Corona-Demos steigern sich

Das Bündnis für Menschenwürde gedenkt der Corona-Toten

Die Oberbürgermeisterin positioniert sich endlich und unterzeichnet die „Augsburger Erklärung“

31.1.2022

Zwei Bündnisse treten in Aktion
Kundgebung des Bündnisses für Menschenwürde
Gegenwind auf der Stadtratssitzung
Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Anhang 1: Petition des Bündnisses für Menschenwürde
„Augsburger Erklärung“
Anhang 2: Rede der Oberbürgermeisterin
Rede von Eva Weber auf der Gedenkveranstaltung Bündnis für Menschenwürde
Anhang 3: Rede Personalratsvorsitzende Klinikum
Meine Kolleginnen „brauchen keine Mitbürger*innen, die lautstark ihre Freiheit einfordern und sich damit mit dem Teil der Gesellschaft entsolidarisieren, der schwach ist und alt und krank“
Anhang 4: Rede Geschäftsführer ver.di
„Wer nicht geimpft ist und sich nicht an die Corona-Regeln hält, kann dazu beitragen, dass Mitmenschen, die zu vulnerablen Gruppen gehören, schwer krank werden oder im Zweifel sterben“
Anhang 5: Antrag soziale Fraktion 13.1.2022
unangemeldete Versammlungen verbieten
Anhang 6: Antrag soziale Fraktion 27.1.2022
Antrag Corona-Versammlungen
Anhang 7: Interview bayerischer Innenminister
„Eine Demonstration ist kein Spaziergang“
Anhang 8: Beschluss Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Versammlungsrecht: Verbot unangemeldeter Versammlungen gegen Corona Maßnahmen durch Allgemeinverfügung bei tragfähiger Gefahrenprognose zulässig

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Zwei Bündnisse treten in Aktion

Der Widerstand gegen die Maßnahmengegner_innen, Coronaleugner_innen, Schwurbler_innen – oder wie immer man sie nennen mag –, die seit Wochen zu tausenden die Stadt unsicher machen, formiert sich, auch in Augsburg. Nachdem das Bündnis Augsburg Solidarisch bereits drei Kundgebungen in diesem Monat abgehalten hat, reagierte nun am 24. Januar auch das Bündnis für Menschenwürde. Ohne große Mobilisierung – wegen Corona – waren 120 Menschen auf den Rathausplatz gekommen, um der 558 Augsburger_innen zu gedenken, die am Virus gestorben waren. Für jede und jeden von ihnen brannte eine Kerze.

Unter den Teilnehmer_innen waren auch die Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) und die zweite Bürgermeisterin Martina Wild (Grüne) sowie weitere Stadträt_innen. Die Begrüßung und Anmoderation übernahmen die Stadträt_innen Anna Rasehorn (SPD) und Serdar Akin (Grüne). Nach einer Schweigeminute hielt die Oberbürgermeisterin eine Rede. Sodann wurde eine „Augsburger Erklärung“ verlesen durch Anne Schuster vom Sensembletheater, die auch Mitglied im Vorstand des Verbandes Freie Darstellende Künste ist, und Didem Karabulut, Vorsitzende des Integrationsbeirats Augsburg. Es wurden noch zwei Reden gehalten von Eva-Maria Nieberle (Personalratsvorsitzende, Uniklinik Augsburg, siehe Anhang 3 ) und Erdem Altinisik (Geschäftsführer ver.di Augsburg, siehe Anhang 4 ). Diese Menschen erwähnte die Augsburger Allgemeine in ihrem Bericht gar nicht mehr ( 1 ).

Damit trat erfreulicherweise das Bündnis für Menschenwürde nach längerem Zaudern auf den Plan. Und auch die Oberbürgermeisterin erkannte, dass sie sich nicht länger hinter ihrem Ordnungsreferenten verschanzen kann, sondern selbst Position beziehen muss. Ihre Rede und auch die Augsburger Erklärung des Bündnisses für Menschenwürde, die sie als erste unterzeichnete, haben Format und sind politisch unterstützenswert. Inzwischen (29. Januar) ist die Augsburger Erklärung als Petition von knapp 1000 Menschen unterzeichnet worden.

Man sollte die „Augsburger Erklärung“ des Bündnisses für Menschenwürde https://chng.it/x5hFX2NBdR ebenso unterzeichnen wie die Erklärung des Bündnisses Augsburg Solidarisch „Für ein solidarisches Augsburg zur Überwindung der Corona-Pandemie“ https://chng.it/QSGHrwdsby . Diese Erklärungen gehen unseres Erachtens beide in die gleiche Richtung. Die Augsburger Erklärung endet so (siehe Anhang 1 am Ende dieses Artikels): „… ergreifen deshalb jetzt das Wort. Unsere Friedensstadt Augsburg hat schon schlimmere Zeiten erlebt. Aber wenn wir solidarisch sind und erkennen, dass die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo sie die Freiheit des anderen begrenzt, eröffnet sich uns der Weg, möglichst schnell aus der Pandemie herauszukommen.“

Auch die Petition des Bündnisses Augsburg Solidarisch hat inzwischen schon 540 Unterschriften (29. Januar), was beachtlich ist für eine doch relativ kleine Gruppe von Organisator_innen. Es war aber wahrscheinlich erst dieses Bündnis Augsburg Solidarisch , das durch seine Hartnäckigkeit auch das Bündnis für Menschenwürde zum Handeln gebracht hatte und auch die Oberbürgermeisterin veranlasste, den Impfgegner _innen und Verschwörungstheoretiker_innen auf dem Rathausplatz öffentlich entgegenzutreten.

Die Hartnäckigkeit des Bündnisses Augsburg Solidarisch veranlasste wohl auch die Medien, ihre Linie aufzugeben, das Bündnis totzuschweigen. Während die zweite Kundgebung dieses Bündnisses am 10. Januar noch einem fast vollständigen Medienboykott unterlag ( 2 ) , wurde über seine dritte Gegendemonstration am 22. Januar i n der AZ relativ ausführlich berichtet ( 3 ). Allerdings wird in der gleichen Ausgabe der AZ in einem Kommentar die Kundgebung des Bündnisses Augsburg Solidarisch mit immerhin 200 Teilnehmern auf ein „kleine(n)s Häuflein“ herabgewürdigt ( 4 ).

Dankenswerterweise durchbrach der Augsburger Filmproduzent Matin Pfeil den Medienboykott und drehte ein zehnminütiges Video über die Kundgebung des Bündnisses Augsburg Solidarisch am 10. Januar ( 5 ). Das Video zeigte im Wesentlichen die Rede von Peter Biederwolf, Vorsitzender der ver.di-Betriebsgruppe am Universitätsklinikum. Martin Pfeil setzte auf seiner Webseite Channel Welcome noch einen knackigen Kommentar unter das Video:

„Das Bündnis ‚Augsburg Solidarisch‘ veranstaltete am 10. Januar 2022 in Augsburg am Königsplatz diese Kundgebung. Der Krankenpfleger und Vorsitzende der Ver.di Betriebsgruppe des Universitätsklinikums, Peter Biederwolf, hielt eine Rede, die die aktuelle Situation aus der Sicht von Pflegekräften in der Universitätsklinik in Augsburg aufzeigt. Seine Rede ist gleichzeitig ein Plädoyer, sich impfen zu lassen und sich nicht an den sogenannten ‚Spaziergängen‘ zu beteiligen, die größtenteils von rechten Gruppierungen organisiert oder unterwandert werden.

Liebe Querdenkende, Spaziergänger und Unmaskierte, warum seid ihr nicht viel früher auf die Straße gegangen, vor Corona, als die damals Regierenden unser Gesundheitssystem kaputt gespart haben, als entschlossen wurde, dass auch Krankenhäuser Rendite abwerfen müssen, als Menschen in Pflegeberufen mit Hungerlöhnen abgespeist wurden, und ihre Berufe deswegen verlassen haben. Das sind die wirklichen Leistungsträger unserer Gesellschaft die nun fehlen. Ja, viele von euch sind auch damals auf die Straße gegangen, haben gegen Flüchtlinge und Zuwanderung gehetzt, obwohl es gerade viele von den denen jetzt sind, die euch pflegen. In Deutschland leben derzeit 2.900 Ultrareiche. Dazu werden Menschen gezählt, die ein Finanzvermögen von mehr als 100 Millionen Dollar besitzen. Mit einem Prozentpunkt an der Schraube derer Einkommens- und Erbschaftssteuer gedreht, und unser Gesundheitssystem würde auch Denkende wie ihr, die nur eine kleine Minderheit darstellen, bewältigen.“

Kundgebung des Bündnisses für Menschenwürde

Auf der Kundgebung des Bündnisses für Menschenwürde am 24. Januar betonte die Oberbürgermeisterin auf dem Rathausplatz (siehe Anhang 2 am Ende dieses Artikels):

„Und was mich als Mensch aber auch als Oberbürgermeisterin so wahnsinnig beschäftigt, ist die Tatsache, was für Parolen skandiert werden auf der Straße, welche Transparente hochgehalten werden und was für ein Weltbild vermittelt wird. Und ich gehe fast davon aus, dass viele, die mitlaufen, gar nicht auf dem Schirm haben, was denn da überhaupt für Botschaften ins Schaufenster gestellt werden. Und deswegen fordere ich auch nochmal alle auf, … dass … trotzdem mal geschaut wird, mit wem gehe ich da Seite an Seite auf der Straße.

Ist das wirklich meine Meinung, ist das wirklich das, um was es mir geht, oder sind da Verschwörungstheoretiker am Werk, die teilweise den Staat verhöhnen und lächerlich machen und vor allem auch die stille Mehrheit in eine Ecke stellen, als seien wir diejenigen, die nicht verstanden hätten, dass man mit Solidarität und Achtsamkeit gegenüber den Mitmenschen auch entsprechend viel Gutes bewirken kann. (Beifall)

… Und jetzt gilt's nochmal: Wir als Augsburgerinnen und Augsburger, wir als Bürgerinnen und Bürger der Friedensstadt Augsburg, wir müssen in Solidarität nochmals zusammenstehen, um diese Pandemie miteinander zu überwinden. „Die stille Mehrheit muss laut werden“ hat der Bundespräsident heute gesagt und ich glaube, er hat Recht.“

Eigentlich sind das klare Worte und man müsste darauf bestehen, dass ihnen auch klare Taten folgen. Aber hier ist die Oberbürgermeisterin nicht konsequent, wie sich auf der nachfolgenden Stadtratssitzung am 27. Januar wieder zeigte.

Gegenwind auf der Stadtratssitzung

Stefan Krog von der Augsburger Allgemeinen berichtet ( 6 ):

„Stadtregierung und Polizei haben am Donnerstag Gegenwind im Stadtrat bekommen, was ihr bisheriges Vorgehen bei den Corona-Demos betrifft.

Aus mehreren Fraktionen, auch vom Koalitionspartner Grünen, wurde kritisch bemerkt, dass die Abstandsregelungen oftmals missachtet würden und es keine erkennbaren Bemühungen seitens Stadt und Polizei gebe, das Thema in den Griff zu bekommen. …

Kritik kam auch von den Grünen. Am deutlichsten wurde Rätin Christine Kamm: „Bei jeder anderen Demonstration müssen sich die Leute an die Auflagen halten. Man gewinnt den Eindruck, dass hier eine bestimmte Gruppe Narrenfreiheit hat und die Polizei sie gewähren lässt.“ Dass die Polizei dabei zuschaue, wenn entgegen den Auflagen Hunde bei der Kundgebung mitgeführt werden, kenne sie von anderen Demos nicht. …“

Das Verhalten der Oberbürgermeisterin im Stadtrat, wo sie die CSU-Fraktion hinter sich beziehungsweise im Nacken hat, und ihr Auftritt bei der Kundgebung des Bündnisses für Menschenwürde drei Tage zuvor kommt einem politischen Spagat gleich. Wenn nun neben der Opposition auch der grüne Koalitionspartner Kritik übt an der Linie der Verwaltung, wird es leicht kritisch für die Oberbürgermeisterin.

Ungeachtet dessen lässt die Oberbürgermeisterin ihren Ordnungsreferenten wie gewohnt zum Thema ausweichend schwadronieren ( 7 ): „Pintsch sagte, dass man sich immer Dinge wie eine Maskenpflicht vorbehalte. Konkrete Pläne in diese Richtung gibt es aber wohl nicht. ‚Man muss auch die Konsequenzen bedenken. Was bedeutet es, wenn man eine Maskenpflicht anordnet und sich 2000 Leute nicht dran halten?‘, so Pintsch. Dann müsse die Polizei den Zug stoppen, einkesseln und Personalien aufnehmen. ‚Mit Infektionsschutz hat so eine Situation nichts zu tun.‘ Beim Abstandsgebot von 1,5 Metern habe man das Problem, dass sich Personen eines Hausstandes nicht daran halten müssen. Das sei auf der Straße aber kaum mehr zu kontrollieren.“

Was wäre die Konsequenz aus dem Dilemma, das Herr Pintsch so eindrücklich schildert? Entweder ein generelles Verbot von unangemeldeten Versammlungen, wenn mit Verstößen z. B. gegen den Infektionsschutz zu rechnen ist, oder entsprechende Auflagen für angemeldete Versammlungen und konsequente Überwachung und Ahndung von Verstößen. Dabei hätte die Stadt auch den bayerischen Innenminister auf ihrer Seite, der Anfang Januar in einem ausführlichen Interview in der Augsburger Allgemeinen Stellung nahm und vor allem noch mal auf entsprechende Empfehlungen des Innenministeriums an die Städte und Landkreise hinwies (siehe Anhang 7 ). Auch auf der Homepage des bayerischen Innenministeriums finden sich entsprechende Hinweise ( 8 ).

Die soziale Fraktion stellt in diese Richtung schon seit längerem Anfragen und Anträge. So beantragte die soziale Fraktion zunächst, unangemeldete Versammlungen per Allgemeinverfügung ( wie in München) zu untersagen ( Anhang 5 ) . Dieser Antrag lag dem Stadtrat am 27. Januar vor, man erfährt aber aus dem Ratsinformationssystem nicht, ob und wie er behandelt wurde.

Auf Nachfrage erfuhren wir, dass die soziale fraktion diesen Antrag wohl hat fallen lassen und stattdessen einen weiteren Antrag gestellt hat, da die Versammlungen der Corona- Demonstranten in Augsburg inzwischen angemeldet werden ( Anhang 6 ):

„Die Verwaltung wird beauftragt, eine Allgemeinverfügung zu erlassen, welche die Auflage im Sinne der Mustervorlage der Allgemeinverfügung des bayerischen Innenministeriums umsetzt, dass bei Versammlungen Abstände von 1,5 Meter einzuhalten UND Masken zu tragen sind.

Die Ordnungsbehörde wird beauftragt, bei jeder Versammlung verstärkt präsent zu sein und Bußgelder bei Missachtung der Auflagen zu verhängen. Falls sich dem widersetzt wird, sind härtere, verhältnismäßige Mittel wie Verwarnungen oder die Auflösung auszusprechen.

Das Ordnungsamt und die Polizei wird zur Stadtratssitzung im Februar und März 2022 berichten, wie sich die Versammlungen entwickeln und welche Beobachtungen sie getätigt haben.“

Laut Die Augsburger Zeitung DAZ wurde der Antrag abgesetzt, „da die Zuständigkeit bei der Kreisverwaltungsbehörde liege – nicht beim Stadtrat“. ( 9 ) Stefan Krog formulierte es in der Augsburger Allgemeinen so ( 10 ): „Formal hat der Stadtrat über Demo-Auflagen und deren Vollzug nicht zu entscheiden, weil das im Ermessen von Stadtverwaltung und Polizei liegt und über Landesgesetze geregelt ist.“

Die soziale fraktion will die Absetzung ihres Antrags dennoch nicht hinnehmen und wird unter Umständen auf eine juristische Klärung drängen. Ganz allgemein gesagt, liegt die Sache jetzt wieder bei der Stadtverwaltung, und damit auch beim Ordnungsreferenten und letztlich auch bei der Oberbürgermeisterin und nur politischer Druck kann sie zu konsequenten Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Demonstrationsgeschehen bringen. Wobei dieser politische Druck durchaus auch aus dem Stadtrat kommen darf!

Urteil des Verwaltungsgerichtshofs

Siegfried Zagler hebt in der DAZ darauf ab, dass die Stadt München zeitweise zu einem präventiven Verbot von „Spaziergängen“ und nicht angemeldeten Versammlungen gegriffen habe und die Rechtmäßigkeit eines solchen Verbots vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bestätigt wurde ( 11 ). Eine Interessenabwägung zwischen Versammlungsfreiheit und Infektionsschutz falle nach dem Urteil des VGH „zu Gunsten des öffentlichen Interesses an einer Verhinderung weiterer Infektionen aus“. Zagler stellt fest, dass „die Stadt Augsburg in Sachen ‚Corona-Demonstrationen‘ den falschen Kurs gewählt“ habe:

„Am 18. Januar, also einen Tag vor diesem VGH-Beschluss, hielten OB Eva Weber und Ordnungsreferent Frank Pintsch zusammen mit einem Vertreter der Polizei eine Pressekonferenz ab, auf der OB und Ordnungsreferent eine gegenteilige Rechtseinschätzung zum Ausdruck brachten. OB Weber räumte zwar ein, dass bezüglich der rechtlichen Abwägung Infektionsschutz vs. Versammlungsfreiheit juristisch noch nichts entschieden sei, aber ihrer Auffassung nach würde vieles dafür sprechen, dass der Ausschlag am Ende des Tages in Richtung Versammlungsfreiheit gehe.

Weber und Pintsch spielten auf der städtischen Pressekonferenz dieselbe Klaviatur wie im Ältestenrat. Es sei unverständlich und empörend, was auf den Versammlungen zu hören sei, aber eben vom Versammlungsrecht gedeckt. Deshalb müsse man im Gegensatz zu München und anderen Städten einen anderen Weg finden. Dabei gehe es um den Dreiklang Versammlungsrecht, Friedlichkeit, Infektionsschutz, so Ordnungsreferent Frank Pintsch, der in Augsburg alle Kategorien realisiert haben möchte. …

Doch nun hat sich der Wind in Bayern zugunsten des Infektionsschutzes gedreht. Nun stehen Weber und Pintsch im Regen des VGH, den sie nicht kommen sahen und nicht ignorieren können. …“

Die Landesanwaltschaft fast in einem Orientierungssatz den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19.1.2022 zusammen (siehe Anhang 8 ):

„Versuchen Organisatoren und Teilnehmer von Protesten gegen Corona-Maßnahmen systematisch, von ihnen als unzumutbar empfundene versammlungsrechtliche Beschränkungen im Hinblick auf Ort, Ortsfestigkeit, Maskenpflicht und Abstände durch die fehlende Anmeldung von Versammlungen zu umgehen, kann dies im Einzelfall die Gefahrenprognose tragen, dass von solchen Versammlungen nicht vertretbare und nicht durch mildere Mittel als ein präventives Versammlungsverbot bewältigbare Infektionsgefahren ausgehen. In diesem Fall können Versammlungsverbote durch Allgemeinverfügung in Betracht kommen.“

Inwieweit der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs in der Augsburger Situation direkt anwendbar wäre, bleibt zu prüfen. Auf jeden Fall stellt er eine Ermutigung für die Kommunen dar, konsequent beziehungsweise konsequenter durchzugreifen, wo nötig. Insofern ist es ein Verdienst der DAZ, auf diese Entschließung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs überhaupt hingewiesen zu haben. Es fällt nämlich auf, dass die Augsburger Stadträt_innen – zumindest teilweise – gar nichts wissen von dieser Entschließung und auch die Medien wie die Augsburger Allgemeine und die Süddeutsche Zeitung diese Entschließung in keiner ihrer Januar-Ausgaben erwähnen.

Cemal Bozoglu schreibt in der Stadtzeitung zwar „Augsburg muss Querdenken-Protesten entschieden entgegentreten!“, aber der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs scheint ihm nicht bekannt zu sein. Es scheint ihm auch nicht bekannt zu sein, dass der Bayerische Innenminister den Beschluss des VGH in einer Pressemitteilung ausdrücklich begrüßt, weil dieser Beschluss seine Empfehlungen an die Kommunen, die schon länger vorliegen, stützt ( 12 ). Cemal Bozoglu moniert am 25. Januar, also sechs Tage nach der Entscheidung des VGH ( 13 ):

„Das Versammlungsrecht ist ein hohes und zu verteidigendes Gut in unserer Demokratie. Kritik an Corona-Bestimmungen kann in geeigneter Form gerne geäußert werden. Grundbedingung ist aber, dass die Versammlungen nicht unangemeldet stattfinden und sich die Teilnehmenden an die Auflagen halten. So wie bei anderen Kundgebungen üblich, sollten Polizei und Ordnungskräfte auch bei den Corona-Demos penibel auf die Beachtung der Corona-Schutzbestimmungen achten. … Wir erwarten eine klare Ansage aus dem Innenministerium, da wir befürchten, dass Augsburg mehr und mehr als eine „Hochburg der Coronaleugner-Szene“ wahrgenommen werden könnte. Jedes Mal, wenn Querdenker*innen aktuell geltende Regularien unbeachtet lassen und dies seitens der Polizei nicht konsequent geahndet wird, wirft das kein gutes Bild auf unsere Stadt und führt zu Nachahmung.“

Berichtigend sei hier erwähnt, dass natürlich auch spontane Demonstrationen unter bestimmten Bedingungen vom Demonstrationsrecht gedeckt sind.

Die „klare Ansage aus dem Innenministerium“, die Cemal Bozoglu verlangt, gibt es längst. Was fehlt, ist eine klare Ansage der Grünen-Fraktion im Stadtrat gegen die Linie der CSU und des Ordnungsreferenten. Da die Grünen das anscheinend nicht wagen, machen Sie lieber die Polizei zum Buhmann. Die Oberbürgermeisterin hat auf der Kundgebung des Bündnisses für Menschenwürde gezeigt, dass sie auch anders sprechen kann. Aus dieser Rede sollte ein anderer politischer Kurs resultieren. Dafür sollte sich auch das Bündnis für Menschenwürde in der Verantwortung sehen. Sehr wichtig wird wohl die weitere, kräftige Unterstützung des Bündnisses Augsburg Solidarisch sein, denn von ihm gingen (gehen) die entscheidenden Impulse aus.

Peter Feininger

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Anhänge

Anhang 1: Petition des Bündnisses für Menschenwürde

„Augsburger Erklärung“

24. Januar 2022

Wir, Bürgerinnen und Bürger der Friedensstadt Augsburg,

gedenken der vielen Menschen, die in den letzten fast zwei Jahren an Corona verstorben sind oder die durch die Überbelegung von Intensivstationen nicht oder zu spät behandelt wurden,

der Menschen, die in Alten- und Pflegeheimen am Virus oder – durch die scharfen Besuchsregeln – an Vereinsamung gestorben sind. Viele Menschen leiden nach der Erkrankung unter Long-Covid und spüren die Folgen der Erkrankung langfristig. Auch an jene Menschen denken wir, die durch die angespannte Situation psychisch erkrankt sind und manchmal keinen anderen Weg für sich finden als den Suizid.

danken den vielen Menschen, die in dieser Zeit aufopferungsvoll und gewissenhaft in den Krankenhäusern, Rettungsdiensten, in den Pflegeeinrichtungen und anderen sozialen Diensten ihre Arbeit verrichten.

Anerkennung muss sichtbar werden. Wir sind dankbar für die kreative Arbeit unter diesen Bedingungen, die unsere Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas und Kindergärten, unsere Lehrerinnen und Lehrer an ihren Schulen leisten, auch an den Hochschulen.

Wir sagen Danke an die Wissenschaft, die uns begleitet und informiert. Wissenschaftlicher Diskurs ist die Antwort auf Verschwörungstheorien.

Unser Dank geht auch an die Ordnungskräfte in dieser Stadt. Liebe Polizistinnen und Polizisten, liebe Ordnungsdienste, eure Arbeit ist wichtig.

Danke auch an den Einzelhandel, die Gastronomie und die Kreativwirtschaft, die unter Coronabedingungen ihre Auflagen erfüllen. Unsere Stadtgesellschaft sollte euch nicht vergessen.

Ein ganz großes Dankeschön geht an alle Kulturschaffenden, die durch Schließungen und Einschränkungen besonders betroffen sind. Unsere Gesellschaft sollte es gebührend honorieren. Sie haben es verdient.

respektieren andere Meinungen. Auch dem Impfen gegenüber. Angemeldete Demonstrationen sind ein demokratisches Grundrecht, das über Jahrhunderte auch in Augsburg erkämpft wurde.

Unangemeldete „Spaziergänge“ sind jedoch nicht legal. Es gibt manches an der aktuellen Corona-Politik zu kritisieren. Dafür gibt es aber andere, demokratische Wege.

sorgen uns um Veranstaltungen, die zur Spaltung aufrufen. Wir treten jenen entgegen, die Ordnungshüterinnen und Ordnungshüter beschimpfen und angreifen, die mit Verschwörungserzählungen auf Plakaten und in Videos den demokratischen Rechtsstaat in Frage stellen. Die offen gegen unsere freiheitliche Ordnung agieren. Rechtsextremistischen und identitären Parolen läuft man/frau nicht hinterher.

freuen uns auf eine Normalität, die uns Treffen mit Freundinnen und Freunden im Restaurant, Theater, Kino oder Konzerte ermöglicht, wir freuen uns auf Sportveranstaltungen und Sport in den Vereinen, Kindergeburtstage und so vieles mehr, was wir gerade vermissen.

ergreifen deshalb jetzt das Wort. Unsere Friedensstadt Augsburg hat schon schlimmere Zeiten erlebt. Aber wenn wir solidarisch sind und erkennen, dass die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo sie die Freiheit des anderen begrenzt, eröffnet sich uns der Weg, möglichst schnell aus der Pandemie herauszukommen.

Erstunterzeichner-/in:

- Bündnis für Menschenwürde Augsburg und Schwaben e. V.

- Oberbürgermeisterin Eva Weber

- Serdar Akin (Stadtrat)

- MdB Ulrike Bahr

- MdL Cemal Bozoglu

- Jürgen K. Enninger (Kulturreferent)

- Frederik Hintermayr (Bezirks- und Stadtrat)

- Melanie Hippke (Stadträtin)

- Silke Klos-Pöllinger (Vorsitzende DGB - KV Augsburg)

- Didem Karabulut (Integrationsbeirat der Stadt Augsburg)

- Josef Kirchmeir (Grüne Augsburg Vorstandsmitglied)

- Matthias Lorentzen (Stadtrat)

- Erika Mayer (BfM Vorstandsmitglied)

- Dr. Harald Munding (BfM Vorstandsmitglied)

- Heinz Paula (MdB a.D.)

- Wolfgang Peitzsch (BfM Vorstandsmitglied)

- Anna Rasehorn (Stadträtin)

- MdB Claudia Roth

- MdB Dr. Volker Ullrich

- Dr. Stefan Wagner (Stadtrat)

- Bürgermeisterin Martina Wild

- Christine Wilholm (Stadträtin)

- Hüseyin Yalcin (BfM Vorstandsmitglied)

- Bündnis 90 / Die Grünen Stadtverband Augsburg

- Die Bunten e.V.

- DIE LINKE . Kreisverband Augsburg

- VVN-BdA Kreisvereinigung Augsburg

Petition hier unterzeichnen: https://chng.it/x5hFX2NBdR

  

Anhang 2: Rede der Oberbürgermeisterin

Rede von Eva Weber auf der Gedenkveranstaltung Bündnis für Menschenwürde

Rathausplatz, 24. Januar 2022

Liebe Augsburgerinnen und liebe Augsburger,

die Pandemie hat uns inzwischen seit zwei Jahren ziemlich fest im Griff. Und vor dem März 2020 haben wir wahrscheinlich alle miteinander das Gefühl gehabt, dass wir als Gesellschaft unser Leben mit all seinen Herausforderungen und Höhen und Tiefen eigentlich ganz gut im Griff haben. Und mit dem Beginn der Pandemie haben wir gemerkt, dass es da einfach auch Herausforderungen gibt, dass 'ne Krise da ist und dass wir uns einfach auch schwertun, damit auch entsprechend gut umzugehen. Und die Krise hat uns herausgefordert. Die Stadtfamilie in ganz vielen Punkten.

Und ich möchte an allererster Stelle nochmals den 558 Verstorbenen gedenken, ihren Familien und ihren Freunden und Angehörigen, die in den letzten zwei Jahren von uns gegangen sind. Ich möchte aber auch an diejenigen denken, die seit zwei Jahren sich mit ganz viel Einsatz und ganz viel persönlicher Kraft gegen diese Pandemie stemmen. In den Krankenhäusern, in den Altenheimen, bei den Rettungsdiensten. Ich möcht‘ an diejenigen denken, die in den letzten zwei Jahren unser Land am Laufen gehalten haben. Als Beschäftigte in Kindertagesstätten, als Lehrerinnen und Lehrer, oder im Einzelhandel, ohne die Möglichkeit Homeoffice machen zu können. Ich möchte an die denken, deren Existenz bedroht ist. Beispielsweise in der Kultur oder in der Gastronomie. Es gibt viele, die unter der Pandemie leiden und deswegen denk ich auch an die Eltern, an die Alleinerziehenden, an die Alten und an die Einsamen, die wirklich auch nochmal ganz besonders unter dieser Pandemie gelitten haben.

Und diese Pandemie hat uns auch dahin gehend herausgefordert, dass die Debatten intensiver geworden sind, dass der Ton rauer geworden ist, sodass wir manche Diskussion überhaupt gar nicht mehr in Ruhe führen können. Und das bringt mich auch zu den sogenannten Corona- Demonstrationen, die sich jetzt hier schon wieder ankündigen. Es ist gut, dass wir in einem Land leben, wo Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit ganz oben stehen. Es ist gut, dass wir in einem Land leben, wo Menschen ihre Meinung auch frei sagen dürfen. Ohne dessen geachtet, dass vielleicht manche Meinung auch etwas merkwürdig ist. Wir stellen auch fest, dass in den letzten Monaten ganz oft Meinungen zu Fakten und zu Wahrheiten hochstilisiert worden sind, obwohl sie's einfach nicht sind. (Beifall)

Und was mich als Mensch aber auch als Oberbürgermeisterin so wahnsinnig beschäftigt, ist die Tatsache, was für Parolen skandiert werden auf der Straße, welche Transparente hochgehalten werden und was für ein Weltbild vermittelt wird. Und ich gehe fast davon aus, dass viele, die mitlaufen, gar nicht auf dem Schirm haben, was denn da überhaupt für Botschaften ins Schaufenster gestellt werden. Und deswegen fordere ich auch nochmal alle auf, trotzdem dass man eine eigene, eine andere Meinung haben darf – die ja auch gut ist, weil nur mit unterschiedlichen Meinungen werden wir auch besser und können Dinge auch besser miteinander aushandeln und verhandeln –, dass trotz dieser gewünschten, anderen Meinung trotzdem mal geschaut wird, mit wem gehe ich da Seite an Seite auf der Straße. (Im Hintergrund bereits zu hören die Hymne der „Spaziergänger“: Wir sind das Volk)

Ist das wirklich meine Meinung, ist das wirklich das, um was es mir geht, oder sind da Verschwörungstheoretiker am Werk, die teilweise den Staat verhöhnen und lächerlich machen und vor allem auch die stille Mehrheit in eine Ecke stellen, als seien wir diejenigen, die nicht verstanden hätten, dass man mit Solidarität und Achtsamkeit gegenüber den Mitmenschen auch entsprechend viel Gutes bewirken kann. (Beifall)

Es sind Zeiten, die uns alle entsprechend auch beschäftigen. Und ich möchte kurz an Sie alle auch nochmal appellieren, auch an diejenigen, die jetzt gleich vorbeikommen werden: Wir müssen auch nach der Pandemie als Stadtfamilie wieder zusammenleben und zusammenstehen. Und deswegen ist es auch so wichtig, dass wir miteinander verbal abrüsten. Nazi-Vergleiche oder Holocaust-Vergleiche sind sowas von deplatziert in dieser Situation. (Beifall)

Und ich glaube, wir müssen alle versuchen, miteinander auch im Gespräch zu bleiben. Die Wissenschaftler sagen, dass wir die Pandemie in diesem Jahr überwinden können, dass wir in die endemische Lage kommen. Und das ist doch eine tolle Botschaft, das ist doch auch Hoffnung, die wir auch miteinander haben können. Und diese Hoffnung, die möcht' ich auch mit Ihnen teilen.

Und jetzt gilt's nochmal: Wir als Augsburgerinnen und Augsburger, wir als Bürgerinnen und Bürger der Friedensstadt Augsburg, wir müssen in Solidarität nochmals zusammenstehen, um diese Pandemie miteinander zu überwinden. „Die stille Mehrheit muss laut werden“ hat der Bundespräsident heute gesagt und ich glaube, er hat Recht. Danke an das Bündnis für Menschenwürde für die Organisation. Danke an die Mitte der Zivilgesellschaft, die sowas hier möglich macht. Danke, dass Sie alle da sind. Und sagen Sie, dass sie die Botschaft von einem friedlichen, demokratischen Augsburg auch heute nach Hause tragen.

Herzlichen Dank
 

 

Anhang 3: Rede Personalratsvorsitzende Klinikum

Meine Kolleginnen „brauchen keine Mitbürger*innen, die lautstark ihre Freiheit einfordern und sich damit mit dem Teil der Gesellschaft entsolidarisieren, der schwach ist und alt und krank“

Redebeitrag Eva Maria Nieberle, Personalratsvorsitzende Universitätsklinikum Augsburg, Gedenkveranstaltung „Bündnis für Menschenwürde“ Augsburg 24.01.2022

Liebe Mitbürger*innen,

ich bin die Vorsitzende des Personalrates des UKA. Hier arbeiten 6.700 Menschen in den verschiedensten Berufen daran, dass Gesundheit und Wohlbefinden der Patient*innen wiederhergestellt und verbessert werden. Über 7.000 Patient*innen, die an Covid 19 erkrankt waren, wurden im UKA behandelt. Viele hunderte sind gestorben. Die Beschäftigten haben unvorstellbare Belastungen erlebt. Viele sind selbst erkrankt. Alle hatten Angst um Angehörige und Freund*innen. Ich bin selbst Intensivpflegerin. Wir sind geschult und erfahren im Umgang mit Leid und Tod.

Nun stehen Kolleg*innen vor mir, die jahrelang, teils Jahrzehnte lang professionellen Beistand geleistet haben und erzählen, dass sie es nicht schaffen, Schutzkittel, Handschuhe und Maske ohne Zittern und Herzrasen anzulegen. Immer noch müssen sie im Krankenhaus um so viele Leben kämpfen. Die Niederlagen in diesem Kampf hinterlassen Narben auf ihren Seelen und viele geben den Beruf auf, der ihnen Berufung war.

Ich habe in den letzten Wochen immer wieder Kolleg*innen gesprochen, die Verständnis für die sogenannten Spaziergänge und Demos gegen Anti-Corona-Maßnahmen zeigten. Einige beteiligten sich. Viele sind einfach nur enttäuscht und frustriert, weil ab März eine einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt. Vor allem die Angehörigen der Gesundheitsberufe verfügen über eine hohe Expertise im Infektionsschutz. Die Beschäftigten in den Krankenhäusern waren auch schon vor der Pandemie maßgeblich daran beteiligt, dass sich andere aggressive Erreger nicht unkontrolliert verbreiten. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht wird wohl keinen Beitrag zur nachhaltigen Bewältigung der Covid 19- Pandemie leisten.

Aber die überwiegende Zahl der Krankenhausbeschäftigten vertraut der Wissenschaft. Sie lassen sich impfen und boostern und testen. Sie halten sich an strengste Hygieneregeln, vor allem auch das stundenlange Tragen von FFP 2-Masken und sie halten die zusätzlichen Belastungen in ihrem Berufsalltag aus. In der Hoffnung, in einer gemeinsamen Anstrengung aus dieser Pandemie zu kommen.

Sie brauchen keine Mitbürger*innen, die lautstark ihre Freiheit einfordern und sich damit mit dem Teil der Gesellschaft entsolidarisieren, der schwach ist und alt und krank. Sie, meine Kolleg*innen im UKA, aber auch in Pflegeeinrichtungen und Altenheimen verdienen Respekt und Solidarität für ihre Arbeit. Nach einer Studie der Uni Bremen fehlen im Jahr 2030 – das ist in zehn Jahren – 180.000 Pflegekräfte in stationären Pflegeeinrichtungen und im Krankenhaus. Die jungen, gut ausgebildeten Fachkräfte, die wir nun in den nächsten Wochen verlieren könnten, würden dazu gehören. Lasst uns alle das Notwendige tun, um ohne fünfte oder sechste Welle aus dieser Krise zu kommen!

Herzlichen Dank

 

Anhang 4: Rede Geschäftsführer ver.di

„Wer nicht geimpft ist und sich nicht an die Corona-Regeln hält, kann dazu beitragen, dass Mitmenschen, die zu vulnerablen Gruppen gehören, schwer krank werden oder im Zweifel sterben“

Rede Erdem Altinisik, Geschäftsführer verdi Augsburg, Gedenkveranstaltung „Bündnis für Menschenwürde“ Augsburg 24.01.2022

Liebe Mitbürger*innen,

wir stehen heute hier, um für mehr Solidarität gerade jetzt in der schwierigen Zeit zu werben. Wir haben das Glück in einer friedlichen, freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft leben zu dürfen.

Ein Eckpfeiler für diese friedliche, freiheitliche und demokratische Gesellschaft ist die Solidarität. Insbesondere in den letzten drei Jahrzehnten macht sich allerdings verstärkt die Denke von individuellem Materialismus breit. Die Wirtschaft und damit die Werbung trägt ihren Teil dazu bei immer ansprechendere und luxuriösere Produkte zu bewerben. Immer mehr steht alleine das „Ich“ im Vordergrund. Das „Wir“ als Gesellschaft spielt nur dann eine Rolle, wenn es einem selbst zum Vorteil gereicht. Es werden die Ellbogen ausgefahren, damit man für sich einen materiellen Vorteil erreichen kann.

Dass das Leben mehr als aus materiellen Gütern besteht, zeigt sich insbesondere jetzt. In der Pandemie geht es um Elementares, es geht um das Leben, es geht um die Gesundheit!

Und nicht nur um das eigene Leben oder die eigene Gesundheit, sondern auch um diejenige, die um einen sind, die man liebt oder auch gar nicht kennt. Es geht auch um die Arbeitskolleg*innen, es geht um Verkäuferin im Supermarkt, es geht um die Erzieherin oder Lehrerin der Kinder, es geht um die Pflegekräfte, und viele viele andere mehr.

Es geht eigentlich gar nicht so sehr um sich selbst, sondern um die Frage, was kann ich tun, damit andere keinen Schaden nehmen. Und da ist wissenschaftlich belegt, dass man durch die Impfung einen sehr großen Beitrag für sich und die Gesellschaft erbringen kann. Eines darf man nicht aus dem Auge verlieren: Wer nicht geimpft ist und sich nicht an die Coronaregeln hält, kann dazu beitragen, dass Mitmenschen, die zur vulnerablen Gruppe gehören, schwer krank werden oder im Zweifel sterben.

Am Anfang meiner Rede habe ich gesagt: Wir haben das Glück in einer friedlichen, freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft zu leben. Das bedeutet aber nicht, dass jeder tun und lassen kann, was er/sie möchte. In einer Gesellschaft ist es eine Grundregel, dass meine Freiheiten nur soweit gehen, bis ich die Freiheiten und Güter eines Mitmenschen tangiere. Deswegen ist es wichtig, dass wir jede Möglichkeit nutzen um andere zu schützen.

Ich habe Verständnis dafür, dass die Entscheidung für eine Impfung für einige Menschen nicht einfach ist. Es wird in vielen Fällen auch mit der enormen Informationsflut zusammenhängen, die insbesondere durch die sozialen Medien eine vollkommen neue Dimension erhalten hat.

Explosionsartig breiten sich als Information getarnte Behauptungen aus. Das Smartphone macht immer wieder bing, bing und weist unaufhörlich auf neue Posts hin.

Das Problem ist, dass die allermeisten von uns keine Virolog*innen oder Mediziner*innen sind, sodass wir für die sachliche und fachliche Beurteilung von Mitteilungen gar nicht in der Lage sind.

Gleichzeitig beeinflussen die Vielzahl von Informationen und Behauptungen die Menschen, entweder in der Weise, dass Menschen verunsichert werden oder noch schlimmer, dass Menschen eine Verschwörung hinter all dem sehen. Erfolgsversprechender wäre es eigentlich die Ärztin den Arzt des Vertrauens zum Thema Impfung zu fragen.

Denn eines muss man auch sehen: Diese Verschwörungstheorien spielen geraden Rechtsextremen in die Karten. Sie sind daran interessiert die Demokratie abzuschaffen. Die Rechtsextremen profitieren von der Wut der Impfgegner gegenüber vermeintliche Schuldigen wie Wissenschaftler, Ärzte und Politiker. Gleichzeitig spielen bei dem Thema Verschwörungstheorien die Antisemiten eine große Rolle. Sie sind es, die auf verachtenswerten Weise sich einen Davidstern mit der Aufschrift ungeimpft auf die Brust nähen. Das ist völlig irrational, menschenverachtend und verharmlost die Gräuel des Nationalsozialismus.

Meinungsfreiheit ist nicht umsonst ein hohes, verfassungsrechtlich geschütztes Gut. Aber man darf nicht die Augen davor verschließen, dass man zusammen mit Rechtsextremen und Antisemiten spaziert und diese dadurch stärkt.

Ich würde mir wünschen, dass bei der Frage, wie wir durch die Pandemie kommen, nicht nur das „Ich“ entscheidend ist, sondern auch das Wohl der Mitmenschen!

Vielen Dank

 

Anhang 5: Antrag soziale Fraktion 13.1.2022

unangemeldete Versammlungen verbieten

ANT/22/07139  SPD/DIE LINKE - die soziale fraktion / Pettinger, Christian  13.01.2022

Beschlussvorschlag:

Die Verwaltung wird beauftragt, diese Art von unangemeldeten Versammlungen per Allgemeinverfügung (wie in München) zu untersagen.

Begründung/Bericht:

In Augsburg kamen in den vergangenen Wochen immer wieder Menschen zu sogenannten „Corona-Spaziergängen“ zusammen und protestierten gegen die Maßnahmen der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung zur Eindämmung der Pandemie. Nach unserem Kenntnisstand wurden die als „Spaziergänge“ bezeichneten Demonstrationen / Kundgebungen nicht von einem Veranstalter angemeldet. …

Genauso wie andere Grundrechte kann aber auch die Versammlungsfreiheit unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden. So unterliegt eine „Versammlung“ im Sinne des Grundgesetzes immer mehreren Bedingungen: Sie muss friedlich sein, darf also keinen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nehmen. Auch muss sie ohne Waffen stattfinden. Darüber hinaus müssen laut Versammlungsgesetz Demonstrationen unter freiem Himmel mindestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe, dass sie stattfinden sollen, bei der zuständigen Behörde angemeldet werden. Zudem muss ein „Versammlungsleiter“ benannt werden. Diesen Voraussetzungen werden die „Corona-Spaziergänge“ nicht immer gerecht.

Durch die sog. Spaziergänge ist aus unserer Sicht die öffentliche Ordnung nachhaltig gestört. Das sehen auch andere Kommunen in Deutschland so, darunter auch die Landeshauptstadt München. München zeigt hier eine klare Kante und verbietet per Allgemeinverfügung alle nicht angemeldeten Demonstrationen. …

 

Anhang 6: Antrag soziale Fraktion 27.1.2022

Antrag Corona-Versammlungen

SPD/DIE LINKE - die soziale fraktion. „SPD/DIE LINKE Antrag Corona-Versammlungen“, 27. Januar 2022. https://spd-dielinke-augsburg.de/antrag-corona-versammlungen/ .

Dieser Antrag fand nicht mehr Eingang in die offizielle Sitzungsmappe der Stadtratssitzung am 27. Januar 2022 und auch nicht in die veröffentlichte Tagesordnung

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

seit einigen Wochen finden in unserer schönen Friedensstadt sog. „Corona-Demos“ oder „Spaziergänge“ mehrmals die Woche statt, die wir mit wachsender Sorge beobachten und daher schon einige Anfragen hierzu eingereicht haben.

Gleichzeitig steigt leider unsere Inzidenzzahl von Tag zu Tag und liegt mittlerweile über 1.000. Unsere Krankenhäuser sind seit zwei Jahren im absoluten Ausnahmezustand und auch in Augsburg müssen Operationen aufgrund der Belegung von Intensivbetten von Corona-Patient*innen verlegt werden. Umso wichtiger ist es jetzt, sich solidarisch zu zeigen, Maske zu tragen, Abstand zu halten und sich impfen zu lassen, um die Pandemie einzudämmen und unsere Krankenhäuser zu entlasten.

Natürlich ist die Versammlungsfreiheit weiterhin in Artikel 8 GG garantiert und muss, wie wir schon in unserer Anfrage vom 13.01.2022 angemerkt haben, auch in Pandemiezeiten gewährleistet werden. Genauso wie andere Grundrechte kann aber auch die Versammlungsfreiheit unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt bzw. mit einzuhaltenden Auflagen behaftet werden. Beispielsweise sind Versammlungen derzeit von den Einschränkungen aufgrund des Corona-Virus gemäß der aktuellen Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung betroffen. Dazu hat das bayerische Innenministerium schon vor geraumer Zeit den Kommunen eine Mustervorlage für den Erlass einer Allgemeinverfügung zum Versammlungsrecht zur Verfügung gestellt, die das Tragen einer Maske bei gleichzeitigen Abstandhalten bei Versammlungen als Auflage ermöglicht. Falls diese Auflagen nicht eingehalten werden, ist die Polizei und die Ordnungsbehörde berechtigt, Bußgelder zu verhängen, Teilnehmende auszuschließen oder als Ultima Ratio die Versammlung aufzulösen. Es sei in diesem Zusammenhang auch auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 29.12.2021, M 13 S 21.6688 hingewiesen, welches die Anordnung einer Maskenpflicht von Art. 9 Abs. 1 S. 2 15. BayIfSMV i.V.m. Art. 15 BayVersG gedeckt ansah.

Leider stellen wir seit Beginn dieser „Spaziergänge“ und „Corona-Demos“ fest, dass die Regeln zur Eindämmung der Pandemie oder andere Auflagen, die bei einer Versammlung gang und gebe sind, schlicht ignoriert werden. Während andere Kundgebungen seit zwei Jahren strikt an Abstände und Masken erinnert werden (z.B. die Black-Lives-Matter-Kundgebungen im vergangenen Jahr oder die Demo gegen die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen am 24. Oktober 2021) und diese auch einhalten, kann man den Eindruck gewinnen, dass bei den „Corona-Demos“ nur zugeschaut wird. Es entsteht das Gefühl, dass man aufgegeben hat, die Regelungen zum Infektionsschutz bei diesen Versammlungen durchzusetzen, weil die Anzahl an Verstößen so enorm ist. Dies stößt bei der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, welche sich seit 2 Jahren an die Regeln halten, – zu Recht – immer mehr auf Unverständnis und wirft ein schlechtes Licht auf unsere Stadt. Es wird auch schon in verschiedenen Telegramkanälen der Coronaleugner*innen und Impfgegner*innen nach Augsburg geworben, da andere Städte wie München, Starnberg oder Nürnberg strenger mit ihrem Ordnungsrecht verfahren.

So konnten viele von uns bei der Kundgebung des Bündnisses für Menschenwürde, die am Montag, 24.01.2022 um 19 Uhr auf dem Rathausplatz stattfand, live miterleben, dass von der „Corona-Demo“ sowohl Auflagen für Kundgebungen der Stadt Augsburg als auch gesundheits- und sicherheitsrechtliche Maßnahmen nicht eingehalten wurden. Beispielsweise wurden Abstände zu anderen Teilnehmenden nicht gewahrt, kaum bis keine Masken getragen, einige Hunde mitgeführt und die Kundgebung des Bündnisses teilweise durch ausscherende Demonstrationsteilnehmende gestört.

Um das Grundrecht der Gleichbehandlung (Art. 3 I GG) und unser aller Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II GG) zu wahren und um zu verhindern, dass Augsburg ein Hotspot für Coronaleugner*innen, Querdenker*innen und Impfgegner*innen wird, stellen wir folgende Anträge:

Die Verwaltung wird beauftragt, eine Allgemeinverfügung zu erlassen, welche die Auflage im Sinne der Mustervorlage der Allgemeinverfügung des bayerischen Innenministeriums umsetzt, dass bei Versammlungen Abstände von 1,5 Meter einzuhalten UND Masken zu tragen sind.

Die Ordnungsbehörde wird beauftragt, bei jeder Versammlung verstärkt präsent zu sein und Bußgelder bei Missachtung der Auflagen zu verhängen. Falls sich dem widersetzt wird, sind härtere, verhältnismäßige Mittel wie Verwarnungen oder die Auflösung auszusprechen.

Das Ordnungsamt und die Polizei wird zur Stadtratssitzung im Februar und März 2022 berichten, wie sich die Versammlungen entwickeln und welche Beobachtungen sie getätigt haben.

Mit freundlichen Grüßen

Die DAZ schreibt dazu ( 14 ): „update: Nach einer langen und konstruktiven Diskussion zu den Corona-Protesten in der Stadt Augsburg stimmte der Stadtrat nicht über den Antrag ab, da die Zuständigkeit bei der Kreisverwaltungsbehörde liege – nicht beim Stadtrat.“

 

Anhang 7: Interview bayerischer Innenminister

„Eine Demonstration ist kein Spaziergang“

Herrmann, Joachim, und Uli Bachmeier. „‚Eine Demonstration ist kein Spaziergang‘ Interview Bayerns Innenminister Joachim Herrmann ist davon überzeugt, dass sich Behörden und Polizei bei Protesten von spitzfindigen Querdenkern und Impfgegnern nicht auf der Nase herumtanzen lassen müssen.“ Augsburger Allgemeine, 5. Januar 2022.

Auszüge:

Herrmann: Für den Vollzug des Versammlungsrechts sind zunächst einmal die Kreisverwaltungsbehörden zuständig, also die kreisfreien Städte oder die Landratsämter. Sie haben in der Beurteilung der Situation vor Ort einen gewissen rechtlichen Spielraum. Jede Situation muss vor Ort und im Einzelfall betrachtet und entschieden werden. Zur Unterstützung der Kommunen haben wir den Städten und Landkreisen Empfehlungen an die Hand gegeben, wie mit dem neuen Phänomen umgegangen werden sollte und was alles bedacht werden muss. …

Hinzu kommt hier noch eine Besonderheit der Corona-Zeit: Die Behörden müssen bei Versammlungen auch darauf achten, dass die Vorschriften zum Infektionsschutz wie das Abstandsgebot oder die im Einzelfall angeordnete Maskenpflicht eingehalten werden. …

Und wenn die Behörde den Veranstalter einer nicht angemeldeten Versammlung gar nicht kennt?

Herrmann: Dann kann sich eine Kreisverwaltungsbehörde – und gerade darauf habe ich explizit hingewiesen – beim Erlass einer entsprechenden Allgemeinverfügung auch auf Erkenntnisse in sozialen Medien beziehen. Die betroffene Stadt kann zum Beispiel anordnen, dass auf einem bestimmten Platz oder auf bestimmten Straßen nicht demonstriert werden oder dass nur eine begrenzte Zahl von Menschen teilnehmen darf oder dass Abstände eingehalten werden und Masken getragen werden müssen.

Machen die Kreisverwaltungsbehörden von diesen Möglichkeiten Gebrauch?

Herrmann: Ja, und das führt auch zu geordneten Strukturen, wie man vergangene Woche in München beobachten konnte. …

Der Staat blieb in München, wo sich vergangenen Donnerstag rund 5000 Demonstranten in der Innenstadt zu „Spaziergängen“ versammelten, Herr der Lage. Es gab – gestützt auf die Allgemeinverfügung – mehr als 700 Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten und 1300 Platzverweise.

Herrmann: Genau. Die rechtliche Grundlage dafür war die Allgemeinverfügung. Wird gegen sie verstoßen, können beispielsweise Personalien festgestellt und Bußgeldbe scheide erlassen werden.

 

Anhang 8: Beschluss Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Versammlungsrecht: Verbot unangemeldeter Versammlungen gegen Corona Maßnahmen durch Allgemeinverfügung bei tragfähiger Gefahrenprognose zulässig

Landesanwaltschaft Bayern. „Versammlungsrecht: Verbot unangemeldeter Versammlungen gegen Corona Maßnahmen durch Allgemeinverfügung bei tragfähiger Gefahrenprognose zulässig, Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, Az. 10 CS 22.162 rechtskräftig“, 19. Januar 2022. https://www.landesanwaltschaft.bayern.de/media/themenbereiche/oeffentliche_sicherheit_und_
ordnung/2022-01-21_versammlungsrecht.pdf
.

Auszüge:

LANDESANWALTSCHAFT BAYERN

21.01.2022

Wichtige neue Entscheidung

Versammlungsrecht: Verbot unangemeldeter Versammlungen gegen Corona-Maßnahmen durch Allgemeinverfügung bei tragfähiger Gefahrenprognose zulässig

Art. 13, Art. 15 BayVersG

Allgemeinverfügung zu Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen

Verbot von (unangemeldeten) Versammlungen aus Gründen des Infektionsschutzes Anforderungen an die Gefahrenprognose

Verhältnismäßigkeit

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 19.01.2022, Az. 10 CS 22.162

Orientierungssatz der LAB:

Versuchen Organisatoren und Teilnehmer von Protesten gegen Corona-Maßnahmen systematisch, von ihnen als unzumutbar empfundene versammlungsrechtliche Beschränkungen im Hinblick auf Ort, Ortsfestigkeit, Maskenpflicht und Abstände durch die fehlende Anmeldung von Versammlungen zu umgehen, kann dies im Einzelfall die Gefahrenprognose tragen, dass von solchen Versammlungen nicht vertretbare und nicht durch mildere Mittel als ein präventives Versammlungsverbot bewältigbare Infektionsgefahren ausgehen. In diesem Fall können Versammlungsverbote durch Allgemeinverfügung in Betracht kommen.

Hinweis:

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat mit Beschluss vom 19.01.2022 auf die Beschwerden der Landeshauptstadt München sowie der Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses hin einen Beschluss des Verwaltungsgerichts München abgeändert und einen Eilantrag gegen die „Allgemeinverfügung vom 13.01.2022 zu Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen" der Landeshauptstadt München abgelehnt. Die Landeshauptstadt München hatte damit zeitlich befristet im gesamten Stadtgebiet entsprechende Versammlungen untersagt, sofern die Anzeige- und Mitteilungspflicht nach Art. 13 BayVersG nicht eingehalten ist.

Der BayVGH stützt die Entscheidung auf seine ständige Rechtsprechung zur infektionsschutzrechtlichen Vertretbarkeit von Versammlungen, die – jedenfalls nach summarischer Bewertung im Eilverfahren – auch nach dem Ende der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ weiter zu Anwendung kommen kann (Rn. 19 und 20). Vgl. dazu bereits den Beschluss des Senats vom 17.01.2022 und unsere dazu veröffentliche „Wichtige neue Entscheidung“ vom 19.01.2022.

Danach sind Versammlungsverbote zulässig, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch absehbare Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist und sich diese Gefahr nicht durch Beschränkungen im Sinne von § 28a Abs. 7 Satz 1 IfSG auf ein vertretbares Maß reduzieren lässt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn aufgrund des Versammlungsthemas, des zu erwartenden Teilnehmerkreises und weiterer Umstände des Einzelfalls konkret zu erwarten ist, dass solche Beschränkungen systematisch nicht beachtet werden (vgl. zuletzt BayVGH, Beschluss vom 17.01.2022, Az. 10 CS 22.126, juris Rn. 15).

Anders als das Verwaltungsgericht bewertet der BayVGH die entsprechende Gefahrenprognose der Landeshauptstadt München jedoch als tragfähig (Rn. 21 f.). Die Versammlungsbehörde hat die Allgemeinverfügung insoweit auf umfangreiche und aussagekräftige Einsatzberichte der Polizei zu vorhergehenden Versammlungen im Stadtgebiet München gestützt und diese Basis der Gefahrenprognose in der Antragserwiderung gegenüber dem Verwaltungsgericht zusätzlich vertieft. Danach ist es in jüngster Vergangenheit bei Protestaktionen gegen Corona-Maßnahmen bzw. sogenannten „Spaziergängen" mit Versammlungscharakter zu flächendeckenden und systematischen Unterschreitungen der gesetzlichen Mindestabstände bei fehlenden Schutzmasken, aggressiven Reaktionen Betroffener bei entsprechenden polizei- lichen Ansprachen bis hin zu körperlichen Angriffen auf Polizeibeamte sowie immer wieder unkontrollierbaren Ausweichbewegungen in Nebenstraßen und auf öffentliche Straßen gekommen. Die Demonstrierenden haben in der ganz überwiegenden Mehrheit keinerlei Bereitschaft zu einer geordneten Durchführung einer Versammlung unter Beachtung erforderlicher Hygieneregeln gezeigt.

… lassen daher auch aus Sicht des BayVGH den Schluss zu, dass es den Organisatoren und den Versammlungsteilnehmern gerade nicht um eine Kooperation mit den Behörden im Sinne des Infektionsschutzes, sondern nur noch um die Durchsetzung ihrer Vorstellungen geht. Die neue Strategie der Organisatoren und des mit ihnen verbundenen, von der Allgemeinverfügung adressierten Personenkreises sei daher ganz offensichtlich auf systematische Missachtung bzw. Umgehung von Beschränkungen gerichtet. …

Weiter hält der BayVGH ausdrücklich fest, dass die „flächenhafte" Geltung des Verbots nicht angezeigter Versammlungen im gesamten Stadtgebiet der Landeshauptstadt München nur die rechtlich nicht zu beanstandende Konsequenz der Strategie der Organisatoren darstellt, für die Versammlungsbehörde und die Polizei auch in örtlicher Hinsicht möglichst unberechenbar zu sein, um mögliche Beschränkungen und die Durchsetzung von Schutzmaßnahmen zu verhindern (Rn. 27).

Die Entscheidung des BayVGH ist in ihrer Klarheit nachdrücklich zu begrüßen. Sie zeigt eindeutig auf, dass die Versammlungsbehörden bei entsprechend tragfähiger Gefahrenprognose auch systematischen Versuchen, Beschränkungen im Hinblick auf Versammlungsort, Ortsfestigkeit, Maskenpflicht und Abstände zu umgehen, einen Riegel vorschieben können, um Infektionsgefahren im Zusammenhang mit Versammlungsgeschehen – den gesetzlichen Wertungen folgend – soweit als möglich zu vermeiden. …

Höfler

Oberlandesanwalt

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Begründung

19

Dementsprechend kann die zuständige Behörde gem. Art. 15 Abs. 1 BayVersG eine Versammlung verbieten oder beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst dabei die Unverletzlichkeit und den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen und Ehre des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und den Bestand der staatlichen Einrichtungen (BVerfG B. v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 – BVerfGE 69, 315). Mit der Aufnahme von Versammlungsbeschränkungen in den Katalog möglicher Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) gemäß § 28a Abs. 1 IfSG hat der Gesetzgeber die Wertung vorweggenommen, dass solche Beschränkungen grundsätzlich geeignet sind, Gefahren für die Gesundheit und das Leben Einzelner zu begegnen und einer Überlastung des Gesundheitssystems entgegenzuwirken (vgl. § 28 Abs. 3 Satz 1 IfSG; BayVGH, B.v. 31.1.2021 – 10 CS 21.323 – Rn. 17 ff.). Auf dieser Grundlage muss nach § 9 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV bei Versammlungen unter freiem Himmel zwischen allen Teilnehmern ein Mindestabstand von 1,5 m gewahrt werden. Nach Satz 2 haben die gemäß Art. 24 Abs. 2 BayVersG zuständigen Behörden erforderlichenfalls sicherzustellen, dass die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein vertretbares Maß beschränkt bleiben. Diese Bestimmungen konkretisieren auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 28a IfSG (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2020 – 10 CS 20.2103 – juris Rn. 7).

20

b) Der Senat geht bei der aus Zeitgründen nur möglichen summarischen Prüfung davon aus, dass vieles dafür spricht, dass Versammlungsverbote auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 1 BayVersG auch durch die aktuell geltenden Regelungen des IfSG nicht ausgeschlossen sind. § 28a Abs. 1 Nr. 10 i.V.m. Abs. 7 Satz 1 i.V.m. Abs. 8 Satz 1 letzter Halbsatz Nr. 3 IfSG ist so auszulegen, dass Versammlungsverbote nicht allein deswegen erlassen werden dürfen, weil jede Versammlung zwangsläufig zu infektionsschutzrechtlich unerwünschten Kontakten führt. Die Regelungen stehen jedoch Versammlungsverboten im Einzelfall nicht entgegen, wenn eine konkrete Gefahrenprognose ergibt, dass bei Durchführung der Versammlung die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch absehbare Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus unmittelbar gefährdet ist und sich diese Gefahr nicht durch Beschränkungen im Sinne von § 28a Abs. 7 Satz 1 IfSG auf ein vertretbares Maß reduzieren lässt (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2022 – 10 CS 22.126 – Leitsatz). …

24

… in hinreichend aussagekräftiger Form Angaben zu den Versammlungsgeschehen … die erkennen lassen, dass die Versammlungsteilnehmer – insbesondere bei früheren unangemeldeten Versammlungen – systematisch und in großer Zahl versuchen, die von ihnen als unzumutbar empfundenen Beschränkungen im Hinblick auf Versammlungsort, Ortsfestigkeit, Maskenpflicht und Abstände zu umgehen.

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1 Kramer, Max. „Bündnis gedenkt Augsburgs Opfern der Pandemie – parallel läuft Demo. Kundgebungen. Auf dem Rathausplatz versammeln sich rund 120 Menschen, um der mehr als 550 Corona-Toten zu gedenken.“ Augsburger Allgemeine, 25. Januar 2022.

2 Siehe: Feininger, Peter. „Zweite Kundgebung des Bündnisses ‚Augsburg Solidarisch‘, 10. Januar ‚Der ständige Kampf um Leben in einer regelrechten „Lazarett-Situation“ ist brutal … eine derartige Krisensituation verlangt den Beschäftigten das Äußerste ab!‘ Das Augsburger Bündnis für Menschenwürde wäre jetzt gefragt, um den DGB und den Stadtrat zu einer politischen Erklärung gegen die Corona-Leugner zu ermutigen“. Forum solidarisches und friedliches Augsburg, 22. Januar 2022. https://www.forumaugsburg.de/s_3themen/Antifa/220121_kundgebung-augsburg-solidarisch-10.1.2022/index.htm .

3 Krog, Stefan. „Protest und Gegenprotest: So lief die Corona-Demo. Innenstadt Mehrere Tausend Menschen demonstrieren gegen Pandemie-Regeln. 200 stellen sich ihnen entgegen.“ Augsburger Allgemeine, 24. Januar 2022.

4 „Es scheint wie eine Umkehrung der Verhältnisse: Die Kritiker und Kritikerinnen der Corona-Maßnahmen sind bei den Demonstrationen durch Augsburg in der Mehrheit, vergleicht man sie zahlenmäßig mit dem kleinen Häuflein von Gegendemonstrantinnen und -demonstranten.“ Prestle, Nicole. „Kommentar: Die Bereitschaft zum Protest ist gewachsen“. Augsburger Allgemeine, 24. Januar 2022.

5 Pfeil, Martin. Augsburg Solidarisch – FAIRDENKEN! IMPFEN SCHÜTZT UNS ALLE! Filmproduktion Matin Pfeil - Channel Welcome, 2022. https://www.channel-welcome.de/sendungen/beitraege/augsburg-solidarisch-fairdenken-impfen-schuetzt-uns-alle/ .

6 Stefan Krog. „Fehlender Abstand auf Corona-Demos sorgt für Kritik.Pandemie. Die Stadt schreibt für die Kundgebungen Abstand zwischen Teilnehmern vor. Vor Ort interessiert das aber kaum. Teile des Stadtrats wollen ein entschiedeneres Vorgehen.“ Augsburger Allgemeine, 29. Januar 2022.

7 Ebd.

8 Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration. „• Herrmann begrüßt Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu ‚Corona-Spaziergängen‘ (20.01.2022) • Herrmann: Kommunen müssen als ‚Spaziergänge‘ getarnte Querdenker-Demonstrationen nicht dulden (24.12.2021), Corona-Pandemie: Pressemitteilungen“, Januar 2022. https://www.corona-katastrophenschutz.bayern.de/massnahmen/index.php .

9 Zagler, Siegfried. „Corona-Demos: Stimmt der Stadtrat heute für eine konsequente Allgemeinverfügung?“ Die Augsburger Zeitung DAZ. Zugegriffen 29. Januar 2022. https://www.daz-augsburg.de/corona-demos-stimmt-der-stadtrat-heute-fuer-eine-konsequente-allgemeinverfuegung/ .

10 Stefan Krog. „Fehlender Abstand auf Corona-Demos sorgt für Kritik.Pandemie. Die Stadt schreibt für die Kundgebungen Abstand zwischen Teilnehmern vor. Vor Ort interessiert das aber kaum. Teile des Stadtrats wollen ein entschiedeneres Vorgehen.“ Augsburger Allgemeine, 29. Januar 2022.

11 Zagler, Siegfried. „Kommentar zu den Augsburger Corona-Protesten: Warum die Strategie der Stadt falsch ist“. Die Augsburger Zeitung DAZ, 25. Januar 2022. https://www.daz-augsburg.de/kommentar-zur-augsburger-corona-politik-die-stadt-ist-auf-dem-falschen-weg/ .

12 Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration. „• Herrmann begrüßt Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu ‚Corona-Spaziergängen‘ (20.01.2022) • Herrmann: Kommunen müssen als ‚Spaziergänge‘ getarnte Querdenker-Demonstrationen nicht dulden (24.12.2021), Corona-Pandemie: Pressemitteilungen“, Januar 2022. https://www.corona-katastrophenschutz.bayern.de/massnahmen/index.php.

13 Bozoglu, Cemal. „Augsburg muss Querdenken-Protesten entschieden entgegentreten! Lesereporter“. Stadtzeitung Augsburg online, 25. Januar 2022. https://www.staz.de/region/augsburg-stadt/politik/augsburg-muss-querdenken-protesten-entschieden-entgegentreten-id234126.html .

14 Zagler, Siegfried. „Corona-Demos: Stimmt der Stadtrat heute für eine konsequente Allgemeinverfügung?“ Die Augsburger Zeitung DAZ. Zugegriffen 29. Januar 2022. https://www.daz-augsburg.de/corona-demos-stimmt-der-stadtrat-heute-fuer-eine-konsequente-allgemeinverfuegung/ .


   
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