Prozeß gegen Flüchtling vor dem Amtsgericht Augsburg wegen Landfriedensbruchs

Gerechtigkeit für Sam D.!


15.5.2019

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Am 6.5.2019 fand vor dem Amtsgericht Augsburg der Strafprozess gegen den gambischen Flüchtling Sam D. statt. Ihm wird Landfriedensbruch zur Last gelegt. Gegen eine Geldstrafe von € 800.– hatte er Widerspruch eingelegt. Gerade einmal 23 Besucher*innen konnte der ausgewählte Gerichtssaal aufnehmen, den diese nach zweimaliger intensiver Kontrolle betreten durften. Einige mussten aus „Platzmangel“ schon nach einmaliger Kontrolle wieder gehen.

Vor solchen Alternativlosigkeiten in einem modernen, deutschen Gerichtsgebäude muss das öffentliche Interesse offenbar leider zurücktreten!

Dubiose Grundlage für die Anklage

Am frühen Morgen des 14.3.2018 gegen 03:00 Uhr hatten Polizeibeamte versucht, im Ankerzentrum Donauwörth einen gambischen Flüchtling zur Abschiebung abzuholen. Sie trafen ihn aber nicht in seinem Zimmer an. Dies sorgte für zunehmende Unruhe unter den Bewohnern, die sich nach Aussage eines Polizisten bald zu einer Gruppe von 50 bis 60 Personen versammelt hatten. Sie machten ihrem Unmut über dieses Vorgehen und die beabsichtigte Abschiebung auch verbal Luft.

Dabei sollen Äußerungen wie „fuck the police“ oder „I will kill you“ gefallen sein. Zuzuordnen sind sie bisher allerdings niemandem, auch wenn der Staatsanwalt sich durch Zeugenbefragung redlich darum bemühte.



David Jassey von der Gambischen Community Donauwörth berichtet nochmals von den Vorkommnissen des 14.3.2018 im Ankerzentrum Donauwörth

Sam D. bestreitet nach wie vor, sich überhaupt in dieser Gruppe befunden zu haben. Zu dieser Zeit sei er mit den anderen drei Mitbewohnern im gemeinsamen Zimmer gewesen, was einer davon, der als Zeuge geladen war, auch bestätigten konnte. Im obersten Stockwerk des Gebäudes gelegen, seien sie zwar durch einen ausgelösten Feueralarm geweckt worden und hätten beim Blick aus ihrem Fenster herumlaufende Menschen gesehen, aber von weiteren Vorkommnissen nichts mitbekommen und ihr Zimmer nicht verlassen.

Der erste Zeuge war zum damaligen Zeitpunkt als einer von mehreren Mitarbeitern der Malteser im Lager beschäftigt. Die Situation an diesem Morgen hatte er zunächst als erregt aber nicht besonders bedrohlich empfunden, was wohl daran liegt, dass der Lageraufenthalt von rund 500 Menschen generell dazu geeignet ist, öfter solche Situationen zu erzeugen. Doch habe die Gruppe aus irgendeinem Grund geglaubt, die Polizei sei von den Maltesern gerufen worden. In einem Gang fühlte er sich deshalb von ca. 12 Flüchtlingen dann doch so bedrängt, dass er sich in einem nahe gelegenen Büro einschloss. Dort sei dann gegen die geschlossene Tür geschlagen worden.

Dem Geschehen Personen zuzuordnen, sei ihm angesichts der „Geschwindigkeit“ der Justiz nach einem Jahr nicht möglich. Einige Personen der beschuldigten Gruppe habe er bereits 2018 nach der Bildvorlage durch die Polizei identifiziert.



Der zweite Zeuge arbeitete damals als Sicherheitsmann im Lager. Er hatte am fraglichen Morgen Nachtschicht gehabt. Ihm waren später ebenfalls Bilder vorgelegt worden, die die Polizei bei der „erkennungsdienstlichen Behandlung“ nach einer Großrazzia am Nachmittag des 14.03.2018 gemacht hatte. Damals hatte er einige Personen aus der Gruppe identifiziert. Sam D. war nicht darunter gewesen. Und auch jetzt konnte er dessen Teilnahme nicht bestätigen.

Der dritte Zeuge war einer der Polizisten, die an jenem Morgen versucht hatten, den abzuschiebenden Flüchtling abzuholen. Er beschrieb, dass sie sich bald zwei wild gestikulierenden und erregt sprechenden Gruppen von ca. je 30 Personen gegenüber sahen. Auf Frage des Staatsanwalts erklärte er, diese hätten zu ihnen einen Abstand von ca. 50 cm gehabt. Dabei sei es zu keinerlei körperlichem Kontakt gekommen, was seiner Meinung nach auch höchst gefährlich gewesen wäre. Er habe sich dennoch sehr bedroht gefühlt. Identifizieren könne er allerdings niemanden. Er habe sich vielen schwarzen Gesichtern mit weißen Augen gegenüber gesehen, die sich für ihn hauptsächlich durch die Körpergröße unterschieden hätten. Auf Nachfrage durch den Verteidiger hatte es auch keine anderen auffälligen Merkmale gegeben, wie z.B. besondere Kleidung oder Kopfbedeckungen, die ihm aufgefallen wären.

Der vierte Zeuge, ebenfalls Polizist, war mit der Ermittlung der Verdächtigen befasst. Auf Nachfrage der Richterin und des Verteidigers erläuterte er, wie die Bilder zur Zeugenbefragung erstellt und vorgelegt worden waren. Dabei waren bei der erkennungsdienstlichen Behandlung von rund 30 festgenommenen Flüchtlingen bei der Nachmittagsrazzia Einzelbilder gemacht worden. Diese waren den Zeugen zur Auswahl vorgelegt worden.



Dieses Vorgehen wurde vom Verteidiger mit Verweis auf ein Urteile des Bundesgerichtshofs scharf attackiert. Der fordert bei einer Zeugenbefragung zur Identifizierung von Beschuldigten zwingend die sog. Wahllichtbildvorlage. Dabei werden Zeugen neben dem Bild des Verdächtigten insgesamt mindestens sieben weitere Bilder vorgelegt, wobei sich auf diesen nicht beschuldigte Personen befinden. Dies hat für jeden Beschuldigten einzeln zu erfolgen.

Das sei in der kurzen Zeit nicht leistbar gewesen, erklärte der Zeuge lapidar aber anscheinend wohl wissend, dass Zeitdruck keine verlässliche Entschuldigung für den Verzicht auf Rechtsstaatlichkeit sein dürfte.

Ein weiterer Polizist, der als Zeuge geladen worden war, war nicht erschienen. Er befinde sich im Urlaub, gab die Vorsitzende – anscheinend selbst überrascht – bekannt. Eine weitere Zeugin, vermutlich wichtig für den Staatsanwalt, fehlte ebenfalls – offenbar unentschuldigt.

Prozeßverschiebung

Deshalb herrschte zunächst etwas Ratlosigkeit, wie das Gericht angesichts der bisherigen „Beweis“lage zu einem Spruch kommen sollte.

Ein damaliger Mitbewohner von Sam D. wurde inzwischen nach Italien abgeschoben. Ihn hielt die Verteidigung für einen wichtigen Zeugen und forderte den Staatsanwalt auf, sich um dessen Einbestellung zu bemühen. Er müsse doch auch ein Interesse an einer gründlichen Aufklärung haben. Der Staatsanwalt willigte ein und fragte Sam D., ob er Kenntnis über den Aufenthaltsort dieses Zeugen in Italien habe. Als dieser verneinte, verließ eine Prozessbesucherin wütend den Saal und rief: „Sie müssen doch wissen, wo er ist. Sie haben ihn doch abgeschoben!“

Die Vorsitzende beschloss daraufhin, den Prozess zu unterbrechen und sich um die Ladung dieses Zeugen zu bemühen. Der Fortführungstermin werde bekanntgegeben.

Artur Hoch, 15.5.2019

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Rede einer Aktivistin von Justizwatch Berlin, bei der Kundgebung am 6.5.2019 vor dem Amtsgericht Augsburg

Hello everyone. Special greetings to the members of the Gambian community who are present today, and also all the activists and people who came to support Sam today.



Wir sind heute hier, um Solidarität mit Sam zu zeigen und die Arbeit des Amtsgerichts Augsburg genau zu beobachten. Vermutlich wird das Gericht heute wieder versuchen, die Kriminalisierung der Opfer des brutalen Polizeieinsatzes und die Legitimierung des polizeilichen Handelns weiter voranzutreiben. Die Beweislage gegen Sam wegen Landfriedensbruchs ist äußerst spekulativ. Das Gericht hat aber bislang kein großes Interesse an einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren gezeigt. Das wurde letztens am 7. November 2018 klar, als zwei andere Geflüchtete aus Donauwörth ihre Strafbefehle wegen Landfriedenbruchs anfochten. Schon musste das Gericht anerkennen, dass es entgegen der Vorwürfe der Staatsanwaltschaft und Polizei keinen gewalttätigen Widerstand der Bewohner gegen den Abschiebeversuch in der Nacht vom 14. März 2018 gab. Trotz der unzuverlässigen und tendeziösen Identifizierung von „Tätern“ und der Tatsache, dass Zeugen den Angeklagten keine konkrete Handlungen oder Äußerungen zuordnen konnten, entschied das Gericht, ihre Strafen aufrechtzuerhalten. Wir möchten heute nicht wieder solche politisch motivierte „Gerechtigkeit“ sehen. Denn genau die politische Tendenz der Prozesse zeigt sich auch vor den Gerichten nach den zahlreichen Polizeieinsätzen von 2018 in bayerischen und baden-württembergischen Erstaufnahmezentren. Die Polizeieinsätze in den Flüchtlingslagern in Ellwangen, Stephansposching, Donauwörth, Donaueschingen und anderen Orten verfolgten das Ziel einer massiven Einschüchterung und Verunsicherung der Bewohner*innen. Insbesondere sollen afrikanische Asylsuchende als "Kriminelle" vorgeführt werden, um Abschiebungen besser legitimieren zu können.

Dieses Jahr soll die Kriminalisierung auch auf Unterstützer*innen und die Zivilgesellschaft ausgedehnt werden. Mit dem bereits im Bundeskabinett beschlossenen „Geordnete- Rückkehr-Gesetz“ ist auch ein Masseninhaftierungs- und Verarmungsprogramm für „unerwünschte“ Geflüchtete geplant.

Schluss mit der politisch motivierten Kriminalisierung von Geflüchteten in Bayern und anderen Teilen Deutschlands!








   
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