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Gemeinderatswahl 2020Alleinstellungsmerkmale von „Augsburg in Bürgerhand“ (AiB)Interview mit Bruno Marcon11.3.2020 Peter Rapke Notstandsmaßnahmen und Ausnahmezustand soweit das Auge reicht. Und zwar ohne dass die dafür notwendigen Gesetze in Kraft gesetzt werden. Das, was sich zuweilen in punkto Corona-Virus und Börsencrash abspielt hat einige nicht erklärbare politische und ökonomische Momente. Nun haben diese „weltbewegenden“ Themen nicht unmittelbar Auswirkung auf die Kommunalwahlen in Bayern. Aber mittelbar. Die Frage nach der Einwirkung auf politische Prozesse durch den Bürger stellt sich. Die Frage nach der Eingriffsmöglichkeit und Veränderungsmöglichkeit durch Organe der Bürger in den Stadtteilen stellt sich genauso. Verfolgt man den Augsburger Wahlkampf anhand der aufgestellten Plakate fällt zunächst auf, dass der Wähler nicht ernst genommen wird („Sag ja zu Augsburg“, CSU). Von gleichem Kaliber sind die allermeisten Plakate der anderen Parteien. Die Plakate sollen hier nicht unser Thema sein. Aber auf die Wahlgrundsätze des Vereins „Augsburg in Bürgerhand“ soll hier nochmal eindringlich hingewiesen werden. Die sind in ihrem zentralen Punkt dem „Demokratieverständnis“ ein Alleinstellungsmerkmal im Augsburger Wahlkampf. „Aufbau einer basisdemokratischen Opposition im und außerhalb des Rathauses. Direkte Bürgervertretung im Parlament statt einer lediglich repräsentativen Vertretung.“ Das ist ein Grundverständnis von Demokratie welches vom üblichen Verständnis der „parlamentarisch-demokratischen Repräsentativdemokratie“ also der Zuschauerdemokratie in seinen Grundsätzen abweicht. Und das macht aus Sicht von AiB „ein Handeln durch die Bürgerschaft dringend notwendig“. Nun ist Papier bekanntlich geduldig und Lippenbekenntnisse gibt es zuhauf in den politischen Programmen und Veröffentlichungen. Es heißt in einer Selbstbeschreibung aus den Grundsätzen von AiB: „Wir sind Bürger, die sich seit einigen Jahren für die Belange in unserer Stadt ehrenamtlich einsetzen. Einige von uns waren aktiv an erfolgreichen Bürgerbegehren beteiligt, die in den vergangenen Jahren mehrmals notwendig waren, um gegenüber den wechselnden Stadtregierungen aus CSU, SPD und Grünen den Bürgerwillen zum Ausdruck zu bringen. So konnte mit Hilfe von Bürgerbegehren zweimal der Verkauf unseres Stadtwaldes verhindert werden, wodurch das Wasser als wichtiger Bestandteil der Grundversorgung in Bürgerhand bewahrt wurde. Auch verhinderten Aktive aus unseren Reihen in 2015 die Privatisierung der Energieversorgung in einem Bürgerentscheid …, bei dem sich etwas mehr als 72 % der Abstimmenden gegen die Fusion mit Erdgas Schwaben entschlossen hatten.“ Wenn man sich also für eine Wahl dieser Bewegung entscheiden sollte, weiss man zumindest, das man keine Ankündigungsweltmeister und Fensterredner wählt. Wir drucken im folgenden ein Interview mit Bruno Marcon ab, dem Spitzenkandidaten von „Augsburg in Bürgerhand“.
Herr Marcon vorweg zwei allgemeine politische Fragen. Wie beurteilen Sie die Wahlkumpanei der CDU und FDP in Thüringen mit der AFD und die offensichtliche, ganz allgemeine Rechtsverschiebung im bundesdeutschen Parteienspektrum? Wir erleben nicht nur in Deutschland sondern weltweit ein Aufleben des Nationalismus und das Anwachsen von Ideologien, die auf Herabwürdigungen anderer und damit auf die Spaltung der Gesellschaft abzielen. Angst und Unmut der Menschen bezüglich der Auswirkungen einer ungehemmten Globalisierung sollen kanalisiert werden. Das führt besonders bei CDU und FDP zu Annäherungen an die AfD. Das Verhalten der genannten Parteien in Thüringen zeigt, dass sie aus Gründen des Machterhalts bereit sind, jegliche Kumpanei einzugehen. Wenn CDU und FDP im Nachtrab der Thüringen-Wahl jetzt auch bundespolitisch eine Gleichstellung von AFD und der Partei „Die Linke“ behaupten, was bedeutet das für Sie? Beide Parteien wollen damit vorgeben, dass sie in der „Mitte“ der Gesellschaft stehen. Die Gleichstellung soll alte ideologische Muster, hier die Mitte, dort die Extremen, bedienen. Die tatsächlichen Unterschiede von AfD und „Linke“ werden bewusst ausgeblendet. Die CDU, FDP und andere Parteien lenken davon ab, dass sie schon längst bürgerlich-demokratische Werte geschreddert haben und dass sie auf politischer Ebene mitverantwortlich für die Verwerfungen in unserer Gesellschaft sind. Herr Marcon, „Augsburg in Bürgerhand“ (AiB) tritt zur Stadtratswahl an. Sie als OB-Kandidat. Sie verstehen sich nicht als Partei herkömmlichen Typs. Kann man AiB als Initiative für eine breitere emanzipative Bürgerbewegung charakterisieren? AIB ist keine Partei und möchte auch keine Partei sein. Wir sind ein Verein. Die Kandidaten auf unserer Liste stammen aus unterschiedlichen Gruppen und Bürgerbewegungen wie Öko-Sozial-Projekt, Solidarische Landwirtschaft, Baum-Allianz, attac und weiteren Initiativen. Als kommunale Wählergruppe wollen wir eine parlamentarische Plattform bilden, um die Stimme von Bürgerbewegungen in der Kommune deutlicher zu machen und sie zu unterstützen. Wäre es für Sie auch denkbar wegen der Dringlichkeit des Problems, ähnlich wie in Berlin einen Mietenstopp oder eine Mietpreisbremse ohne wenn und aber zu verlangen und im Stadtrat durchzusetzen? Die Regelungen in Berlin und auch die Initiative Mietenstopp in Bayern sind Regelungen auf Länderebene. Inwiefern sie auf dieser Ebene rechtswirksam sein können wird vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden. Die Kommune könnte über einen Mietenstopp für die in ihrem Besitz befindlichen Wohnungen entscheiden. Deshalb werden wir Transparenz über die Mietpreisentwicklung von der städtischen Tochter WBG einfordern, um gegebenenfalls einen Mietenstopp dort einzufordern. Doch wir brauchen weitergehende Schritte. Die Immobilien- und Mietpreise werden größtenteils durch die Bodenpreise bestimmt. Hier müssen wir den Hebel ansetzen. Deshalb fordern wir, dass Grund und Boden in die Hände der Kommune kommen sollen. Wie sieht Ihr Konzept für die künftige Wohnungsbaupolitik aus? Was hat es mit Ihrer Forderung nach einer Erhaltungssatzung für die infrage kommenden Stadtbezirke und eine Baurechtsvergabe auf Grundlage der Erbpacht auf sich? Die Bürger Augsburgs werden von den regierenden Parteien CSU, SPD und Grüne vor den Verwerfungen auf dem Wohnungs- und Immobilienmarkt nicht geschützt. Mögliche kommunale Maßnahmen wurden nicht ergriffen. Diese müssen jetzt von den Bürgern selbst umgesetzt werden. Wir haben deshalb ein Bürgerbegehren für bezahlbaren Wohnraum eingeleitet. Im ersten Schritt soll das Verscherbeln von kommunalem Grund und Boden gestoppt werden. Die Kommune darf dann nur unter Konzeptvergabe und Erbbaurecht Bauland weitergeben. In einem zweiten Schritt soll über eine Erhaltungssatzung nicht nur die Wohnbevölkerung in den Stadtteilen vor Spekulation geschützt werden sondern der Kommune sollen auch Vorkaufsrechte eingeräumt werden. Kommunaler Grund und Boden kann dann über Vergabe mit Erbpachtregelung an gewünschte Bauträger weitergegeben und eine soziale Wohnungspolitik entfaltet werden. Was hieße das z. B. konkret für die Flächen des alten „Riedinger“- und „Zeuna“-Geländes an der Wertach? Diese Flächen hätten mit den eben genannten Vorkaufsrechten für die Kommune erworben werden können. Dies hat die Stadt versäumt und zugelassen, dass sich die Flächen nun in der Hand von privaten Bauträgern befinden. Dies gilt übrigens auch für den Großteil der ehemaligen US-amerikanischen Konversionsflächen, die im Eigentum der Stadt waren. Auch sie wurden zum größten Teil an private Bauträger veräußert. Sie wissen wahrscheinlich so gut wie ich, dass in einer „freien Marktwirtschaft“ der Mietpreis am Immobilienmarkt entsteht. Die Immobilienpreise werden allerdings seit längerer Zeit an der Börse in die Höhe getrieben. Reicht hier eine Erhaltungssatzung in Augsburg, um dem Einhalt zu gebieten? Die Miet- und Immobilienpreise sind global besonders nach der Finanzkrise 2007 explodiert. Der Grund dafür liegt in massiven Strömen an Finanz- und Spekulationskapital, welche vor allem in Grund und Boden angelegt wurden. Landgrabbing ist davon Ausdruck, besonders aber der Aufkauf von Boden und Immobilien in den Metropolen. Als Gegenmaßnahme brauchen wir die globale Austrocknung der Finanzmärkte. Mit einer Erhaltungssatzung lösen wir keine globalen Probleme, jedoch können wir in der Kommune und ihren Stadtteilen mit ihr die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung bewahren und ein wichtigen Beitrag gegen „Gentrifizierung“ setzen. Mit einer Erhaltungssatzung kann auch Spekulationskapital auf kommunaler Ebene abgewehrt werden. Auch mit einer Erhaltungssatzung in Augsburg braucht die Stadt Geld, um die infrage kommenden Flächen kaufen zu können. Sie schreiben selbst, die Stadt sei verschuldet. Woher soll das Geld kommen? Investitionen für das Gemeinwohl sind keine Schulden sondern sichern die Zukunft der Bevölkerung. Das kommunale Eigentum an Grund und Boden ist kein vergänglicher Wert. Es ist Allgemeingut, das in unserer heutigen Zeit ständigen Zuwachs erfährt. Doch selbst im bilanztechnischen Sinn ist der derzeitige Kauf von Flächen für die Kommunen ein Gewinn. Sie können die Flächen als Bauland an Bauträgern in Erbpacht zur Verfügung stellen. Der Erbpachtzins ist höher als der derzeitige Baukreditzins. Unabhängig davon findet noch eine Wertsteigerung des Bodens über die Zeit statt. Wahrscheinlich Ihr größtes Projekt im „Wahlprogramm“ ist, dass AiB ein ganz anderes Verständnis von Demokratie hat und unter die Augsburger bringen will. Kann man das so sagen? Ein Großteil der Menschen hat das Vertrauen in die herrschende Politik verloren. Parteien sind nicht mehr in der Lage, die Vielfalt der gesellschaftlichen Strömungen zum Ausdruck zu bringen. Deshalb wollen wir direktdemokratische Elemente einbringen, um die Teilhabe der Menschen zu stärken. Die Mitsprache soll auf allen Ebenen gefördert werden. In Stadtteilversammlungen, wo Menschen tatsächlich über ihre Wohn- und Lebenssituation vor Ort bestimmen können. Durch die Erweiterung der Beteiligungsrechte von Räten und Beiräten auf Fachebene, durch Bürgerbegehrens- und Ratsabstimmungen bei entscheidenden Fragen der Stadtentwicklung und durch einen Bürgerhaushalt, mit dem die Bürger über ihre eigenen Finanzen bestimmen. Basisdemokratie im und außerhalb des Rathauses klingt verlockend. Wie ist das mit dem ganz überwiegenden bürgerlichen Verständnis von „parlamentarischer Demokratie“ in der Bevölkerung ineins zu bringen? Obwohl ein Vertrauensverlust gegenüber Politik und besonders Parteien besteht, wählen viele Menschen das „kleinere Übel“ oder verhelfen denen wieder an die Macht, welche sie bei vorhergehenden Wahlen abgestraft haben. Wir alle sind darin gesellschaftlich erzogen worden, politische Verantwortung abzugeben. Doch die Bevölkerung ist der Souverän. Mit direktdemokratischen Erfahrungen, wie zum Beispiel mit Bürgerbegehren, lernen Menschen, dass sie selbst das gesellschaftliche Subjekt sind und Teilhabe auch zu mehr politischer Zufriedenheit führt. Die Emanzipation von bestehenden politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnissen wäre hier ja ein Stück weit Voraussetzung. Das setzt eine Bewusstseinsänderung bei der Bevölkerung voraus. Ist Ihre Bewegung Teil dieser Veränderung oder fühlen Sie sich als treibende Kraft? Wir alle lernen durch Erfahrung und erweitern unser Bewusstsein und entwickeln uns individuell aber auch gemeinschaftlich weiter . Unsere Bürgerbewegung ist ein Teil dieses gesellschaftlichen Prozesses. Wer weiß wie lange Firmen wie MAN, UPM oder Renk in Augsburg ihren Betrieb weiterführen werden. Schließungen kann man nicht ausschließen. Was könnte und sollte die Stadtregierung in einem solchen Fall tun? Die genannten Firmen sind Niederlassungen von globalen Konzernen. Diese Konzerne handeln nach Kriterien des Maximalprofits. Interessen der Belegschaft und Augsburgs spielen für sie dabei keine Rolle. Es ist deshalb nicht erträglich wie die Stadtregierung die Manager dieser Konzerne hofiert. Nach Entlassungen werden meist nur Auffanggesellschaften gegründet, um Beschäftigte anderswo unterzubringen. Doch schon vor möglichen Entlassungen müsste eine Wirtschaftsplanung bestehen inwieweit Betriebsübernahmen unter direkter Beteiligung der Beschäftigten möglich sind. Im nächsten Schritt könnte eine Produktionskonversion erfolgen, die auf die Erfordernisse der Augsburger Wirtschaftsentwicklung ausgerichtet sind. Welche Rolle müssten die Gewerkschaften hier spielen? Das Ziel der Gewerkschaften sollte nicht nur sein, Entlassungen „sozialverträglich“ abzuwickeln. Neben dem politischen Widerstand gegen Entlassungen sollten Gewerkschaften Betriebsübernahmen strukturell unterstützen und Produktionskonversionen logistisch begleiten. Zum Abschluss noch die Frage: Fühlen Sie sich mit AiB wie der Bernie Sanders der hiesigen Stadtratswahlen? Bernie Sanders ist seit 1991 über 16 Jahre Mitglied des Repräsentantenhauses gewesen und ist damit Teil des US-amerikanischen Establishments. In den letzten Wahlperioden bemühte er sich bei den Demokraten um die Nominierung zur Präsidentenwahl. Seine Sozialforderungen sind für die USA progressiv, in Europa aber zum großen Teil schon in der Vergangenheit verwirklicht. Wir treten ja auf der kommunaler Ebene an und möchten Impulse für Teilhabe setzen und sie nicht an das bestehende „Establishment“ binden.. Unser Ziel ist eine solidarische Stadt mit umfassender Bürgerbeteiligung. Insofern haben wir andere Voraussetzungen und Ziele als Sanders. Auch vom Alter her muss ich noch 12 Jahre dazulegen, um auf seine jetzige Altersstufe zu kommen (lacht). Vielen Dank für das Gespräch Das Gespräch führte Peter Rapke
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