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Die Taliban sind in Kabul, Präsident Ashraf Ghani auf der Fluchtvon Matin Baraki 15.8.2021 Den folgenden Artikel hat Matin Baraki am 9. August für die UZ unsere zeit, sozialistische Wochenzeitung der DKP, verfasst. Er wurde am 13. August in der UZ mit Änderungen veröffentlicht ( 1 ). Heute, am 15. August spätnachmittags, teilte uns Matin Baraki mit, dass Teile Kabuls inzwischen von den Taliban besetzt seien und Präsident Ashraf Ghani ins Ausland geflohen sei. Es herrsche Ruhe und gebe keine Kämpfe. Der Führer der Taliban in Kabul, Mullah Baradar, habe die Kämpfer angewiesen, in den Randbezirken zu bleiben und die Verhandlungen abzuwarten. Diskutiert werde aktuell über eine Koalitionsregierung und Wahlen in einem halben Jahr. Als Übergangspräsident ist Ali Ahmad Dschalali im Gespräch. Er war unter Präsident Karsai Innenminister und trat aus Protest gegen die Korruption zurück. Er ging wieder in die USA, von wo die gesamte Kabuler Administration herkommt. Er ist also „ein Mann der Amerikaner, aber nicht korrupt“, wie sich Matin Baraki ausdrückte. Sowohl die afghanische Regierung hat eine „friedliche Machtübergabe“ angekündigt als auch die Taliban eine friedliche Machtübernahme. Tagesschau.de berichtet heute um 16:48 Uhr: „Suhail Schahin, ein Unterhändler bei den Gesprächen mit der afghanischen Regierung in Katar, sagte der BBC: Man versichere den Menschen in Kabul, ‚dass ihr Hab und Gut und ihre Leben sicher sind‘. Es werde ‚keine Rache an irgendjemandem‘ geben. Die Taliban-Kämpfer hätten Befehl, Kabul nicht zu betreten: ‚Wir warten auf eine friedliche Übergabe der Macht.‘“ ( 2 ) Die aktuelle Lage hat sich dramatisch zugunsten der islamistischen Taliban geändert. Bereits am 1. Juli 2021 gaben sie bekannt, dass sie 80 Prozent des afghanischen Territoriums und 218 von 421 afghanischen Bezirken unter ihrer Kontrolle haben. Inzwischen sind sie weiter auf dem Vormarsch. Nur drei Tage haben die Islamisten gebraucht für die Eroberung von fünf Provinzhauptstädten. Sie haben sogar die Provinz Maidan-Wardak unter ihre Kontrolle gebracht. Damit stehen sie buchstäblich vor den Toren Kabuls. Am 6. August 2021 haben sie Saranj, die Provinzhauptstadt von Nimruz in Südwesten Afghanistans, am 7. August die Provinz Scheberghan (der Einflussbereich des usbekischen Generals, des inzwischen zum Marschall aufgestiegenen Abdul Raschid Dostums) und die Provinz Sarepul und zudem noch die strategisch wichtige Provinzhauptstadt Kunduz am 8. August erobert. Dort in der Nähe war zwanzig Jahre lang der deutsche Stützpunkt. Das ist eine politische, militärische und moralische Schmach für die Bundeswehr und diejenigen Politiker, die „Deutschland am Hindukusch verteidigen“ wollten.
Der neue taktische Ansatz der Taliban funktioniert wie erwartet. Die Soldaten der Afghanischen Nationalen Armee (ANA) wurden aufgefordert, sich zu ergeben. Die Verhandlungen zwischen beiden Seiten verlaufen reibungslos und die Abmachungen werden eingehalten, wie beide Seiten hervorhoben. Tausende von Soldaten, aber auch Milizionäre aus der Bevölkerung und Kämpfer der örtlichen Warlords haben sich bereits den Taliban ergeben, ohne dass ein einziger Schuss gefallen ist. Die NATO und die Bundeswehr haben angeblich ganze zwanzig Jahre die ANA ausgebildet. Man ist geneigt zu fragen, ob diese Ausbildung tatsächlich stattgefunden hat. O der war sie nur ein Alibi, um die Präsenz der NATO am Hindukusch zu legitimieren. Am 9. August haben die Taliban angekündigt, weitere Provinzhauptstädte im Norden des Landes zu erobern, darunter Pule Khomri. Insgesamt ist die Lage im Lande unübersichtlich. Stündlich gibt es neue Entwicklungen. Die US-Einheiten haben zwar inzwischen fast vollständig das Land verlassen, aber die amerikanische Luftwaffe bombardiert vom Ausland aus Stellungen der Taliban. Damit können sie an der militärischen Lage jedoch nichts Wesentliches ändern, geschweige denn die Islamisten stoppen. Es kommen deswegen nur noch mehr Menschen, darunter auch Zivilisten, ums Leben. Viele Menschen sind deswegen auf der Flucht. Wer Geld hat, flieht ins Ausland. Die keine Dollars besitzen, schließen sich den abertausenden Binnenflüchtlingen an. Die Islamisten beabsichtigen, so viel wie möglich Gelände zu gewinnen, damit sie von einer Position der Stärke aus der Kabuler Administration alles diktieren können. Sie wollen buchstäblich Kabul umzingeln. Die Administration des Präsidenten Aschraf Ghani scheint auf verlorenem Posten zu stehen. Ob sich die zerstrittenen Warlords vor der Einnahme Kabuls zusammenschließen werden, um die Taliban zu stoppen, damit es zu innerafghanischen Verhandlungen kommen könnte, steht in den Sternen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), plädierte am 8. August für einen erneuten Einmarsch der NATO und der Bundeswehr nach Afghanistan. Dies ist an Dreistigkeit kaum mehr zu überbieten und töricht obendrein. Sollte das die Lehre sein, die man aus der desaströsen Niederlage des Westens am Hindukusch gezogen hat? Matin Baraki 1 Baraki, Matin. „Heuchelei am Hindukusch. NATO drängt nach 20 Jahren Kriegseinsatz in Afghanistan auf Verhandlungen“. UZ unsere zeit (blog). Zugegriffen 15. August 2021. https://www.unsere-zeit.de/heuchelei-am-hindukusch-159146/ 2 tagesschau.de. „Afghanistans Präsident Ghani ins Ausland geflohen“. tagesschau.de, 15. August 2021. https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-kabul-ghani-101.html
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