Letzte Generation“ im Visier

Urteil ohne Gerichtsverhandlung – ein bayerisches Missverständnis

von Artur Hoch

11.6.2023

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Laut Duden bedeutet „missverständlich“: leicht zu einem Missverständnis führend, nicht klar und eindeutig. Und um einen „missverständlichen Hinweis“ soll es sich laut eines Sprechers der Generalstaatsanwaltschaft München gehandelt haben, als am 24. Mai 2023 nach Polizeirazzien auf der beschlagnahmten Homepage der L etzten Generation Folgendes zu lesen war:

Die Homepage der ‚Letzten Generation‘ wurde im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft München – Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) – durch das Bayerische Landeskriminalamt beschlagnahmt. Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar! (Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!)“

Das erklärte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München gegenüber BR 24 auf Anfrage. ( 1 ) Und das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) sprach später von einer Warnung, die auf der Grundlage des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts München erfolgt sei. ( 2 ) Tatsächlich ist darin bereits an zwei Stellen, ohne einschränkenden Vorbehalt, von der Letzten Generation als „krimineller Vereinigung“ die Rede.

Und in der Tat – „missverständlich“ war, dass man annehmen musste, dieser behördlichen Feststellung sei ein Gerichtsverfahren und ein richterlicher Urteilsspruch vorausgegangen. Doch das ist eine falsche Annahme. Denn man hatte einfach eine nicht genehme Personengruppe, ohne die fundamentalen Anforderungen an Rechtsstaatlichkeit, in ihrer Gesamtheit kriminalisiert. Auf dieser Basis wurde die beschönigend bezeichnete „Warnung“ dann gleichzeitig zur strafbewehrten Drohung vor jeder weiteren, potenziellen Unterstützung vermeintlich rechtskräftig verurteilter Krimineller der Letzten Generation .

Wenn auch das versuchte Zurückrudern von Generalstaatsanwaltschaft und LKA angesichts dieser offenkundig gewordenen Sachlage fast unvermeidbar war, möchte sich ein Bündnis von „DIE LINKE“, „noPAG“, „Mut“ und „Die Urbane“ damit nicht zufriedengeben. Schließlich handelt es sich bei allen an dieser Vorverurteilung beteiligten Akteuren um Personen, denen der hohe Wert der Unschuldsvermutung bis zu einer Verurteilung und der darüber hinaus reichende „in dubio pro reo“- Grundsatz („im Zweifel für den Angeklagten“) bekannt und geläufig sein muss .

Adelheid Rupp beim Unterzeichnen der Strafanzeige

Am 31. Mai 2023 unterzeichnete das Bündnis deshalb im Rahmen einer Pressekonferenz Strafanzeigen wegen des Verdachts der Verleumdung und Beleidigung nach §§ 185 und 187 StGB und reichte sie bei der Staatsanwaltschaft München ein. Sie richten sich gegen den Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder als Leiter der Staatsregierung, gegen Generalstaatsanwalt Reinhard Röttle, der das Anbringen der Banner auf der Website angeordnet hat, gegen Justizminister Georg Eisenreich als dessen obersten Dienstherrn und gegen Innenminister Joachim Herrmann. Dabei steht auch im Raum, ob politischer Einfluss bei den durchgeführten Razzien und dem Agieren der Behörden eine Rolle gespielt hat.

Adelheid Rupp, Juristin und Landessprecherin der LINKE, nahm auch zum Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung Stellung. Aus ihrer Sicht erfülle die Letzte Generation , so, wie sie sich jetzt darstelle, die Anforderungen, die daran gestellt würden nicht. Auch wenn einzelne Mitglieder bereit seien, Straftaten zu begehen, sei das nicht deren Gesamtheit und nicht das Ziel der Vereinigung. Auch eine wiederholte Nötigung reiche nicht aus, den Anfangsverdacht einer kriminellen Vereinigung zu begründen. Dagegen spreche auch, dass die Aktivist*innen nicht anonym aufträten und sich der Verantwortung auch nicht entzögen. Ohne die Aktionen der Letzten Generation bewerten zu wollen, sehe sie ein brutales Vorgehen gegen Menschen, die vor dem Hintergrund der eigenen Betroffenheit versuchten, auf Defizite einer zu wenig handelnden Politik aufmerksam zu machen und deren Handeln einzufordern.

Jörg Jovy und Adelheid Rupp

Jörg Jovy vom Bündnis noPAG berichtete in diesem Zusammenhang davon, dass sich die durch das Bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) befürchteten Grundrechts- und Freiheitseinschränkungen gegenüber Minderheiten und politischer Opposition bald nach dessen Inkrafttreten gezeigt hätten. Die ersten Präventivverhaftungen seien gegenüber Migrant*innen einer Erstaufnahmeeinrichtung erfolgt, die man dort als Störer*innen wahrgenommen habe. ( 3 ) Es sei weder dem Bayerischen Landtag noch der Presse bis heute gelungen, die Namen oder den Verbleib der Betroffenen zu recherchieren. Die einzige Information, die man dazu habe, sei, dass der am längsten Inhaftierte zwei Monate in Präventivhaft verbracht habe.

Auch bei Protesten zur Internationalen Automobil-Ausstellung in München seien Klimaaktivist*innen auf Grundlage des PAG in Präventivhaft genommen worden. Nachgelagert habe die Rechtsprechung aber festgestellt, dass viele der inkriminierten Aktionen durchaus mit dem Demonstrationsrecht in Einklang zu bringen seien und dass auch Blockaden ein zulässiges Mittel des Protests seien. Gerade die intensive, öffentliche Diskussion um die Letzte Generation und die öffentliche Positionierung dazu von Politikern wie Alexander Dobrindt, der sie als Klima-RAF bezeichnete ( 4 ) und Andreas Scheuer ( Zitat: „Sperrt diese Kriminellen einfach weg!“) ( 5 ) lasse annehmen, dass hier auch mit politischer Einflussnahme vorgegangen werde. Es sei zu befürchten, dass auf diesem Weg auch versucht werde, politischen Widerstand weiter zu kriminalisieren – vom Vorwurf einer kriminellen Vereinigung bis hin zum Vorwurf einer terroristischen Vereinigung.

Lisa Pöttinger

Die Klimaaktivistin Lisa Pöttinger, seit einigen Jahren aktiv, erklärte einleitend, dass sie in dieser Zeit bereits viel Kriminalisierung erfahren habe und zusammen mit anderen Aktivist*innen feststellen müsse, dass die Repressionen gegen sie wüchsen. Beispielsweise durch Präventivhaft oder sogenannte „Gefährderansprachen“ ( 6 ). Auch ihre internen Chats würden nachweisbar durch die Polizei beobachtet. Und gerade bei den gemeinsamen Aktionen von Klimaaktivist*innen und Beschäftigten des ÖPNV habe es vor Staatsschutz nur so gewimmelt, der diesen Zusammenschluss sehr kritisch beäugt habe.

Man sehe, dass das Thema Repression nicht nur eine kleinere Gruppe, sondern eine Bewegung betreffe. Repression solle die herrschende Ordnung aufrechterhalten. Der Kapitalismus erlaube es Konzernen, unser aller Lebensgrundlagen für ihren Profit zu zerstören. Anstatt daran etwas zu ändern, werde daran festgehalten.

Die EU habe verstanden, dass durch die Klimakrise Millionen von Flüchtlingen zu erwarten seien. Ihre Antwort darauf sei die Aufrüstung von Frontex ( 7 ) und die faktische Abschaffung des Asylrechts.

Jeder Versuch, dieses System zu verändern, stehe immer im Gegensatz zu dessen Ordnung. Die „Lösung“ sozialer und ökonomischer Probleme finde nicht durch entsprechende Maßnahmen, sondern zunehmend durch die Polizei statt. Deshalb finde sie es gut, dass durch diese Initiative nun einmal diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden sollen, die die Versammlungs- und Meinungsfreiheit einschränken. Dabei verwies sie auf die spärliche Eröffnung von Ermittlungsverfahren gegen angezeigte, übergriffige Polizeibeamt*innen. ( 8 ) Aus Angst vor Gegenanzeigen würden häufig schon keine Anzeigen von Betroffenen gestellt.

Eine Spaltung in gute und schlechte Klimaaktivist*innen werde nicht gelingen. Und als kriminelle Vereinigungen seien diejenigen Konzerne zu bezeichnen, die unsere Lebensgrundlagen ungehindert zerstören. Sie werde ihren Protest trotz Kriminalisierung fortsetzen.

Neben dieser Absichtserklärung stand am Ende, wie bei anderen Podiumsteilnehmer*innen auch, die Hoffnung, die Politik werde diese Probleme endlich ernst nehmen und sie sachgerecht lösen.

In der anschließenden Fragerunde wurde von einem Journalisten an Adelheid Rupp die Frage gestellt, wie sie die perspektivische Behandlung der gestellten Strafanzeige angesichts der vorgebrachten Zweifel an Rechtsstaatlichkeit einschätze. Sie räumte dazu ein, dass sie die Ergebnisoffenheit der Ermittlungen zwar mit einer gewissen Sorge betrachte, aber darauf hoffe, dass die Staatsanwaltschaft angesichts der beteiligten Öffentlichkeit ihre Arbeit sachgerecht erledigen werde.

Ein Journalist, der die Ermittlungssituation angesichts der inneren Abhängigkeitsverhältnisse als etwas absurd oder naiv bezeichnete, fragt e Frau Rupp, was passieren würde, falls nichts passierten sollte . Sie erklärt e darauf hin , dass man sich dann wieder hier treffen würde und den Vorgang unter Einbeziehung eines Stabs von Jurist* innen und der Öffentlichkeit weiter verfolgen würde.

Bleibt zu hoffen , dass es dabei zu keinen weiteren Missverständnissen kommt!

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1 https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/letzte-generation-kritik-nach-beschlagnahmung-von-website,Tf9V2PF?utm_name=Newsletter&utm_source=BR24-Newsletter&utm_medium=Link-Mail&utm_term=oz&utm_motiv=oz&utm_time=2023-05-24T15:00:00

2 Ebd.

3 wahrscheinlich gemeint der Fall Schweinfurt: https://www.nopagby.de/wp-content/uploads/2019/04/Antwort_KommissionFragen_10042019.pdf

4 https://www.berliner-zeitung.de/news/letzte-generation-alexander-dobrindt-fordert-haertere-strafe-fuer-die-klima-raf-li.341018

5 https://politik.watson.de/inland/politik/340026873-letzte-generation-csu-politiker-andreas-scheuer-schockt-mit-tweet

6 https://dejure.org/gesetze/PolG/29.html

7 https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/nationale-und-internationale-zusammenarbeit/frontex/frontex-node.html

8 https://ibis-ev.de/2018/12/12/kviapol-studie-zu-rechtswidriger-polizeigewalt/


   
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