Wenn der Staat sich schützt“ oder „Gefahr im Vollzug“ ist

von Artur Hoch

22.6.2022

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Am 20.05.2022 luden Fridays for Future (fff) Augsburg und das Augsburger Klimacamp zu einer Pressekonferenz ein. Ausgehend vom rigiden Vorgehen der Abteilung Staatsschutz der Augsburger Polizei bei der Hausdurchsuchung des Klimaaktivisten Alexander Mai wegen der vermeintlichen Beleidigung eines AfD-Politikers, sollte aufgezeigt werden, dass dies nicht etwa der einzige, überzogene Einsatz dieser Abteilung gegen friedlichen Klimaaktivismus war, sondern bisher nur der letzte in einer Serie, die vor exakt zwei Jahren begonnen hatte. Nämlich mit zeitgleichen Hausdurchsuchungen bei Janika Pondorf und Ingo Blechschmidt – damals schon bekannte Gesichter von fff. Zu einem späteren Zeitpunkt sollten dann noch weitere, nachgelagerte Vorfälle veröffentlicht werden.

Pressekonferenz 20.05.2022, v.l. Mutter von Janika Pondorf, Ingo Blechschmidt, Janika Pondorf


Wer hätte schon geahnt, dass es einer 15-Jährigen, ihrer Mutter, ihrer 13-jährigen Schwester oder ihrem 3-jährigen Bruder irgendetwas ausmachen würde, wenn morgens gegen 7:00 Uhr plötzlich sieben bewaffnete Polizist*innen in ihrem 10 m² großen Zimmer stehen – doch nur, um etwas zu suchen? Dann wären die Freund*innen und Helfer*innen der Augsburger Abteilung Staatsschutz sicher ganz anders vorgegangen. Obwohl der Anlass doch sehr zeitkritisch war und deshalb wenig Spielraum ließ.

Denn es waren schon fünf Monate seit den inkriminierten Vorfällen vergangen. Und somit zählte verständlicherweise jede weitere Minute, in der belastendes Beweismaterial noch hätte vernichtet oder beiseite geschafft werden können. „Gefahr im Verzug“ nennt man das im Juristendeutsch.

Nein, schwere Waffen oder Sprengstoff waren es nicht, die man suchte. Aber immerhin abwaschbare Sprühkreide und Schablonen. Denn damit hatten Aktivist*innen von Greenpeace in der Nacht zum 29.11.2019 anlässlich des sogenannten „black friday“, des werbungsgesteuerten Kaufrauschtags, konsumkritische Parolen bei einigen Geschäften in der Augsburger Innenstadt angebracht.

Dass Greenpeace diese Aktion am selben Tag sowohl in der Presse, als auch im Rundfunk öffentlich für sich reklamierte und dafür auch einen namentlich genannten Ansprechpartner zur Verfügung stellte, konnte dem zielsicheren Instinkt der Abteilung Staatsschutz nichts anhaben. Deshalb verzichtete sie souverän auf eine Kontaktaufnahme mit Greenpeace und machte sich in eigener Regie auf die Suche nach den wirklich Verantwortlichen.

Janika Pondorf im Herbst 2019

An jenem 29.11.2019 hatte es anlässlich des globalen Klimastreiks auch in Augsburg, wie in anderen Städten, eine Demonstration gegeben, die fff- Aktivist*innen organisiert hatten. Janika Pondorf, deren bekanntes Gesicht, war bereits damals am Ende dieser Demo von einem Beamten in Zivil herausgegriffen und gefragt worden, ob sie sich an der nächtlichen Aktion von Greenpeace beteiligt hätte. Sie verneinte dies wahrheitsgemäß und bat, ihre Mutter hinzuzuziehen, von der sie wusste, dass sie sich auch irgendwo in der Demo befinden musste. Janikas Mutter wurde nicht gefunden. Aber ohne den Versuch, sie vielleicht telefonisch zu erreichen, nahm der Beamte Janikas Personalien auf und machte dann Fotos von ihr und ihren Schuhen. Weiter hörte sie nichts mehr in dieser Angelegenheit.

Bis zum Morgen des 20.05.2020. Da klingelte es dann an Pondorfs Tür. Kurz darauf kam die Mutter in Janikas Zimmer und sagte, sie solle sich schnell etwas anziehen, die Polizei sei im Haus und wolle zu ihr. Doch bevor Janika - noch halbnackt - das tun konnte, stand auch schon die komplette Freundes-Truppe im Raum. Janika wurde aufgefordert, mit nach unten ins Wohnzimmer zu kommen. Erst dort eröffnete man ihr, dass sie der Teilnahme an besagter Sprühaktion von Greenpeace beschuldigt würde. Man habe einen Durchsuchungsbeschluss, um nach den fraglichen Gegenständen zu suchen. Grundlage dafür sei ein Überwachungsvideo, auf dem sie zu sehen sei. Genauer gesagt – eine Frau ihrer Körpergröße, die eine khakifarbene Jacke trage. Eine solche, wie sie sie ebenfalls am 29.11.2019 und zu mehreren öffentlichen Anlässen getragen hatte.

Dass Janikas Mutter unmittelbar nach Kenntnis des Tatvorwurfs die häusliche Anwesenheit ihrer Tochter zum besagten Zeitraum bestätigte, blieb völlig belanglos. Denn das würden ja alle machen, wurde ihr erklärt.

Die Beamt*innen begannen zunächst, das ganze Haus zu fotografieren und den Grundrissplan des Hauses, den sie mitgebracht hatten, mit den baulichen Gegebenheiten abzugleichen. Wahrscheinlich, um nach baulich geschaffenen Verstecken zu suchen, in denen das brisante Material gelagert sein könnte. Denn, wer weiß schon zuverlässig, wie weit die kriminelle Energie von Klimaaktivist*innen reicht?

Als Nächstes fragten sie Janika, ob sie ein Handy besitze. Als sie bejahte, wurde sie aufgefordert, dies und die zugehörigen Passwörter herauszugeben, was sie auch tat.

Daraufhin begannen die Polizist*innen Janikas minimalistisch eingerichtetes Zimmer akribisch zu durchsuchen. Mehrere Stunden lang. Gleichzeitig an den unterschiedlichsten Stellen. Sie machten dabei Fotos von Seiten ihrer Notizbücher und lasen auch interessiert in ihrem Tagebuch. Janikas Hinweis, dass sie das aktuell gar nicht mehr führe und die Eintragungen alt seien, konnte das polizeiliche Interesse daran aber in keiner Weise trüben. Wahrscheinlich nahmen sie einfach nur an, sie hätte diesem Tagebuch schon vor langem anvertraut, wo sie die gesuchten Utensilien einmal verstecken würde.

Danach durchsuchten sie Bad, Keller und Garage, ohne die gesuchten Gegenstände zu finden.

Im Anschluss daran erklärten sie Janika, sie müsse nun mit zum Polizeirevier kommen, um dort ihre Identität feststellen zu lassen. Für den Weg dorthin wurde die Begleitung durch ihre Mutter im selben Polizeiauto nicht zugelassen. Sie fuhr deshalb mit dem Fahrrad zum Revier. Noch vor dem Einsteigen wurde Janika dann auf offener Straße, vor gerade angekommenen, gaffenden Nachbarn, körperlich durchsucht, um einen möglichen Angriff mit Gegenständen ihrerseits auf die Beamt*innen während der Fahrt auszuschließen. Während der so gesicherten Fahrt wurde dann versucht, sie auszufragen.

Bei der anschließenden Identitätsprüfung wurden, bei Vermeidung jeder übertriebenen Höflichkeit, Fingerabdrücke von Janika genommen, ihr Gesicht auf einem PC digital modelliert, körperliche Besonderheiten genauestens dokumentiert und Fotos von ihr gemacht, bei denen sie sich bis auf die Unterwäsche ausziehen musste – und auf denen sie aber bitte nicht lachen sollte!

Lachen kann Janika zu all diesen Vorgängen auch heute noch nicht. Denn im Anschluss daran musste sie sich, über Monate auch stationär, in psychotherapeutische Behandlung begeben, die sie bis heute benötigt. Posttraumatische Belastungsstörungen hatten zu Symptomen geführt, die ihr eine normale Alltagsbewältigung unmöglich machten. Bereits durch geringste Auslöser unterschiedlicher Art konnte sie beispielsweise mehrmals täglich in eine körperliche Starre ganz unterschiedlicher Länge verfallen oder musste wiederholt die traumatisierende Intensität der damaligen Situation durchleben. Auch ihr Abitur musste sie deshalb um ein Jahr verschieben.

Erst jetzt fühlt sie sich in der Lage, von den damaligen Vorfällen öffentlich zu berichten und zu erzählen, was diese bei ihr auch im Nachhinein noch ausgelöst haben.

Sie berichtet beispielsweise, dass die damalige Situation genau derart war, dass sie unter normalen Umständen, aufgrund ihrer Sozialisation, das Bedürfnis gehabt hätte, die Polizei zu rufen – um Hilfe! Und von der niederschmetternden Erkenntnis, dass die Polizei selbst jetzt die traumatisierende Instanz war und sie plötzlich verstand, dass sie niemanden rufen konnte. Sie erzählt, dass sie auf ihrem Handy ein Videotagebuch mit ihrer Freundin führte, dem sehr persönliche Dinge und Stimmungen anvertraut waren. Und wie sie sich dann vorzustellen begann, dass das womöglich von einer ganzen Gruppe von Polizist*innen angesehen wird, die sich vielleicht dabei amüsieren. Immerhin hatten sie eineinhalb Jahre Gelegenheit dazu – denn so lange blieb das Handy in polizeilichem Gewahrsam. Auch das Video, einzig belastendes Indiz, auf dem sie zu sehen sein sollte und wusste, dass das nicht sein konnte, bekam sie selbst nie zu sehen.

Alexander Mai erklärt dazu, dass es ihm sicher ähnlich ergangen wäre wie Janika. Doch angesichts des Schocks, den dieser Vorfall bei den Klimaaktivist*innen damals ausgelöst hatte, bereiteten sie sich intensiv auf Ähnliches vor. Er bezeichnet es als „den Luxus, so eine Situation mental durchzugehen“, den Janika und Ingo nicht hatten.

Janikas Mutter schildert und bewertet die damaligen Vorfälle nochmals aus ihrer eigenen Perspektive: „Wir waren einfach – zurecht – komplett unvorbereitet, was ich heute niemandem mehr empfehlen kann“. Denn es habe keinen Anlass gegeben, sich auf solch eine Situation vorbereiten zu müssen. Aus ihrer Sicht war deshalb niemals damit zu rechnen, weil ihre Tochter sich nie am Rande der Legalität bewegt habe. Heute sei ihr klar, dass das im Grunde jedem passieren könne und es wichtig sei, seine Rechte zu kennen und einzufordern.

Sie beschreibt dazu plakativ ihre damalige Hilflosigkeit und Ohnmacht. Den erfolglosen Versuch, einen Anwalt oder Freund zu erreichen, den Durchsuchungsbeschluss zu lesen, während ein Teil der Polizist*innen bereits unkontrollierbar irgendwo im Haus unterwegs ist und andere bereits ihre Tochter befragen, ohne dass sie dem – als Mutter eine Minderjährigen – ungestört beiwohnen kann.

Sie erzählt, angesichts des unerklärlichen Aufgebots, auch von ihrem kurzen Zweifel, dass es vielleicht doch irgendetwas geben müsste, den sie ihrer Tochter gegenüber, zu der sie grundsätzlich großes Vertrauen hat, bei der Durchsuchung äußert. Und es noch im Nachhinein als furchtbar empfindet, ihr damit in diesem Augenblick noch zusätzlich Unterstützung entzogen zu haben.

Bei nachträglicher Betrachtung aller Faktoren, sei der Eindruck nahezu unabweisbar, dass es sich dabei nicht um Willkürakte handle, sondern um die systematische Einschüchterung von unbequemen Menschen, die sich engagieren – ohne gegen ein Gesetz zu verstoßen. Für sie eine Erschütterung des Vertrauens in den Rechtsstaat.

Ingo Blechschmidt war es am 20.05.2020 ähnlich ergangen wie Janika. Auch ihm war bei einer Hausdurchsuchung das Handy abgenommen worden. Danach wurde auch er auf das Polizeirevier gebracht, wo er erkennungsdienstlich behandelt und verhört wurde. Ihm hatte man aber nicht einmal vorgehalten, auf einem belastenden Video zu sehen zu sein. Wie also wurde diese mysteriöse Bezugskette bis zu ihm erstellt?

Ingo Blechschmidt und Janika Pondorf erläutern dazu, dass es zwischen fff und Greenpeace in Augsburg keinerlei persönliche Schnittmengen gab und gibt. Dies resultierte aus den unterschiedlichen Ansätzen, die beide Gruppierungen haben. Anstelle der Konsumkritik, die sich an das persönliche Konsumverhalten wendet und auch im Vordergrund der damaligen Greenpeace-Aktion stand, hatte sich fff schon von Anfang an schwerpunktmäßig auf systemische Veränderungen fokussiert.

Das war öffentlich bekannt. Dass gerade die Abteilung Staatsschutz so etwas verschlafen haben könnte, ist dann doch sehr unwahrscheinlich.

Dennoch hatte Greenpeace nach Bekanntwerden der Vorfälle den Betroffenen vollumfänglichen Rechtsschutz zugesichert, wofür sich diese während der Pressekonferenz explizit und herzlich bedankten. Damit konnte auch Beschwerde gegen die Durchsuchungsbeschlüsse eingelegt werden. Diese wurde aber vom Landgericht Augsburg letztendlich abgewiesen. Alles habe der erforderlichen Verhältnismäßigkeit entsprochen.

Eineinhalb Jahre nach den Durchsuchungen wurden die Verfahren dann eingestellt. Ohne weitere Ermittlungen und ohne eine Entschuldigung.

Ingo Blechschmidt erklärt auf Nachfrage, dass es seitens des Augsburger Staatsschutzes ca. zehn Vorstöße gegen Klimaaktivist*innen gab, bei denen es in fünf Fällen zu Hausdurchsuchungen kam. In allen fünf Fällen seien die Ermittlungen eingestellt worden.

Er hatte an anderer Stelle bereits erwähnt, dass der heute vorgetragene Fall die Augsburger Klimagerechtigkeitsbewegung schockiert und nach enormen Reflexionsprozessen auf eine ganz neue Stufe gehoben hatte. Ohne diesen Vorstoß wäre es wohl bis heute bei der damaligen Form der Schulstreiks geblieben. Somit hatte aber die Augsburger Abteilung Staatsschutz ungewollt den Nährboden für das Augsburger Klimacamp und die nachfolgenden bundesweiten Klimacamps gelegt.

Die Klimaaktivist*innen hatten bereits in ihrer Pressemappe 1 auch auf die Eintragungen zur Augsburger Staatsanwaltschaft bei Wikipedia 2 hingewiesen, die hauptsächlich aus öffentlicher Kritik bestehen. Vielleicht wäre der oben aufgezeigte Kausalzusammenhang mit dem Klimacamp nun doch dazu geeignet, der Augsburger Staatsanwaltschaft bei Wikipedia auch einen ersten positiven Eintrag zu bescheren.

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1 https://www.pimmelgate-süd.de/kreide/pressemappe.html

2 https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsanwaltschaft_Augsburg


   
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