesellschaft sind die Veranstaltung sowie die dazugehörigen Bücher sicher zu begrüßen. Wie weit allerdings die Luther‘schen Konzepte tragen, ist eine ganz andere Frage. Genauso wie die Frage ob das, was in die hier behandelten Luther‘schen Schriften hineininterpretiert wird, auch drin ist. Meine Befürchtung, dass es sich in mancherlei Hinsicht eher um eine Ableitung sozialdemokratischer Positionen handelt, ist nicht gering.

Ende September gab es eine Veranstaltung aus Anlass des Reformationsjubiläums im Annahof. Veranstaltet von attac, der Volkshochschule, Forum fließendes Geld und Augustana-Forum, zum Thema „Luthers Wirtschaftsethik“: „Den Fuckern ein Zaum ins Maul legen“. Hans-Jürgen Prien stellte sein Buch mit dem Titel „Luthers Wirtschaftsethik“ vor. Das Buch erschien 1992, was kein Nachteil sein muss. Es hätte sich angeboten, einen kritischen Blick auf Luther und die Reformation zu werfen sowie die Bedeutung von Luthers Haltung in Wirtschaftsdingen kritisch zu beleuchten. Die Veranstaltung hätte sich von dem Einerlei der Lobhudelei über die Reformation und Luther abheben können. Aktuelle Brisanz hätte Luthers „Wirtschaftsethik“ ohnehin gehabt. Im Jahr 2017 ist eigentlich das Thema „Geld- und Zinskritik“ – Priens Buch sowie der Vortrag handelten weitgehend davon – hoch aktuell. So kam immerhin ein wohlwollender Artikel in der Augsburger Allgemeinen heraus. Vielleicht war das ja die Absicht.

Über die Darstellung von Luthers Zinskritik ging der Vortrag aber nicht hinaus. Prien hat in seinem Buch die Darstellung und Beurteilung des untersuchten Gegenstandes sehr viel detaillierter und informativer herausgearbeitet. Vieles, auch Wichtiges, war im Referat nicht unterzubringen. Man hatte den Eindruck, dass die Veranstalter kein kritisches oder relativierendes Wort über Luther hören wollten.

Der Reihe nach: Luthers Kritik am Zins und Wucher sind in seinen wirtschaftsethischen oder -theoretischen Schriften enthalten. Eine eigentliche „Wirtschaftsethik“ habe Luther nicht verfasst, man könne sie aber aus den erwähnten Schriften ableiten, so Prien.

Abbildung 1

Luthers Wirtschaftsethik besteht darin, den Wucher, also zu hohe Zinsen, zu verwerfen. Den Kredit und Zins zwar grundsätzlich zu akzeptieren, ihn aber negativ zu sehen. Die Monopolbildung im Handel wird kritisiert. Den Gläubiger, den Geldverleiher, mit in die Verantwortung zu nehmen, wenn ein Geschäft oder Projekt aus unkalkulierbaren Gründen falliert und der Schuldner aus nicht von ihm verschuldeten Gründen nicht zurückzahlen kann –, war Luthers Absicht. Das alles hat Luther gegenüber der Obrigkeit vertreten, die Prediger veranlasst, gegen den Zins und Wucher zu predigen. Er hat auf verschiedenen Reichstagen versucht, in dieser Sache Gehör zu erhalten, und hat – wie gesagt – eine ganze Reihe von Schriften dazu verfasst.

Das alles klingt nicht schlecht, sogar gerecht. Und Gerechtigkeit und Billigkeit sind ganz Luthers moralisches und theologisches Terrain. Bei manch einem Zuhörer haben die Ohren geklingelt, als es hieß, den Gläubiger mit in die wirtschaftliche Verantwortung zu ziehen und gegen die Monopolbildung vorzugehen. Ganz aktuell.

Waren Luthers Vorschläge wirklich moralisch so einwandfrei, wie man es aus dem neutral formulierten Text herauslesen kann? Die protestantische Geschichtsschreibung hat in über 500 Jahren ein Bild Luthers und seiner Wirtschaftsethik gezeichnet, das nicht der Realität entsprach und nicht entspricht. Luther wird dargestellt als Kirchenmann, als Theologe und Theoretiker, der auf der Seite des gemeinen Mannes stand und sich für ihn einsetzte. Konkret: Luther wollte die armen Bauern und den gemeinen Mann schützen vor unmoralischen Kreditgeschäften und ungerechtfertigtem Wucher. Dafür wurden im Referat und Buch Priens Zinssätze von 40 Prozent und mehr erwähnt. Und davor musste der Bauer geschützt werden: „das arm gemeyn volk heimlich auß gesogen und schwerlich unter drugckt“ (Luther). Natürlich gab es solchen Zinswucher und natürlich war auch der Bauer davon betroffen.

Abbildung 2

Es ging aber weder Luther noch den damals an diesen Geschäften Beteiligten in erster Linie um den Bauern. Das Kreditgeschäft mit dem gemeinen Mann war für die „Fucker“, also die Fugger etc., die Geldverleiher, um 1500 von keiner so großen Bedeutung. Die großen Kreditnehmer waren Päpste, Kaiser, Fürsten, Patrizier, Verwaltungsbeamte und das aufstrebende Bürgertum. Und was wurde finanziert? Luxuswaren, Handelsabenteuer und Krieg!!

Karl Georg Zinn, der kritische Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, hat 1989 ein Buch mit dem Titel „Kanonen und Pest“ herausgegeben. Darin heißt es: „Weder Judenschuldner noch Christenschuldner waren arme Leute, sondern verfügten über gute Einkommen und Besitz.“ „Für produktive Investitionen, z.B. für Meliorationen, sind wohl die wenigsten Kredite verwandt worden.“ Das war nicht in jeder Region gleich und nicht zu jedem Zeitpunkt des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit. Zinn legt nahe, dass dies aber im Durchschnitt so war.

Vor diesem Hintergrund bekommt Luthers Zins- und Wucherkritik einen völlig neuen Sinn. Dann wären die Bauern zwar durch Zinsentlastung geschützt gewesen, aber diejenigen, die am Kreditgeschäft überwiegend beteiligt waren, hätten von einer Zinskritik am meisten profitiert: also die „oberkait“. Ein weiterer Punkt in Priens Buch bekommt vor diesem Hintergrund ebenfalls einen neuen Sinn: Luthers Auseinandersetzung mit dem Prediger J. Strauß in Eisenach. Strauß hatte im Gegensatz zu Luther gefordert, auch den am Zinsgeschäft beteiligten Schuldner theologisch zu verurteilen. Luther intervenierte zur Entlastung des Schuldners, was Erfolg hatte.

Abbildung 3

Zwei Punkte sind weder im Vortrag noch im Buch Priens enthalten, was nicht nur ärgerlich ist, sondern im Zusammenhang mit der Zins- und Wucherkritik Luthers ausgesprochen missverständlich.

1. Die Haltung Luthers zu den Juden. Prien argumentiert im Buch kurz und bündig: Luthers „Judenschrift“ wäre viele Jahre nach seinen zinskritischen Schriften erschienen, beide hätten miteinander nichts zu tun. Luther hat sich aber schon in jungen Jahren zu den Juden geäußert und auch zu etwa der Zeit, als seine zinskritischen Schriften erschienen. Alle seine Äußerungen zu den Juden sind mit keiner menschenwürdigen Haltung vereinbar, weil sie selbst da, wo sie „positiv“ formuliert waren, in ihrer Absicht ideologisch vorteilheischend motiviert waren. Der abgebildete Titel von Luthers Schrift „Ein Sermon von dem Wucher“ lässt eigentlich keinen Zweifel übrig, dass er 1520 die Verbindung von Wucher und Jude gezogen hat.

2. Kriegsfinanzierung und Zins. K. G. Zinn sagt in seinem Buch, dass es seit dem hohen Mittelalter, seit der Erfindung des Schwarzpulvers um 1350, bis ins 17., 18. Jahrhundert keine Epoche gab, die dermaßen viele Kriege gesehen hatte. Das musste finanziert werden. Selbst die Söldnerheere gegen die Bauernhaufen mussten das. Und das konnte nicht aus dem Säckel der Fürsten bezahlt werden, sondern hierfür wurden zunehmend in unvorstellbarem Ausmaß Kredite nötig. Es wurde Zins bezahlt und zwar nicht zu knapp. 100.000 tote Bauern auf den Schlachtfeldern des Bauernkrieges haben Luther zumindest keine schlaflosen Nächte bereitet. Die Zinsen, die hierfür anfielen aber schon. Es wäre halt um so vieles billiger gewesen.

Die Chance, sich kritisch mit Luther und seinen wirtschaftsethischen Schriften auseinanderzusetzen, ist verpaßt worden. Die Veranstaltung hat sich prächtig und wohlwollend in die „Luthermania“ eingeordnet.

Peter Rapke, 14. Dezember 2017

zur Druckversion  

 

Literaturhinweis: Hans-Jürgen Prien. Luthers Wirtschaftsethik / Prien, Hans-Jürgen. Digi20 | Band |. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992. http://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00040769_00001.html.

Abbildungen:

Abb. 1: „Luther, Martin: Eyn Sermon von dem wucher, Augspurg, 1520 [VD16 L 6441], Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ Quelle: Digitale Bibliothek - Münchener Digitalisierungszentrum“. MDZ, 1520. http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0001/bsb00019807/images/index.html?seite=00001&l=de.

Abb. 2: Martin Luther. „Ein sermon von dem wucher Doctoris Martini Luther Augustiner zu Wittenbergk, Original: Regensburg, Staatliche Bibliothek, Signatur 999/4Theol.syst.758(139, Seite 2, MDZ-Reader | Band | BSP Bayerische StaatsBibliothek digital, MDZ Münchner Digitalisierungszentrum Digitale Bibliothek, Permalink: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb11071963-4“. Reader digitale Sammlungen BSB MDZ, 1520. http://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb11071963.html.

Abb. 3: „Luther, Martin: Eyn Sermon von dem wucher, Leiptzk, 1519 [VD16 L 6436]], Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ Quelle: Digitale Bibliothek - Münchener Digitalisierungszentrum“. MDZ, 1519. http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0002/bsb00024069/images/index.html?seite=00001&l=de.


   
nach oben