Verfassungsschutz und Finanzamt machen gemeinsame Sache

VVN-BdA soll Gemeinnützigkeit verlieren

Staat liefert die regulatorische Vollzugs-Vollmacht

von Peter Rapke,

28.11.2019

Der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und dem Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) wurde von einem Berliner Finanzamt die Gemeinnützigkeit aberkannt. Die Begründung läßt aufhorchen. Im Verfassungsschutzbericht des Bayerischen Verfassungsschutzes wird die VVN-BdA als extremistisch erwähnt. Das Berliner Finanzamt behauptet, dass die VVN-BdA den „volle(n) Beweis des Gegenteils als Widerlegung der Vermutung als extremistische Organisation“ erbringen müsse.

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Selbstredend bitten wir alle unsere Leser, die Petition der VVN-BdA zu unterstützen, die die Erhaltung der Gemeinnützigkeit verlangt. (https://www.openpetition.de/petition/online/die-vvn-bda-muss-gemeinnuetzig-bleiben) Wir dokumentieren sie nachfolgend als herunterladbare PDF-Datei. Ebenfalls dokumentiert sind verschiedene Schriftstücke und Verweise auf öffentliche Reaktionen dazu abgedruckt.

Herunterladbare Petition

 

Kommentar

„Widerlegung der Vermutung“. Das ist frech und dreist und zugleich hilflos. In diesem einen Satz werden gleich zwei bislang gültige bürgerlich-juristische Prinzipien über den Haufen geworfen. Die Beweislast sowie die Unverdächtigkeit bis zum Nachweis des Gegenteils. In Zeiten, in denen der „Rechtsstaat“ auch noch für Ottonormalverbraucher eine juristische Stütze sein konnte, wäre eine solche Anordnung aus einem Berliner Finanzamt nicht denkbar gewesen. Der Wind hat sich allerdings gedreht. Die Entscheidung, der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit zu entziehen, ist nicht von einigen wildgewordenen Finanzbeamten in einem Berliner Finanzamt getroffen worden. Sie ist von politischen Häuptlingen ausgegangen eben als politische und nicht als juristische Entscheidung. Genauso war es bei den Entscheidungen, die gegen Attac und Campact in derselben Causa getroffen wurden. Dass man sich dabei offen auf die „Vermutung“ einer zweifelhaften Institution innerhalb des Staates stützt ist neu. Der „Verfassungsschutz“ läßt samt befreundeter politischer und juristischer Kreise hier seine eigene Version und Interpretation des Grundgesetzes vollziehen. Die ohnehin löchrige Gewaltenteilung in der parlamentarischen Demokratie wird in diesem Zusammenhang fast schon automatisch außer Kraft gesetzt. Und zwar rechtmäßig. Die Zwangsläufigkeit staatlicher Repressalien bei Erwähnung als extremistische Organisation in irgendeinem „Verfassungsschutz“bericht ist juristisch sanktioniert.

All das läßt den Verdacht zu, dass wir es hier mit einer Art „Ausnahmezustand“ à la Carl Schmitt zu tun haben. Und zwar en Detail. Carl Schmitt, als Nazi-Jurist bekannt, behauptete sinngemäß: Jede Staatssouveränität enthält den Status des Ausnahmezustands, in dem die Anullierung des Rechts paradoxerweise selber rechtlich festgelegt ist. Es wird im vorliegenden Fall aber weder die Ausrufung des Notstandes nötig noch irgendeine Ermächtigung gegen den Bürger verlangt, und es patroulliert auch kein Militär in den Straßen, rechtmäßig wohlgemerkt. Den Organen der Bürger wird aber der notwendige Lebenssaft einfach abgedreht mit der dazu nötigen staatlichen Legitimation, obwohl eine andere juristische Legitimation etwas ganz anderes erklärt. Es geht bei den Entscheidungen gegen die VVN-BdA, Attac oder Campact ja um ein Vorgehen, das juristisch und politisch aus gesamtstaatlicher Perspektive noch auf niedriger Ebene, sozusagen auf Sparflamme, im Versuchsstadium, gehalten wird. Es sind aber keine Einzelfälle und sie sind auch keineswegs nur Lappalien. Es geht um die materielle Überlebensfähigkeit der betroffenen Organisationen, deren theoretische und praktische Arbeit. Diese Organisationen sind überwiegend kapitalismuskritisch geprägt. Das ist ihr „Hauptfehler“.

Im Gegensatz dazu ist das politisch-juristische System geradezu großherzig, wenn es z. B. um die Verfolgung von krimineller Energie in Politik und Wirtschaft geht. Zu besichtigen im Falle z. B. des Dieselskandals oder der Cum-Ex-Geschäfte und ihrer Vorgänger-Verbrechen.

Alle kapitalismuskritischen Organisationen oder Einzelpersonen, die bisher noch abseits stehen, wenn es um die hier besprochenen Einschränkungen bei VVN-BdA, Attac oder Campact geht, müssen sich im klaren darüber sein, dass es sich hier um einen Angriff auf ihre eigene Haltung dreht, auch wenn sie nicht Mitglied von VVN-BdA, Attac usw. sind. Und dass diese Angriffe auch staatlicherseits zunehmen und ein ganz anderes Ausmaß erreichen werden, ist wahrscheinlich.

Wir weisen am Schluß noch einmal auf die Petition hin, die die VVN gegen die Aberkennung ihrer Gemeinnützigkeit in Umlauf gebracht hat und fordern alle Leser auf, diese zu unterstützen.

Peter Rapke, 28.11.2019

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Brief des VVN-BdA-Augsburg

Liebe Mitglieder, Freundinnen und Freunde der VVN-BdA,

Der immer offener sichtbar werdende Rechtsruck in den Organen der BRD hat nach mehreren in letzter Zeit stattfindenden staatlichen Angriffen auf fortschrittliche Organisationen, die sich bürgerrechtlich, friedenspolitisch und antifaschistisch engagieren, nun zur Entziehung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA-Bundesvereinigung geführt.

Als Begründung hierfür wird die Nennung des VVN Landesverbands Bayern im bayerischen Verfassungsschutzbericht herangezogen.

Die Methode der staatlichen Diffamierung, Kriminalisierung, finanziellen Schädigung und Verwicklung in teure und lähmende juristische Auseinandersetzungen hat Methode und knüpft nahezu nahtlos an übelste Zeiten der deutschen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts an.

Das SprecherInnenteam

 

Der Bundesvorstand:

Antifaschismus muss gemeinnützig bleiben! – Schwerer Angriff auf die VVN-BdA

Am 4. November hat das Finanzamt für Körperschaften I des Landes Berlin der Bundesvereinigung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) e.V. die Gemeinnützigkeit entzogen. Damit verbunden sind vorerst Steuernachforderungen in fünfstelliger Höhe, die noch in diesem Jahr fällig werden. Weitere erhebliche Nachforderungen sind zu erwarten und auch zukünftig drohen wesentlich höhere steuerliche Belastungen. Damit ist die VVN-BdA in ihrer Existenz bedroht.

Das Finanzamt Berlin handelt damit anders, als das Finanzamt Oberhausen-Süd, das der Landesvereinigung NRW die Gemeinnützigkeit am 22. Oktober gewährt hat. In beiden Fällen war derselbe Vorwurf erhoben worden. Er besteht darin, dass die Landesvereinigung Bayern der VVN-BdA im bayrischen Verfassungsschutzbericht wiederholt als linksextremistisch beeinflusst dargestellt wird. Während das Finanzamt Oberhausen-Süd der Widerrede der VVN-BdA im Anhörungsverfahren entsprach, beharrt das Berliner darauf, dass „der volle Beweis des Gegenteils, als Widerlegung der Vermutung als extremistische Organisation“ nicht erbracht worden sei.

Das bedeutet, dass die Bewertung durch eine nachgeordnete bayrische Landesbehörde, die laut bayrischem Gerichtshof keine Tatsachenbehauptung darstellt, demnach über das Schicksal einer bundesweit arbeitenden zivilgesellschaftlichen Organisation entscheiden dürfen soll.

Von Überlebenden der Konzentrationslager und Gefängnisse 1947 gegründet, ist die VVN-BdA seitdem die größte, älteste, überparteiliche und überkonfessionelle Organisation von Antifaschistinnen und Antifaschisten Deutschlands. Sie vertritt die Interessen von Verfolgten und Widerstandskämpfern, sowie deren Nachkommen, tritt für Frieden und Völkerverständigung ein und hat gegen große gesellschaftliche Widerstände wesentlich dafür gesorgt, dass die Verbrechen des Nazi-Regimes nicht in Vergessenheit geraten sind, u.a. durch den Einsatz für die Errichtung von Gedenkstätten und Erinnerungsorten und vielfache Zeitzeugenarbeit. Sie informiert über aktuelle neofaschistische Umtriebe und organisiert den Widerstand in breiten Bündnissen.

Wir sind entsetzt und empört darüber, dass sich das Berliner Finanzamt die haltlosen Unterstellungen der bayrischen Behörde ungeprüft zu eigen macht. Damit behindert es genau das zivilgesellschaftliche Engagement, das von Regierung und Parteien angesichts schrecklicher rechtsterroristischer Verbrechen allenthalben eingefordert wird.

Wir fordern die Anerkennung der Gemeinnützigkeit für unsere Organisation!

Wir fordern praktische Unterstützung für alle zivilgesellschaftlichen Gruppen und Organisationen, die die Grundwerte des Grundgesetzes gegen rassistische, antisemitische, nationalistische und neofaschistische Angriffe verteidigen!

Cornelia Kerth, Dr. Axel Holz

Bundesvorsitzende

Offener Brief der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano an den Bundesminister der Finanzen

Was ist gemeinnützig? Zur Entscheidung eines Finanzamtes

25. November 2019

Sehr geehrter Herr Minister Scholz,

seit 2008 bin ich die Ehrenvorsitzende der VVN–BdA, der gemeinnützigen Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, gegründet 1947 von Überlebenden der Konzentrationslager und NS-Verfolgten. Die Arbeit der Antifa, die Arbeit antifaschistischer Vereinigungen ist heute – immer noch – bitter nötig. Für uns Überlebende ist es unerträglich, wenn heute wieder Naziparolen gebrüllt, wenn jüdische Menschen und Synagogen angegriffen werden, wenn Menschen durch die Straßen gejagt und bedroht werden, wenn Todeslisten kursieren und extreme Rechte nicht mal mehr vor Angriffen gegen Vertreter des Staates zurückschrecken.

Wohin steuert die Bundesrepublik? Das Haus brennt – und Sie sperren die Feuerwehr aus!, wollen der größten und ältesten antifaschistischen Vereinigung im Land die Arbeit unmöglich machen? Diese Abwertung unserer Arbeit ist eine schwere Kränkung für uns alle.

„Die Bundesrepublik ist ein anderes, besseres Deutschland geworden“, hatten mir Freunde versichert, bevor ich vor fast 60 Jahren mit meiner Familie aus Israel nach Deutschland zurückgekehrt bin. Alten und neuen Nazis bin ich hier trotzdem begegnet. Aber hier habe ich verlässliche Freunde gefunden, Menschen, die im Widerstand gegen den NS gekämpft haben, die Antifaschistinnen und Antifaschisten.

Nur ihnen konnte ich vertrauen.

Wir Überlebende der Shoah sind die unbequemen Mahner, aber wir haben unsere Hoffnung auf eine bessere und friedliche Welt nicht verloren. Dafür brauchen wir und die vielen, die denken wie wir, Hilfe!

Wir brauchen Organisationen, die diese Arbeit unterstützen und koordinieren.

Nie habe ich mir vorstellen können, dass die Gemeinnützigkeit unserer Arbeit angezweifelt oder uns abgesprochen werden könnte! Dass ich das heute erleben muss! Haben diejenigen schon gewonnen, die die Geschichte unseres Landes verfälschen wollen, die sie umschreiben und überschreiben wollen?

Die von Gedenkstätten ,als Denkmal der Schande’ sprechen und den NS-Staat und seine Mordmaschine als ,Vogelschiss in deutscher Geschichte’ bezeichnen?

In den vergangenen Jahrzehnten habe ich viele Auszeichnungen und Ehrungen erhalten, jetzt gerade wieder vom Hamburger Senat eine Ehrendenkmünze in Gold. Mein zweites Bundesverdienstkreuz, das Große, haben Sie mir im Jahr 2012 persönlich feierlich überreicht, eine Ehrung für hervorragende Verdienste um das Gemeinwohl, hieß es da. 2008 schon hatte der Bundespräsident mir das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse angeheftet. Darüber freue ich mich, denn jede einzelne Ehrung steht für Anerkennung meiner – unserer – Arbeit gegen das Vergessen, für ein „Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus“, für unseren Kampf gegen alte und neue Nazis.

Wer aber Medaillen an Shoah-Überlebende vergibt, übernimmt auch eine Verpflichtung. Eine Verpflichtung für das gemeinsame NIE WIEDER, das unserer Arbeit zugrunde liegt.

Und nun frage ich Sie:

Was kann gemeinnütziger sein, als diesen Kampf zu führen? Entscheidet hierzulande tatsächlich eine Steuerbehörde über die Existenzmöglichkeit einer Vereinigung von Überlebenden der Naziverbrechen?

Als zuständiger Minister der Finanzen fordere ich Sie auf, alles zu tun, um diese unsägliche, ungerechte Entscheidung der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Arbeit der VVN–BdA rückgängig zu machen und entsprechende Gesetzesänderungen vorzuschlagen.

Wir Überlebenden haben einen Auftrag zu erfüllen, der uns von den Millionen in den Konzentrationslagern und NS-Gefängnissen Ermordeten und Gequälten erteilt wurde. Dabei helfen uns viele Freundinnen und Freunde, die Antifaschistinnen und Antifaschisten – aus Liebe zur Menschheit!

Lassen Sie nicht zu, dass diese Arbeit durch zusätzliche Steuerbelastungen noch weiter erschwert wird.

Mit freundlichen Grüßen

Esther Bejarano

Vorsitzende Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e.V.

Ehrenvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

N.B.: Dieser Brief wird auch an Fraktionen im Bundestag, an Medien und Freundeskreise weitergeleitet.


   
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