„Eure Panik ist unsere Freiheit!“

„Grundrechte wahren!“ – Kundgebung am 16. Mai in Augsburg


25.5.2020

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Was für eine armselige Vorstellung von Freiheit mag das wohl sein, die von der Panik anderer leben muss? Und von wessen Panik überhaupt?

Die der Corona-Krisenprofiteure kann es nicht sein. Ist es dann die Panik derjenigen, auf die zigtausendfach die Arbeitslosigkeit wartet? – Wohl auch nicht. Also kommen doch eher die „Corona-Trottel“ (1) in Betracht, in deren Verschwörungstheorie so etwas wie eine Schutzmöglichkeit vor Infektionen existiert. Aber deren überängstlich entwickeltem Bedürfnis, sich schützen zu wollen, kann man ja ganz frei, mit offenem Visier (will heißen: ohne Mundschutz) begegnen, falls die trotzdem zu so einer Veranstaltung kommen.

Es wäre sicher nicht gerechtfertigt, zu behaupten, solch eine Haltung sei bezeichnend für den Gesamtcharakter dieser Kundgebung gewesen, aber sie führt mitten in die Problematik einer Gesamtbewertung.

„Wir wollen hier, dass alle Menschen, die hier zu uns kommen, sich mit unserer Botschaft identifizieren. Jemand der sich aus dem Fenster lehnt – nach rechts oder nach links – ist uns hier nicht willkommen.“ versuchte es Veranstalter Alexander Linder, von Beruf Friseur und Ayurvedalehrer.

Allein, die Botschaft gab es nicht! Sie bestand aus durchaus berechtigter Kritik und berechtigten Forderungen genauso, wie aus Ignoranz, Widersprüchlichkeiten und offensichtlichem Unsinn.

Zur letzten Behauptung möchte ich ein kleines Beispiel anführen, bei dem die eigene Unkenntnis auch noch lautstark beklatscht wurde:

Als letzte Rednerin berichtete eine Krankenhausbeschäftigte von der katastrophalen Notfall-Versorgung, die dem Vater ihrer Freundin während Corona im Krankenhaus widerfahren war. Als sie die Freundin gebeten hat, mit zur Kundgebung zu kommen, habe diese ihr geantwortet, dass sie das nicht darf, weil sie Beamtin ist, einen Eid geleistet hat und dann ihre Pension nicht bekommt.

Die Reaktion – keine verdienten Lacher, sondern lautstarke Empörung!

Warum? - Offensichtlich wussten viele, die dort das Grundgesetz im Munde führen nicht, dass diese Behauptung zumindest Quatsch ist, weil der Freundin dieses elementare Grundrecht natürlich uneingeschränkt zusteht und es vielleicht nur eine billige Ausrede oder ebenfalls Unkenntnis dieser Freundin (Beamtin?) war.

Einer der Vorredner war Clemens Kuby (2) (links im Bild) gewesen, der dem Publikum als Protagonist nichtmedizinischer Heilung angekündigt und mit viel Applaus empfangen wurde. In seiner Politik- und Kapitalkritik hatte auch Bill Gates „mit der von ihm weltweit betriebenen Pandemie“ seinen Platz. Als Mittel dagegen appellierte Kuby, dafür zu sorgen, dass die nächsten Bundestagswahlen nicht entfallen dürften, um stattdessen mit Notstandsgesetzen weiter zu regieren. Jeder Bürger müsse dann die Möglichkeit haben, ein Bündnis zu wählen, das nur drei zentrale Forderungen habe (was sich dahinter alles verbergen mag, blieb der Phantasie überlassen!; d. Verf.):

• Leben mit und nicht gegen die Natur

• Verbot, mit Geld Geld zu machen

• direkte Demokratie (Bürgerentscheide auf Bundesebene und weg mit dem Fraktionszwang!)

Aber, weil die Bundestagsparteien das fürchteten „wie der Teufel das Weihwasser“ und deshalb aus allen Rohren dagegen polemisierten, empfahl er dem aufgeklärten Auditorium vorsorglich, der gleichgeschalteten Presse kein Gehör zu geben und sie dazu auch nicht zu lesen.

Ob dies eine große Wertschätzung der dort viel proklamierten, eigenen Urteilskraft war, darf angezweifelt werden. Ob es bemerkt wurde, allerdings auch.

Wie der Kapitalismus, dessen politikübergreifende Macht er kurz zuvor noch plakativ dargestellt hatte, nun einfach abgewählt werden könne, erklärte er leider nicht. Machte aber nichts, den Applaus für seine Demokratievorstellung bekam er trotzdem.

Zu untersuchen, wie viel oder wie wenig „Rechts“ in dieser Veranstaltung nun insgesamt steckte, möchte ich an dieser Stelle nicht versuchen.

Dass Solidarität jedenfalls kein bestimmender Faktor dieses Protestes war, sondern es sich um ein Sammelsurium von Einzelmeinungen und -forderungen handelte, kann man allein anhand der Fotos feststellen (siehe unten). Wenn von „wir“ gesprochen wurde, war relativ unklar, wer das denn alles sein sollte - anders als bei der vorangegangenen Kundgebung der Tanzschulen beispielsweise.

Doch halt! - Zur Solidarität, da gab es was:

Aber allerdings war das von den Veranstaltern und vielen Teilnehmern nicht gerne gesehen. Und sie haben es wahrscheinlich auch als „Themaverfehlung“ quittiert, dass man bei dieser Veranstaltung der erklärten, bürgerlichen Mitte im Zusammenhang mit der Verteidigung von Grundrechten überhaupt von Faschisten und Flüchtlingen sprach.

Letztere wären im Grunde ja auch eher den Corona-Trotteln zuzuordnen, wenn man der „gleichgeschalteten Presse“ zumindest an dieser Stelle mal trauen darf. Die Augsburger Allgemeine berichtete nämlich am 12.05.2020 davon, dass rund 90 Menschen des sogenannten ANKER-Zentrums in der Berliner Allee bei der Regierung von Schwaben regelrecht um besseren Ansteckungsschutz gebettelt haben – was aber weitgehend ignoriert wurde. (3)

Entsprechend groß der Applaus, als die jungen Kundgebungskritiker*innen den Blick, den ihre Transparente unmittelbar vor der Bühne „getrübt“ hatten – so der Veranstaltungsleiter (war das metaphorisch? d. Verf.) –, wieder frei gaben und sich unmittelbar daneben einrichteten.

Dennoch wurden sie permanent von unterschiedlichen Personen relativ aggressiv angegangen. Einer davon insistierte beispielsweise mehrmals darauf, zu erfahren, welcher Gruppierung sie denn angehörten. Dass einige von ihnen am Ende der Kundgebung von Teilnehmern in Rockeroutfit bedroht wurden, war leider auch nur der Augsburger Allgemeinen zu entnehmen. (4)

Das wesentlich Einende und Beabsichtigte schien mir bei dieser Kundgebung das Gefühl zu sein, dass man es zu Corona-Zeiten schafft, den öffentlichen Raum medienwirksam für sich fast ungeteilt zu beanspruchen. In diese Abstinenz solidarischer, öffentlicher Proteste einzudringen und möglichst vielen Unzufriedenen, wer immer sie auch seien, vermeintlich eine Stimme zu geben.

Und gerade diese Besonderheit könnte zur Gefahr werden.

Noch war nicht zu sehen, dass auch organisierte Werktätige sich mit ihren berechtigten Forderungen dort vertreten gefühlt hätten. Doch wenn erst die Folgen der ökonomischen Krise einsetzen und die Gewerkschaften immer noch glauben, den Kampf um die Abwälzung der Krisenlasten oder um eine grundlegende Verbesserung des Gesundheitssystems vertagen oder auf einer virtuellen Ebene führen zu können, könnte sich das schnell ändern.

Welche Vorstellungen zur „Rettung der Vaterlandes“ dann aus dieser „kritischen Masse“ kommen könnten, möchte ich mir lieber nicht vorstellen.

Artur Hoch, 23.05.2020

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Aufnahmen von der Kundgebung

einen Teil der Bilder kann man durch Anklicken vergrößern

 

1  Tafel einer Kundgebungsteilnehmerin: „Wie konnten sich die Massen unter Hitler nur so dumm manipulieren lassen? Die Corona-Trottel von heute geben uns die Antwort.“; s. auch Augsburger Allgemeine vom 18.05.2020, Leserbriefe;

3  Augsburger Allgemeine vom 12.5.2020, „Im Ankerzentrum herrscht große Angst vor Corona“

4  Augsburger Allgemeine vom 18.5.2020 „Corona-Protest mit Sicherheitsabstand“




   
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