Radio, Buch und Internet

Hörenswert, lesenswert

Tipps für interessante Lektüre und interessanten Hörfunk

Peter Rapke

7.8.2019

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Heute machen wir einige Vorschläge für interessante Texte aus dem Internet. Zwei Bücher und eine Sendung aus dem Hörfunk stellen wir ebenfalls in Kurzform vor.

Dem bayerischen Hörfunk (Bayern 2) sei ausnahmsweise Dank. In einer hörenswerten fast einstündigen Radiosendung wird über die Schriftstellerin Emerenz Meier berichtet. Diese Sendung ist meines Erachtens aus verschiedenen Gründen unbedingt nachhörenswert.

1. Bisher war mir aus der eher bayerisch gefärbten ernst zu nehmenden Literatur Lena Christ, O. M. Graf oder auch Peter Rosegger geläufig. Dazu gesellt sich jetzt unbedingt Emerenz Meier. In der Sendung geht es überwiegend um ihre Auswanderung in die USA und ihr dortiges Leben. Vorgestellt wird vor allem der Briefwechsel mit ihrer im bayerischen Wald verbliebenen einzigen Freundin Gusti Unertl.
2. Der Briefwechsel zeugt von einer ungeheuren Sprach- und Formulierkunst, die uneitel und direkt aus dem täglichen gesellschaftlichen und ihrem eigenen Leben schöpft.
3. Dieser Briefwechsel ist ein eindrückliches zeitgeschichtliches Dokument. Die USA der 1920er Jahre.
4. Und das Dokument erinnert in sehr vielem an die USA im Jahre 2019.

Franz Schandl hat in der online-Zeitung trend einen Artikel (Dissonanzen in den Instanzen) verfasst über die zerrütteten Regierungs- und Staatsverhältnisse in Österreich. Es geht nicht um den Strache-Ibiza-Skandal. Es geht hier um einen auch für österreichische Verhältnisse bemerkenswerten Grad von Zerfall bürgerlicher Demokratie und von staatskonstitutionellen Grundlagen. Dessen öffentliche Dokumentation lässt jegliche Scham der politischen Klasse vermissen, den Zerfall zu kaschieren. Es wird eine Realsatire geboten, die keine ist. Widersprüche im österreichischen Staatsapparat (Innenministerium) zwischen FPÖ und ÖVP werden sozusagen vor laufender Kamera in Wildwest-Manier publik gemacht. Das Lachen bleibt einem im Halse stecken.

Jens Berger hat auf den NachDenkSeiten den Artikel geschrieben: „Robert Habeck und der Schutz der Handelswege – von welchen deutschen Schiffen ist hier eigentlich die Rede?“ Berger bezeichnet den Grünen-Chef Habeck als einen der „die immanente Logik der Neoliberalismus schon tief verinnerlicht“ habe. Nicht genug. Habeck hält zudem nichts vom Völkerrecht. Denn die Ausflaggungspraxis der deutschen Reeder wird auf dem Rücken der Mannschaften und des deutschen Staates betrieben. Unter der Flagge Liberias fahrende „deutsche“ Schiffe haben völkerrechtlich und nach UN-Konvention keinen Anspruch auf militärische Hilfe Deutschlands. Das ficht Habeck und Co. nicht an. Hauptsache Provokation und Halluzination, wenn nötig Krieg.

Rainer Mausfeld hat im Jahr 2018 das Buch geschrieben: „Warum schweigen die Lämmer?“, Westend-Verlag, Ffm, 2018. Es soll an dieser Stelle nochmals an dieses Buch erinnert werden, welches in der Tradition der radikalen Aufklärung steht. Ein Zitat soll eine der Kernaussagen des Buches verdeutlichen: „Der Historiker Sebastian Haffner bemerkte … ,Nominell leben wir in einer Demokratie. Das heißt: Das Volk regiert sich selbst. Tatsächlich hat, wie jeder weiß, das Volk nicht den geringsten Einfluss auf die Regierung, weder in der großen Politik noch auch nur in solchen administrativen Alltagsfragen wie Mehrwertsteuer und Fahrpreiserhöhungen. (…) Das entmachtete Volk hat seine Entmachtung nicht nur hingenommen … es hat sie geradezu liebgewonnen.‘ Der Philosoph Karl Jaspers beklagte 1967 … ,Paradox könnte man sagen: Wir stehen in dem Zerfall einer Demokratie, die bei uns eigentlich noch gar nicht da war. Wir verrotten, ohne dass eine Substanz verrottete, die gewesen wäre.‘ Der französische Sozialphilosoph André Gorz stellte fest: ,In Westeuropa und auf dem amerikanischen Kontinent gibt es kein Land mehr, in dem die gewählten Versammlungen noch eine demokratisch entwickelte Konzeption der Gesellschaft und des Allgemeininteresses vertreten, die wichtigen Entscheidungen fernab jeder Öffentlichkeit getroffen werden und die parlamentarischen Debatten nicht zu bedeutungslosen Zeremonien herabgesunken sind.‘ Und er wies darauf hin, dass ,die repräsentative Demokratie notwendig eine mystifizierte Demokratie ist und immer schon war.‘ Ihrer eigenen kapitalistischen Ideologie zufolge entziehen sich zentrale Aspekte der Gesellschaft ihrem Einfluss …“

Mausfeld untersucht die massenpsychologischen Beeinflussungsmechanismen der modernen Medien, ihren Propagandacharakter, wie er sich in der Politik, der Reklame oder im akademischen Apparat herausbildet. Seine Untersuchungen sind geeignet, die Mystifikationen, die heutzutage mit der ununterbrochenen Einforderung von „Demokratie“ einhergehen als Mystifikationen zu entschlüsseln. Das ist das grosse Verdienst des Buches. Ein Manko hat dieses Buch allerdings: Die Versuche der Wiederherstellung von Demokratie oder sie überhaupt erst herzustellen halten mit dem vorausgehenden kritisch-analytischen Niveau nicht mit, diese Mystifikationen zu dekonstruieren. Die Zukunft von Demokratie ist vage.

Mausfeld beantwortet die Frage „Und nun? Wo liegt das Modell der Zukunft, oder gibt es gar keines?“ so: „Die abendländischen Kulturen, die heute in dem kulminieren, was sich selbst ,westliche Wertegemeinschaft‘ zelebriert, haben den Weg der Gewalt kultiviert. Sie haben von den Kreuzzügen über den Kolonialismus … bis zum gegenwärtigen ,humanitären Imperialismus‘ die wohl größte Blutspur in der Geschichte des Menschen hinterlassen. Zugleich haben sie die ausgefeiltesten Formen von Doppelmoral und Heuchelei entwickelt, der zufolge selbst unsere größten Greueltaten lediglich Ausdruck unserer gutwilligen und uneigennützigen Bemühungen um das Allgemeinwohl und den zivilisatorischen Fortschritt der Menschheit seien. Nur wenn wir uns unserer geschichtlichen Verantwortlichkeiten für diesen Weg der Gewalt bewusst werden, können sich Chancen eröffnen … so eröffnen sich Leitideale, die in der Zeit der Aufklärung besonders prägnant formuliert wurden und die nun von uns weiterzuführen und umzusetzen sind, vielversprechende Perspektiven, die die Bezeichnung ,demokratisch‘ verdienen. … Derartige Entwicklungen in Richtung von Demokratisierungsformen, wie sie in den politischen Wissenschaften unter Bezeichnungen wie ,partizipatorische Demokratie‘ oder ,deliberative Demokratie‘ diskutiert werden, lassen sich überall auf den Welt beobachten.“

Ebenfalls im vergangenen Jahr hat Norbert Häring das Buch geschrieben: „Schönes neues Geld“. Campus-Verlag, Ffm, 2018. Das Buch soll an dieser Stelle ebenfalls nochmals erwähnt werden. Es geht im Buch um die Abschaffung des Bargeldes und seine Folgen. Und diese Abschaffung und die Fortschritte dorthin werden in einem globalen Zusammenhang beleuchtet. Die Rolle von PayPal, WeChat, Visa, Mastercard, Amazon oder auch von Bill Gates werden unter die Lupe genommen. Die Rolle von Regierungen, Parlamenten, sofern überhaupt gefragt, und ihr Zusammenspiel mit Großkonzernen wird kritisch beleuchtet. Im Zusammenhang von Digitalisierung und biometrischen Daten befinden wir uns auf einem Weg zu einer „totalitären Weltwährung“ und mehr so Häring. Und diese Währung heißt vor der Hand nicht Dollar, sondern ist schlichtes und einfaches Plastikgeld oder digitalisiertes Geld, welches per Handy um den Globus geschickt wird. Die entscheidenden Akteure hierbei stammen zwar nach wir vor aus den USA und der westlichen Hemisphäre, agieren aber verdeckt. Inzwischen haben wir mit facebook ja einen Konzern, der tatsächlich eine Privatwährung dieses Zuschnitts in die Welt setzen will. Schauplatz der Abstraktion baren Geldes ist in der Regel ein Land der Peripherie: Indien, Kenia, Malawi und „Flüchtlinge als wehrlose Versuchskaninchen“. Folgen: materielle Enteignung, Verlust von Menschenrechten und Unterdrückung und Erpressung mittels finanziellen Drucks usw. Häring macht dankenswerterweise Schluss mit dem Märchen von der sozialen und wohltätigen Stiftung von Bill Gates. Er macht Schluss mit dem Märchen, dass die Mikrokredite der 1990er Jahre des Friedensnobelpreisträgers Yunus irgendetwas anderes waren als ein profitables Geschäft.

Aber auch Härings Buch hat eine entscheidende Schwachstelle, die nicht zu den im gesamten Buch entwickelten Tendenzen passt, eine totalitäre Weltwährung zu installieren. Unter der Überschrift „Wirksame Wege des Widerstands“ verweist er die Widerständigen doch tatsächlich auf die schon bestehenden Gesetze, die solche Machenschaften verhindern könnten. Nun hat Häring in seinem Buch ausführlich gezeigt, wie das Großkapital mit internationalen Organisationen, staatlichen Stellen, nationalen und internationalen Institutionen verbunden ist, weil sie ein gemeinsames Interesse haben. Und ausgerechnet an diese vor allem juristischen Staatselemente sollen wir uns wenden, wenn es um die Abwehr einer „totalitären Weltwährung“ geht. Das ist weniger als ein stumpfes Schwert.

 

Peter Rapke, 7.8.2019

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