Es droht im Nahen Osten eine erneute politische und militärische Eskalation

Brief von Pax Christi an die Bundestagsmitglieder der Diözese Augsburg in Sachen Annexion von Teilen des Westjordanlandes durch Israel

11.6.2020 Peter Rapke

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Der deutsche Außenminister Maas ist nach Israel gefahren, um der neuen Netanjahu/Gantz-Regierung „ernst gemeinte Bedenken“ der deutschen Regierung mitzuteilen. Bedenken gegen die für den 1.7.2020 angekündigte Annexion von besetzten Gebieten des Westjordanlandes durch den Staat Israel. Das, was sich hier vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielt, ist die völkerrechtswidrige Aneignung von palästinensischem Territorium durch den Staat Israel mit Billigung und Unterstützung der USA. Wenn Maas in Israel völkerrechtliche Bedenken geltend macht und vorträgt, dass Deutschland eine Zweistaatenlösung unterstützt, ist dies zwar eine durchaus vertretbare Haltung, aber das deutsche Gewicht ist für die Problemlösung im Nahen Osten ohne große Bedeutung. Nicht zuletzt deswegen, weil sich der deutsche Staat hier für das Völkerrecht einsetzt und bei nächster Gelegenheit eben dieses Recht nach Gutdünken bricht. Mit dem Völkerrecht im Gepäck wird Maas deshalb nicht mehr viel ausrichten können, weil das internationale Völkerrecht nur noch eine paradoxe Existenz führt.


Der Brief von pax christi, den wir im folgenden abdrucken, läßt die immens großen ökonomischen und politischen Probleme der Palästinenser im Nahen Osten wieder ans Tageslicht treten und fordert von den angeschriebenen Politikern zu Recht eine Stellungnahme ein und bei einer Gebiets-Annexion entsprechende politische Konsequenzen von deutschen Politikern. Die Karte, die wir abbilden, über den Verlauf der Ausdehnung des israelischen Staates auf palästinensischem Territorium nach 1945, spricht eine deutliche Sprache der Annexion. Das Interview, auf welches wir hier ebenfalls verweisen, mit dem palästinensischen Ökonomen Sam Bahour („Es geht schon lange um Annexion“) verdeutlicht die aussichtslose und abhängige Lage der palästinensischen Ökonomie von der israelischen Verwaltung.

In diesem Zusammenhang wird man nicht umhin kommen, die deutsche Verantwortung für den Nahostkonflikt zu erwähnen. Man muß an die Schuld von Nazi-Deutschland gegenüber den Juden erinnern, und man muss sich erinnern an den Unwillen der gesamten deutschen Nachkriegspolitik bis heute, die Verantwortung und Bewältigung dieser Schuld anzupacken. Die politischen Vertreter haben diese Aufarbeitung sowenig eingeleitet wie sich die deutsche Gesellschaft insgesamt dieser Notwendigkeit gestellt hat. Auch ein Ergebnis dieser Ignoranz ist, dass wir heute wieder eine neonazistische Partei in den Parlamenten sehen müssen. Wer mit solchen Altlasten als Vertreter deutscher Politik nach Israel fährt, muss sich nicht wundern, wenn er kein Gehör findet und einflußlos bleibt.



©  http://www.arendt-art.de/deutsch/palestina/texte/Karten5.JPG

pax christi
Internationale Katholische Friedensbewegung, Diözesanverband Augsburg

An die
Mitglieder des Bundestages
aus dem Bereich der Diözese Augsburg


Kopie: Bundeskanzlerin , Außenminister

Augsburg, 08.06.2020

Sehr geehrte Frau Abgeordnete,

am 1. Juli will die israelische Regierung Gesetze zur Annexion von Teilen des Westjordanlands vorlegen. Es bleiben nur wenige Wochen, um Israel davon zu überzeugen, an der Möglichkeit einer dauerhaften und einvernehmlichen Einigung zwischen Palästina und Israel festzuhalten. Wir wenden uns heute an Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages mit der Bitte sich gegen diese drohende schwere Verletzung des Völkerrechts einsetzen.

pax christi Augsburg hält seit vielen Jahren Kontakt – auch über Austauschreisen - zu palästinensischen und israelischen Friedensgruppen und sieht aufgrund dieser konkreten Erfahrungen vor Ort in diesen Annexionsplänen eine große Gefahr für den Frieden in dieser Region.

Die Rechtslage ist unstrittig: Die Annexion von besetztem Gebiet verstößt gegen mehrere Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, darunter die Resolutionen 242(1967), 478(1980) und 2334(2016). Auch die Genfer Konvention ist eindeutig: Der Erwerb von Territorium durch Krieg ist verboten (Art. 47 IV. Genfer Konvention). Der Europäische Gerichtshof hat erst im vergangenen November bestätigt, dass Israel in den palästinensischen Gebieten eine Besatzungsmacht ist, dass die Siedlungen im von Israel besetzten Westjordanland nicht Teil des israelischen Staatsgebiets sind und dass die israelische Siedlungspolitik gegen das Humanitäre Völkerrecht verstößt. Eine gemeinsame Erklärung von Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und dem Vereinigten Königreich vom 12. September letzten Jahres hat eindeutig festgestellt: Die einseitige Annexion irgendeines Teils des Westjordanlandes wäre "ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht".

In den Oslo-Verträgen von 1993, die uns allen Grund zur Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden in der Region gegeben hatten, war festgelegt worden, dass die besetzten Gebiete Stück für Stück unter die Verwaltung der palästinensischen Autonomiebehörde gestellt werden sollten. Jetzt soll diese Hoffnung endgültig zu Grabe getragen werden, indem Israel einen Großteil dieser Gebiete annektiert. Übrig bleiben die palästinensischen Städte und Dörfer in Zone A und B ohne ihr Umland; nicht einmal die Verbindungsstraßen dürfen die Palästinenser selbst reparieren. Die Gründung eines palästinensischen Staates auf den verbleibenden Gebieten ist völlig abwegig. Es ist die schlimmste denkbare „Lösung“ für die

Palästinenser: Sie sind nicht einmal in den israelischen Staat integriert, sondern in ihren Enklaven eingemauert.

Mit dem geplanten Schritt Israels werden alle angedachten Friedenslösungen endgültig Makulatur. Frieden zwischen Israelis und Palästinensern rückt in weite Ferne, ein Sicherheitsproblem für alle Beteiligten einschließlich Israel.

Wir bitten Sie, sich dafür einzusetzen, im Falle der Annexion die Zusammenarbeit mit Israel auf europäischer Ebene drastisch einzuschränken und der neuen israelischen Regierung die ernsten Konsequenzen eines solchen Schrittes im Vorfeld der Entscheidung deutlich klarzumachen.

Über eine kurze Rückmeldung wie Sie die Situation einschätzen und welche Schritte Sie gegebenenfalls veranlassen, würden wir uns sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen
i. A. des Vorstandes

Prof. Dr. Jost Eschenburg

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