Protestaktion des grünen Stadtrats Hannes Grönninger gegen die „Kriegstreiber-Partei“ der Grünen

Blut klebt an unseren Händen“

27.1.2023

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Der Grüne Hannes Grönninger hatte vor dem Kolpinghaus Augsburg für Samstag, 21. Januar, eine Protestaktion angemeldet mit dem Titel „Blut klebt an unseren Händen“. Sein Protest richtete sich an die Bezirksdelegiertenkonferenz der GRÜNEN Schwaben mit den Aufstellungsversammlungen für die Landtags- und Bezirkstagswahlen 2023. Hannes Grönninger ist Stadtrat in Neusäß und Kreisrat in Augsburg-Land. Letzter Auslöser für seine Aktion war wohl die Zustimmung der Grünen zur Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine. Grönninger nennt seine Partei inzwischen eine „Kriegstreiber-Partei“ und sieht das „Blut ... an unseren Händen“ im Kontext der Angriffe Deutschlands an der Ostfront im Ersten und Zweiten Weltkrieg, die immer auch auf die Ukraine und Russland zielten. Grönninger vergisst auch die Beteiligung Deutschlands am Angriff auf Jugoslawien nicht und sieht hier den „erste(n) Sündenfall der GRÜNEN-Pazifisten“. Er hat Angst vor einem großen Dritten Krieg in Europa, der „der letzte“ sein werde. Er wendet sich mit seinem Flugblatt gegen die inszenierte Russophobie und kommentiert das Bundestagswahlprogramm der Grünen: „Die Dämonisierung der russischen Staatsführung hat einen langen Bart“. Die Aktion wurde von aktiven Mitgliedern von Pax Christi, Deutsche Friedensgesellschaft, Attac, Solidarische Landwirtschaft und Redaktion Forum solidarisches und friedliches Augsburg unterstützt.

Im Folgenden bringen wir das erste Statement von Hannes Grönninger, das er unserer Redaktion schickte. Dann das Flugblatt, das er bei der Aktion einsetzte und Fotos. Sowie die Berichterstattung in der Augsburger Allgemeinen, die in der Landausgabe vier Tage später erfolgte, in der Stadtausgabe jedoch abgelehnt wurde. Schlussendlich ein Kommentar von uns und aus der jungen Welt zu den Panzerlieferungen und ihrer tatsächlichen militärischen Bedeutung.

„Blut klebt an unseren Händen“ – Hannes Grönninger schreibt unserer Redaktion

Hannes Grönninger schrieb unserer Redaktion am 20. Januar:

Blut klebt an unseren Händen

Ich bin ja ein GRÜNER, fühle mich aber zurzeit sehr verlassen.

Die GRÜNEN haben sich zur Kriegstreiber-Partei weiterentwickelt, ich bin in der friedensbewegten Zeit hängengeblieben.

Auf diesen Werte-Wandel werde ich mit meiner Kunstaktion aufmerksam machen.

Ich habe Blätter aus dem Bundeswahlprogramm 2021 mit ‚blutigen Händen‘ bemalt … die ich verteilen möchte, um die Fragen an die Kandidaten in die Richtung ‚ist ein Frieden ohne Besiegte möglich, bzw. wie lässt sich das Morden in der Ukraine stoppen‘ anzuschieben. EUROPA hatte zweimal Krieg, der dritte wird der letzte sein … können wir ihn noch stoppen ???“

Das Flugblatt

Auf der Rückseite des Flugblatts steht:

Zeiten- oder Wertewandel bei den GRÜNEN

20.1.2023

Es klebt Blut an unseren Händen

Mensch, wie hast du dich verändert …

Bist du nicht mit uns in einer Reihe marschiert und hast Ho Ho Hotschi Min gerufen?

Wollten wir nicht raus aus der Nato?

Standen wir nicht vor den Toren von Ramstein und forderten den Abzug der Pershing 2 Raketen?

Und haben wir nicht miteinander Friedens-Andachten am Kobel abgehalten und kurdische Familien im Kirchenasyl betreut …?

den Wehrdienst verweigert und kein Blut für Öl als Begründung in den Antrag geschrieben?

Haben wir nicht heimlich geflucht, als wir zum ersten Mal mitregieren durften … und dann mit Aufklärungs-Jets den Luftraum über Jugoslawien kontrollieren mussten und die Bilder abliefern mussten an die US-Armee zur besseren „Lagebeurteilung“?

Der erste Sündenfall der GRÜNEN-Pazifisten

Ist halt alles schon lange her

Europa hatte zweimal Krieg, der dritte wird der letzte sein …

Angst vor dem großen Knall … oder glaubst du an einen Welt-Frieden, wenn denn erst einmal die Krim wieder in westeuropäischer Hand ist, und Putin auf den Mond geschossen ist?

Oder geht es dann munter weiter mit ... ja wer ist als nächster dran, wenn wir diesen GAU überleben?

Nein mein Freund

Du machst es dir zu einfach, wen du mir sagst … ich lese schon lange keine Zeitung mehr, wenn die Nachrichten im Fernsehn kommen, schalte ich den Kasten ab und geh ins Bett …

Wie war das noch, wer zur Waffe greift, wird durch die Waffe umkommen

Oder meinst du, DIE könnten, wenn sie nur genug Waffen und Munition und Marder und Luchs und Leoparden bekommen, den Krieg beenden, den Frieden wieder herstellen?

Sag endlich NEIN , „denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, dann: In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die großen Schiffe stöhnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig träge gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und muschelüberwest den früher so schimmernden dröhnenden Leib, friedhöflich fischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben – W. Borchert 1947 … und H. Grönninger

 

Reaktion der Augsburger Allgemeinen



Die Landausgabe der Augsburger Allgemeine war bereit, am Mittwoch, 25. Januar, eine Pressemitteilung von Hannes Grönninger relativ ausführlich zu bringen. Die Überschrift lautete schon ziemlich knackig: „Wegen Waffen für die Ukraine: Ur-Grüner protestiert gegen eigene Partei. Wie und warum der Neusässer Hannes Grönninger Delegierte seiner eigenen Partei dazu brachte, das Wahlprogramm mit Füßen zu treten.“: „Zum Zeichen seines Protests zerfledderte er das Bundestagsprogramm und übermalte die einzelnen Seiten mit einer blutigen Hand. Die Blätter wurden dann auf den Zuwegen zum Veranstaltungsort, dem Kolpinghaus im Domviertel, verstreut. Die TeilnehmerInnen der Veranstaltung hätten so ihr eigenes Parteiprogramm mit Füßen getreten und im Mülleimer entsorgt, sagt Grönninger.“

Im Unterschied dazu schrieb die Stadtausgabe der Augsburger Allgemeinen nichts über die Aktion, obwohl sie in Augsburg stattfand. Stattdessen brachte die AZ am Dienstag, 24. Januar, einen Leitartikel, in dem ein gewisser Daniel Wirsching – Absolvent der katholischen Journalistenschule – meint, er müsse den übrigen Rest der Friedensbewegung auch noch in die Tonne treten:

„Was ist nur aus der Friedensbewegung geworden? Leitartikel. Fast ein Jahr nach Beginn des Ukraine-Krieges ist es erschreckend zu sehen, wie die Aktivisten argumentieren. Dabei könnten sie eine wichtige Stimme sein.

… Fast ein Jahr nach Beginn des vom russischen Präsidenten Putin gestarteten Unterwerfungskrieges ist es erschreckend, zu sehen, was aus Teilen der vielschichtigen und vielstimmigen Bewegung kam – und weiter kommt. So warnte die ‚Evangelische Friedensarbeit‘ zum Amtsantritt von Verteidigungsminister Boris Pistorius vor einer zunehmenden Kriegslogik in Deutschland und zitierte direkt im Anschluss die Vorsitzende der ‚Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden‘ mit dem Satz: ‚Es ist im Interesse der Rüstungsindustrie, dass vorhandene Waffen verbraucht und neue unter realen Bedingungen des Schlachtfeldes getestet werden.‘ Kein Wort zu den Bitten der Ukraine nach Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung.

Im Unterschied zu Sängerinnen und ihren Songs müsste von organisierten Friedensengagierten fast ein Jahr nach Kriegsbeginn mehr kommen, auch mehr als der bloße Ruf nach Verhandlungen – erst recht, wenn sie außer Acht lassen, dass Putin die nicht will. Eine Friedensbewegung, die nach realistischen und konstruktiven Wegen zu einem Kriegsende suchen würde, statt in Deutungsmustern der 80er Jahre oder rigorosen Positionen zu verharren, wäre in den aktuellen Debatten eine wichtige Stimme.“

Kommentar der jungen Welt

KOMMENTAR

junge Welt 26.1.2023 https://www.jungewelt.de/artikel/443589.fischers-fru.html

Fischers Frau
Hochrüstung der Ukraine

Von Reinhard Lauterbach

Jemanden wie Wolodimir Selenskij möchte man nicht als Nachbarn haben: Man leiht ihm den Rasenmäher, und er verlangt die Bohrmaschine, und wenn er die hat, ruft er nach der Kettensäge. Jemand, der so erkennbar den Hals nicht vollbekommt, ist seine Freunde schnell los. Aber natürlich, Selenskij interessiert hier nicht als Person, sondern als Charaktermaske seines Staates. Als derjenige, der zunächst um Panzerfäuste bettelte, dann nach Panzern schrie und schon anfängt, Flugzeuge und Kriegsschiffe zu verlangen. Als diese Charaktermaske ist er tatsächlich nicht schlecht besetzt. Er ist ja eigentlich auch Schauspieler.

Selenskij verkörpert äußerst glaubwürdig ein Grunddilemma der Rolle der Ukraine in diesem Krieg: ihn für eigene Absichten, aber auf fremde Kosten zu führen. Und damit objektiv für die Zwecke derer, die die Kosten übernehmen. Der ukrainische Nationalismus, vorgetragen als »Selbstbehauptungswillen der Ukrainer«, argumentiert wie alle seinesgleichen mit der vom »Euromaidan« bekannten Parole »Ukraine über alles« (Ukraina ponad use). Parallelen zu einer heute nicht mehr deklamierten Strophe des Deutschlandliedes sind so evident wie an dieser Stelle zweitrangig. Unter dem Strich bleibt, dass der Ukraine die Mittel fehlen, ihren Nationalismus gegenüber Russland durchzusetzen. Wenn sie doch welche bekommt, dann dafür, dass sie eine Auseinandersetzung ausficht, in deren Rahmen sie eine Spielfigur darstellt.

Die westlichen Auftraggeber der Ukraine für ihren Krieg gegen Russland sind einerseits heilfroh, dass sie den Kampf nur mit eigenem Gut, aber nicht mit eigenem Blut zu führen haben. Deshalb ermutigen sie die Ukraine, ihre Vorstellungen von einem Siegfrieden zum Kriterium von Verhandlungen zu machen – denn der Westen ist noch nicht satt, sieht Russland noch nicht geschwächt genug. Deshalb fließen aktuell Waffen und Geld nach Kiew. Andererseits ist natürlich jede dieser Äußerungen aus Berlin, Brüssel und Washington, es sei Sache der Ukraine, zu entscheiden, wann sie verhandeln wolle, in ihrer vermeintlichen Großzügigkeit ein diskreter Hinweis darauf, dass im Zweifelsfall dort und nicht in Kiew entschieden wird, wie lange es mit dem Krieg noch weitergeht. Die Gefährlichkeit dieser Situation hängt auf westlicher Seite daran, ob man rechtzeitig die Kurve kriegt.

Es gibt ein in ganz Europa bekanntes Märchen über jemanden, der den Hals nicht voll bekommt: Im Deutschen handelt es vom Fischer und seiner Frau. Die bekam vom goldenen Fisch jeden Wunsch erfüllt, bis sie sich einmal übernahm und zuviel verlangte: »Und als sie aufwachte, steckte sie wieder im Pisspott.« Da kann die Ukraine auch sehr schnell landen: mit einem zerstörten Land, total abhängig von fremdem Wohlwollen und hoffend auf einen EU-Beitritt, von dem ein anderes Land im Südosten Europas schon erfahren durfte, dass er kein Zuckerschlecken bedeutet.

Einige Anmerkungen der Redaktion des Forums

Baerbock „We are at war with russia“

Am 25. Januar wurde im Laufe des Tages bekannt, dass die Entscheidung im Bundeskanzleramt gefallen ist . Deutschland wird der Ukraine Kampfpanzer aus Beständen der Bundeswehr überlassen. Es handelt sich um 14 Panzer vom Typ Leopard 2A6, einer der modernsten Varianten. Auch US-Präsident Bi den gab zur gleichen Zeit bekannt, dass Washington der Ukraine 31 Kampfpanzer vom Typ Abrams zur Verfügung stellen will.

Ausgerechnet von der AfD muss sich die Bundesregierung sagen lassen, dass sie mit der Entscheidung, Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, das Fundament der deutschen Nachkriegspolitik über Bord zu werfe. Gemeint sei damit das friedliche Verhältnis zu Russland. ( 1 )

MdB Petr Bystron, früherer Vorsitzender des AfD-Landesverbandes Bayern, sagt am Mittwoch im Bundestag: „‚Nie wieder Krieg, keine Waffen in Kriegsgebiete – das waren die Fundamente der deutschen Außenpolitik der Nachkriegszeit‘, sagt er an Scholz gerichtet. ‚Sie werden in die Geschichte eingehen als der Kanzler, der diese Fundamente mit Füßen getreten hat!‘“. ( 2 )

Sahra Wagenknecht twittert: „Einknicken von Scholz ist Katastrophe … Was ist mit seinem Versprechen, Deutschland vor direkter Kriegsteilnahme zu schützen? … Außenpolitikerin Sevim Dagdelen, sieht die USA als Strippenzieher: Die Entscheidung der Ampel ‚auf Geheiß Washingtons‘ bereite den Weg in den Krieg. ‚Es gilt jetzt, den Kriegstreibern in den Arm zu fallen!‘“. ( 3 )

Der russische Botschafter in der Hauptstadt hat die Leopard-Entscheidung als extrem gefährlich bezeichnet. Sergej Netschajew sprach von einer neuen Ebene der Konfrontation. Der Westen befinde sich in einer Logik der permanenten Eskalation. ( 4 )

Der Chefredakteur der Schweizer Weltwoche fragt: „I st das im Interesse Deutschlands, jetzt diese Konfrontation zu fahren?“ In seinem hörens werten Daily-Special vom Mittwoch, 25. Januar, mit dem Titel „Deutschlands Panzer rollen wieder gegen Russland“ zitiert er auch Annalena Baerbock „We are at war with russia“ ( 5 ). Die taz wird hier noch etwas genauer ( 6 ):

„Der Auftritt von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg dauerte eigentlich eine Stunde, aber es sind nur wenige Sekunden der Debatte, die nun für Empörung sorgen – insbesondere in den sozialen Medien. …

… dann lässt sich die Außenministerin zu einem Satz hinreißen, der am Donnerstag für Verwirrung und Empörung sorgen wird. ‚We are fighting a war against Russia and not against each other.‘ (‚Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.‘)

Hat die deutsche Chefdiplomatin Russland jetzt den Krieg erklärt? …“

Bemerkenswert auch die grüne Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags und von 2013 bis 2021 neben Anton Hofreiter Vorsitzende der Bundestagsfraktion ihrer Partei. Von 2009 bis 2013 war sie Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und somit Mitglied im Rat der EKD. „Katrin Göring-Eckardt sagte den Funke-Zeitungen, sie habe sich ‚gewünscht, dass bereits in dieser Woche die deutsche Regierung den Weg für die Lieferung von Leopard-Panzern freigemacht hätte‘. Die würden ‚in der Ukraine dringend gebraucht‘. Die Ukraine verteidige ‚nicht nur ihr eigenes Land, sondern auch unsere Freiheit‘. …“ ( 7 )

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat sich gegenüber dpa ziemlich scharf geäußert: „Frau Strack-Zimmermann und andere reden uns in eine militärische Auseinandersetzung hinein. Dieselben, die heute Alleingänge mit schweren Kampfpanzern fordern, werden morgen nach Flugzeugen oder Truppen schreien“ ( 8 ). Genau genommen spricht sich Mützenich also nicht gegen die Lieferung schwerer Kampfpanzer aus, sondern gegen Alleingänge in dieser Frage!

Keine Bevölkerungsmehrheit für Panzerlieferungen

Linken-Fraktionschef Bartsch sagte, es gebe eine Mehrheit für Panzer-Lieferungen im Bundestag, aber nicht in der Bevölkerung. ( 9 ) t-online bestätigt ( 10 ): „… tatsächlich spaltet die Frage der Lieferung schwerer Kampfpanzer die Bevölkerung in Deutschland derzeit. Ungefähr 50 Prozent dafür, 50 Prozent dagegen – so fallen in diesen Tagen die meisten Umfragen zu dem Thema aus. Besonders stark ist die Ablehnung im Osten sowie unter den jüngeren Altersgruppen in Ost wie West.“

Und die Ablehnung erscheint anzusteigen. Am 20. Januar waren laut Forsa 54 Prozent der Deutschen dafür, dass Deutschland es anderen Staaten wie Polen gestatten sollte, Leopard-Kampf­panzer aus deutscher Produktion an die Ukraine zu liefern. „Allerdings schränkten 58 Prozent der gut 1000 Befragten ein, dass Kampfpanzer von der Ukraine nicht dazu genutzt werden sollten, um die schon 2014 von Russland besetzte Krim zurückzuerobern.“ Am 25. Januar – also fünf Tage später – meldete Forsa 44 Prozent für die Lieferung von Leopard-Panzern, 45 Prozent dagegen. Mehrheitlich abgelehnt werde die Lieferung weiterhin von den Ostdeutschen mit 67 Prozent. ( 11 )

Während bei diesen Umfragen à la Forsa jeweils nur etwa 1000 Menschen befragt werden, hat der Mitteldeutsche Rundfunk mdr eine eigene riesige Umfrage gemacht. Das MDR-Portal berichtet in einem sehr lesenswerten Beitrag ( 12 ): „Dass Deutschland Leopard-2-Panzer an die Ukraine liefern wird, finden rund drei Viertel der MDRfragt-Mitglieder, die sich an der Befragung beteiligt haben, falsch. Viele sorgen sich vor möglichen Folgen dieser Entscheidung, so das Stimmungsbild der aktuellen, nicht repräsentativen, aber gewichteten Befragung. Seit Montagabend haben sich mehr als 28.000 Menschen beteiligt. Tausende Kommentare haben uns erreicht und geben tiefen Einblick in die Gemütslage der Menschen hinter den Zahlen.“

Rückeroberung der Krim? Mit was?

Wie oben gehört, lehnt eine eindeutige, große Mehrheit in Ost und West eine Rückeroberung der Krim mit deutschen Panzern ab. In einem Artikel für die junge Welt schreibt der Polen- und Russlandexperte Reinhard Lauterbach unter der Überschrift „Krim als Schlüssel. Waffenlieferung an Ukraine für Offensive“ ( 13 ):

„… Die New York Times berichtete am Mittwoch unter Berufung auf Insider der US-Regierung, Präsident Joseph Biden sei immer mehr bereit, die Ukraine mit Waffen auszustatten, die ihr auch Angriffe auf die Krim ermöglichten – und damit auf ein Territorium, auf dem sich Russland seit 2014 halbwegs häuslich eingerichtet hat, und das mit breiter Zustimmung der örtlichen Bevölkerung.

Die Logik dahinter ist klar. Die Kontrolle über die Krim ist für Russland der Schlüssel zu seiner Präsenz im Schwarzen und Mittelmeer und seine Machtprojektion im Nahen Osten – etwa bei der Unterstützung der syrischen Regierung. Und für die NATO der Schlüssel, Russland aus dieser Weltregion auf Dauer zu verdrängen. Wenn die Krim unter die Kontrolle der Ukraine und damit der NATO geriete, wäre die russische Schwarzmeerküste blockiert, bevor der erste Schuss fällt. Als Nächstes würden irgendwelche Separatismen im multiethnischen Kaukasus aufflammen, die Ukraine erhebt jetzt schon halblaut Ansprüche auf das nordkaukasische Kuban-Gebiet als ‚Kosakengebiet‘ – als wären Kosaken zwangsläufig Ukrainer. Auf ukrainischer Seite kämpfen jetzt schon Georgier und Tschetschenen, die die Verhältnisse in ihrer Region zulasten Russlands umkrempeln wollen.

Wenn Wladimir Putin in öffentlichen Auftritten vor der Gefahr einer Aufspaltung Russlands im Falle einer Niederlage im Ukraine-Krieg warnt, dann wird das im Westen allenfalls als Ausdruck von Paranoia … kommentiert … Man muss nur die Homepage des US-Propagandasenders Radio Liberty aufsuchen und schauen, in welchen Sprachen und für welche Zielgruppen da gesendet wird, um sich vom Gegenteil zu überzeugen.

Russland hat bisher die Aufrüstung der Ukraine mit NATO-Waffen erstaunlich stillschweigend – das heißt, unter lediglich verbaler Kritik hingenommen, aber ohne den Versuch, die Lieferungen faktisch zu unterbinden. Vermutlich in der Erwartung, am Boden Tatsachen geschaffen zu haben, bevor die NATO-Waffen einsatzbereit sein würden. Die geplanten Panzerlieferungen an die Ukraine sollen ihr die nächste Großoffensive ermöglichen, und zwar wahrscheinlich nicht im Donbass, sondern in den Steppengebieten zwischen Saporischschja und dem Asowschen Meer. Und damit in Richtung Krim.“

Unterdessen warnte Russland die Ukraine davor, die Krim anzugreifen. „Allein die Diskussion darüber, die Ukraine mit Waffen auszustatten, die es ihr ermöglichen, russisches Territorium anzugreifen, ist gefährlich“, sagte der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow. ( 14 )

Oberst Markus Reisner vom Generalstab des österreichischen Bundesheeres, der regelmäßig und relativ neutral die militärische Lage im Ukrainekrieg analysiert, sagte im aktuellen Interview ( 15 ):

„Sie dürfen nicht vergessen, der Auslöser für die ganze Panzerdebatte war die Aussage des ukrainischen Generalstabschefs Saluschnyj, der gesagt hat: ‚Wenn ihr wollt, dass die Ukraine noch einmal in die Offensive geht, dann brauche ich noch einmal 300 Kampfpanzer, noch einmal 600-700 Kampfschützenpanzer, noch einmal 500 Artilleriesysteme. Und diese Aussage war im Prinzip der Auslöser vor wenigen Wochen, dass man begonnen hat, hektisch auf europäischer Ebene in Zusammenarbeit mit Amerika zu versuchen, diese Zahlen zu befüllen. …“

Zum Vergleich: die Bundeswehr verfügt über 266 Kampfpanzer in ihrem gesamten Bestand. Die USA wollen ein Bataillon Abrams-Panzer liefern, Deutschland und europäische Verbündete maximal zwei Bataillone Leopard-Panzer – wenn sie das überhaupt schaffen. Damit hätte die Ukraine im besten Fall drei Panzer-Bataillone, bräuchte aber laut Oberst Reissner zehn Bataillone. Ganz abgesehen davon, dass der Abrams kaum einsetzbar sein dürfte, und von Russland mit dem T-14 Armata ein Game-Changer der nächsten Generation im Anmarsch ist …

Deshalb resümiert Oberst Markus Reissner in dem sehr hörenswerten Interview, „dass es für lange Diskussion um Waffenlieferungen möglicherweise zu spät ist. Russlands Übermacht sei kaum auszugleichen“.

Die USA, Polen, Ukraine und Deutschland eskalieren weiter

Der Bayerische Rundfunk vermeldet heute ( 16 ):

„Washington: Die USA schließen die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine nicht aus. Das sagte der stellvertretende nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jon Finer. Im US-Fernsehsender NBC betonte Finer, man habe kein bestimmtes Waffensystem ausgenommen und werde die Unterstützung danach ausrichten, was die Ukraine brauche. Auch Polen und Frankreich denken nach Medienberichten darüber nach, Kampfjets an die Ukraine zu liefern. Allerdings nannte der Vorsitzende des französischen Verteidigungsausschusses, Gassilloud, als Bedingung, dass dadurch die französische und europäische Sicherheit nicht gefährdet wird. Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte unmittelbar nach den jüngsten Zusagen von Kampfpanzern aus mehreren Ländern darauf gepocht, auch Langstreckenraketen, Kampfflugzeuge und mehr Artillerie zu erhalten. Bundeskanzler Scholz hat das allerdings ausgeschlossen.“

Der deutsche Kanzler hat also die Lieferung von Militärflugzeugen ausgeschlossen. Hat er das wirklich?

Die Süddeutsche weiß, wie die Bundesregierung wieder ins Spiel kommen könnte ( 17 ):

„Sollte sich unter den westlichen Staaten ein Konsens bilden, Kiew auch mit Flugzeugen zu unterstützen, kämen dafür aufgrund der hohen Kosten, der Komplexität der Systeme und der nötigen Ausbildung womöglich zunächst nicht die gewünschten westlichen Maschinen infrage. Ähnlich wie bei den frühen Panzerlieferungen könnte die Ukraine aber Jets sowjetischer Bauart erhalten, vor allem des Typs MiG-29, ein zweistrahliger Jäger, …

Polen hatte im Frühjahr 2022 angeboten, seine Flotte von 22 MiG-29 der Ukraine zu überlassen. Die USA hatten das damals zurückgewiesen und mit der Gefahr einer direkten Beteiligung der Nato an dem Krieg begründet. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow sagte diesbezüglich am Donnerstag, es kämen ständig Erklärungen aus europäischen Hauptstädten und Washington, dass die Entsendung verschiedener Waffensysteme in die Ukraine, einschließlich Panzern, in keiner Weise eine Mitwirkung dieser Länder oder des Bündnisses an Feindseligkeiten in der Ukraine bedeute. ‚Dem stimmen wir kategorisch nicht zu.‘ In Moskau werde alles, was das Bündnis und die von Peskow erwähnten Hauptstädte tun, ‚als direkte Mitwirkung an dem Konflikt angesehen‘.

Sollte Polen sein Angebot erneuern und diesmal nicht von den USA gebremst werden, käme vermutlich auch die Bundesregierung wieder ins Spiel: Die von der polnischen Luftwaffe noch betriebenen Maschinen stammen dem Vernehmen nach ursprünglich aus Beständen der Nationalen Volksarmee und waren im Jahr 2003 von Deutschland für den symbolischen Preis von einem Euro pro Flugzeug an Polen abgegeben worden.“

Man muss sich klarmachen, die Kampfpanzer, die jetzt an die Ukraine geliefert werden sollen, dienen nicht der Verteidigung. Sie sind reine Angriffswaffen. Nur einen Tag, nachdem die Entscheidung, schwere Panzer an die Ukraine zu liefern, bekannt gemacht wurde, ist schon von Kampfflugzeugen die Rede. Es wird klar, der Westen treibt die Eskalation weiter. Ob die Bundesregierung Polen die Abgabe ihrer MIG-29 Flotte an die Ukraine gestattet, ist momentan unklar, aber nicht ausgeschlossen.

Auch Kiew agiert in vieler Hinsicht völlig enthemmt. So berichtet die junge Welt, dass Kiew vom Westen gelieferte Waffen aus taktischen Gründen auf dem Gelände von Atomkraftwerken lagert ( 18 ):

„Der russische Auslandsgeheimdienst (SWR) warf der Ukraine am Montag vor, vom Westen gelieferte Waffen auf dem Gelände von Atomkraftwerken zu stationieren. Kiew gehe davon aus, dass die russischen Truppen wegen der Gefahr einer nuklearen Katastrophe keine Schläge gegen die AKW verübten, teilte der Direktor des Auslandsgeheimdiensts, Sergej Naryschkin, in Moskau mit. Der SWR-Chef erklärte, es gebe glaubwürdige Angaben, dass etwa USamerikanische ‚Himars‘-Mehrfachraketenwerfer und großkalibrige Artillerie dort untergebracht würden. In der letzten Dezemberwoche seien beispielsweise über die Bahnstation Rafaliwka im Westen der Ukraine Eisenbahnwaggons mit der ‚tödlichen Fracht‘ in das AKW Riwne gebracht worden.“

Auch die Bundesregierung eskaliert ständig weiter. Zum Schluss hier nur zwei Beispiele.

So bringt die FAZ vom 27. Januar gleich auf der ersten Seite eine Meldung „Berlin gegen Zulassung russischer Athleten“: „Die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), russische und belarussische Sportler trotz des Angriffskrieges gegen die Ukraine im Grundsatz wieder zu internationalen Wettkämpfen zuzulassen und ihnen so die Möglichkeit zur Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris zu gewähren, stößt in der Bundesregierung auf Ablehnung. Die für den Sport zuständige Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem ‚völlig falschen Weg‘. Es sei die Verantwortung internationaler Sportverbände, sich eindeutig zu positionieren.“

So berichten die junge Welt und auch die Nachdenkseiten, dass inzwischen hierzulande prorussische Aussagen strafrechtlich verfolgt werden ( 19 ):

„Das Berliner Amtsgericht hat den bekannten Berliner Friedensaktivisten Heiner Bücker zu einer vierstelligen Geld- oder ersatzweise 40-tägigen Haftstrafe verurteilt. Sein Vergehen? Er hatte bei einer Rede anlässlich des 81. Jahrestages des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 2022 erklärt, man müsse ‚offen und ehrlich versuchen, die russischen Gründe für die militärische Sonderoperation in der Ukraine zu verstehen‘. Diese Aussage, so die Begründung im Strafbefehl vom 3. Januar 2023, welcher den NachDenkSeiten vorliegt, billige ‚den völkerrechtswidrigen Überfalls Russland (sic!) auf die Ukraine‘ und hätte ‚das Potential, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern und das psychische Klima in der Bevölkerung aufzuhetzen.‘ Eine rechtsstaatliche Farce, die von der verbrieften Rede- und Meinungsfreiheit nur noch Trümmer übriglässt.“

Peter Feininger, 27. Januar 2023

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1 Nach BR24 Nachrichten 25.1.2023 19.00 Uhr

2 Leister, Annika. „AfD und Linke zu Kampfpanzern: Die Katastrophe“. www.t-online.de, 25. Januar 2023, https://www.t-online.de/-/100118090 .

3 Ebda.

4 BR24 Nachrichtenarchiv - 25.01.2023 13:45 Uhr https://www.br.de/nachrichten/meldung/russischer-botschafter-in-berlin-kritisiert-leopard-entscheidung,300547f96

5 Deutschlands Panzer rollen wieder gegen Russland. Weltwoche Daily-Spezial, Roger Köppel. Chefredakteur, 25.1.2023. Regie von DIE WELTWOCHE (Wochenmagazin), 2023. YouTube, https://www.youtube.com/watch?v=qKAdhZQCgtk

6 Hartwich, Inna, und Tanja Tricarico. „Ein Satz, der hohe Wellen schlägt. Außenministerin Baerbock sagt in einer Parlamentsbefragung: ‚Wir führen einen Krieg mit Russland‘ und lässt nach großer Aufregung erklären, Deutschland sei ‚nicht Konfliktpartei‘“. taz , 27. Januar 2023.

7 Popp, Nico. „Panzerfraktion probt den Aufstand. Nach Ramstein-Treffen Schlagabtausch über weiteren Kurs. Grüne und FDP attackieren mit Union Linie des Kanzleramts. Melnyk beschimpft Mützenich.“ junge Welt, 23. Januar 2023.

8 Ebd.

9 Sendung: BR24 Nachrichten, 25.01.2023 18:45 Uhr

10 AfD und Linke zu Kampfpanzern, t-online, a. a. O.

Siehe auch: afp. „Umfrage: Deutsche gespalten bei Panzer-Lieferung“. t-online.de, 19. Januar 2023, https://www.t-online.de/-/100114990 .

11 Emendörfer, Jan. Panzer für die Ukraine: Mehrheit der Deutschen sieht Lieferung skeptisch. 25. Januar 2023, https://www.rnd.de/politik/panzer-fuer-die-ukraine-mehrheit-der-deutschen-sieht-lieferung-skeptisch-CXTHU2IZI5FVRMB45UHWP66Z5I.html .

12 Redaktionsteam. „MDRfragt: Drei Viertel der MDRfragt-Teilnehmenden finden Kampfpanzer-Entscheidung falsch“. MDR.DE, 25. Januar 2023, https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/umfrage-leopard-panzer-100.html .

13 Lauterbach, Reinhard. „Krim als Schlüssel. Waffenlieferung an Ukraine für Offensive“. junge Welt, 20. Januar 2023.

14 Köhler, Matthias Istvan. „Panzerstreit geht weiter. Vor Ramstein-Treffen: NATO-Staaten stimmen sich über Rüstungslieferungen an Ukraine ab“. junge Welt , 20. Januar 2023.

15 Oberst: Ukraine läuft für Offensive die Zeit davon. Oberst Markus Reisner vom Generalstab des österreichischen Bundesheeres macht deutlich, dass es für lange Diskussion um Waffenlieferungen möglicherweise zu spät ist. Russlands Übermacht sei kaum auszugleichen. 2023-01-23. Regie von ntv Nachrichten, 2023. YouTube, https://www.youtube.com/watch?v=u33XktOuSNk .

16 Sendung: Bayern 2 Nachrichten, 27.01.2023 06:00 Uhr https://www.br.de/nachrichten/meldung/us-regierung-lieferung-von-kampfjets-an-ukraine-nicht-vom-tisch,3005490f2

17 Krüger, Paul-Anton. „Die Ukraine bittet um Kampfflugzeuge. Kiew denkt an westliche Jets der vierten Generation, Bundeskanzler Olaf Scholz hat dies jedoch bereits ausgeschlossen. Die USA wollen das Anliegen dagegen ‚sehr sorgfältig‘ diskutieren“. Süddeutsche Zeitung, 27. Januar 2023.

18 Köhler, Matthias Istvan. „EU rüstet Kiew weiter auf 500 Millionen Euro aus ‚Friedensfazilität‘. BRD liefert ‚Patriot‘-Systeme“. junge Welt , 24. Januar 2023.

19 Warweg, Florian. „Skandal-Urteil in Berlin: Amtsgericht verurteilt Friedensaktivisten wegen Rede ‚Nie wieder Krieg gegen Russland‘“. NachDenkSeiten , 25. Januar 2023, https://www.nachdenkseiten.de/?p=92952 .


   
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