Gespräch mit Michael Hudson

Das Schicksal der Zivilisation. Finanzkapitalismus, Industriekapitalismus oder Sozialismus

Wie China aus der Dollar-Falle ausbrechen und eine höhere Form der Zivilisation etablieren kann

4.12.2022

Industriekapitalismus
Finanzkapitalismus
„Neoliberalismus hat immer bedeutet, den Staat loszuwerden“
Den Dollarstandard beibehalten und verarmen oder der BRICS-Bank beitreten
     BRICS
     BRICS+
     BRICS-Bank / New Development Bank (NDB)
„China hat das Industrieprogramm verwirklicht, das in den Vereinigten Staaten gescheitert ist“
Die USA „haben das dollarbasierte System des internationalen Zahlungsverkehrs in eine Möglichkeit verwandelt, andere Länder dazu zu bringen, ihre globalen Militärausgaben zu finanzieren“
Wie China aus der Dollar-Falle ausbrechen und zu einer höheren Form der Zivilisation kommen kann

Anhang: Dokument 1: Das Schicksal der Zivilisation: Michael Hudson über Finanzkapitalismus, die wirtschaftlichen Folgen der Ukraine und das Ende der Globalisierung
Anhang: Dokument 2: Die Menschheit teilt eine gemeinsame Perspektive: Barbarei oder ökologische Zivilisation, von Wen Tiejun

zur Druckversion  


Anfang August hat Eric Draitser auf CounterPunch ein langes Gespräch mit Michael Hudson veröffentlicht. Eric Draitser gab dem Artikel den Titel „Das Schicksal der Zivilisation: Michael Hudson über Finanzkapitalismus, die wirtschaftlichen Folgen der Ukraine und das Ende der Globalisierung“. Michael Hudson, ein hochrangiger Ökonom, Banker, Berater und Wirtschaftshistoriker brachte dabei seine ökonomische Theorie, die er in mehreren Büchern ausführlich dargestellt hat, auf den Punkt.

Sein wohl berühmtestes Buch Super Imperialism: The Economic Strategy of American Empire ist ein Klassiker, der bereits 1972 erschien, second edition 2003. Es kann auf der Homepage von Michael Hudson kostenlos heruntergeladen werden ( 1 ), die deutsche Übersetzung trägt den Titel Finanzimperialismus: die USA und ihre Strategie des globalen Kapitalismus und erschien 2017( 2 ). 50 Jahre nach der Veröffentlichung von Super Imperialism legte Michael Hudson im Mai dieses Jahres noch ein mal eine aktualisierte Zusammenfassung seiner Theorie vor unter dem Titel The Destiny of Civilization: Finance Capitalism, Industrial Capitalism or Socialism ( 3 ) , ü bersetzt Das Schicksal der Zivilisation. Finanzkapitalismus, Industriekapitalismus oder Sozialismus .

Im Anhang dieses Artikels haben wir wichtige Passagen aus dem Gespräch Michael Hudsons mit Eric Draitser auf CounterPunch übersetzt (siehe Dokument 1: Das Schicksal der Zivilisation: Michael Hudson über Finanzkapitalismus, die wirtschaftlichen Folgen der Ukraine und das Ende der Globalisierung ). Wir wollen das nicht noch einmal zusammenfassen, sondern hier nur auf zentrale Thesen von Michael Hudson hinweisen und einige sachliche Erläuterungen bringen. Erstaunlich und beschämend ist, dass die hiesigen Linken – im weitesten Sinn – von der Theorie Michael Hudsons keine Kenntnis nehmen, obwohl sie seit einem halben Jahrhundert vorliegt.

Michael Hudson unterscheidet im Wesentlichen zwischen Industriekapitalismus und Finanzkapitalismus. Diese Unterscheidung wollen wir in zwei Zitaten aus seinem Gespräch mit CounterPunch verdeutlichen:

Industriekapitalismus

„Nun, in den meisten Lehrbüchern wird der Industriekapitalismus so dargestellt, als ob die Funktion der Banken darin bestünde, Kredite an Fabriken zu vergeben, damit diese Anlagen und Ausrüstungen bauen und mehr Arbeitskräfte einstellen, um Waren zu produzieren und die Wirtschaft am Laufen zu halten, und das war es, was jeder im späten 19. Jahrhundert von den Banken erwartete. Man erwartete, dass die Banken aufhören würden, nur Kredite an Regierungen zu vergeben und räuberisch zu sein, und irgendwie Teil der industriellen Wirtschaft werden würden. Und das geschah in Deutschland bis zum Ersten Weltkrieg, aber nach dem Zweiten Weltkrieg schlugen die Rentiers ( 4 ) zurück. Es kam zu Fusionen zwischen Banken und Immobilienunternehmen. Der Kampf der klassischen Ökonomie und des industriellen Kapitalismus bestand darin, die Klasse der Vermieter loszuwerden, alles loszuwerden, was die Lebenshaltungskosten für die Arbeiter erhöhte, so dass sie den Arbeitern weniger zahlen konnten, und nicht darin, den Lebensstandard der Arbeiter zu senken. Denn sie wussten, wenn man Arbeitskräfte anstellt und eine hohe Produktivität haben will, diese gut ernährt, gut ausgebildet und gut gekleidet sein müssen und eine gute Unterkunft haben müssen. Die industrielle Klasse in Amerika und in Deutschland wollte, dass der Staat so viele dieser Kosten wie möglich übernimmt. Sie wollten, dass der Staat für die Bildung aufkommt, und so war es auch in den Vereinigten Staaten. In England wollte man, dass der Staat für die Gesundheitsversorgung aufkommt, und es war ein konservativer Premierminister, Benjamin Disraeli, der sagte: ‚… Gesundheit ist alles, das ist es, was wir wirklich tun müssen‘. So gab es in Deutschland unter Bismarck ein öffentliches Gesundheitswesen und eine öffentliche Rentenversicherung, um die industrielle Arbeiterklasse zu stärken. Und das Ziel war, jede industrielle Wirtschaft in eine Niedrigkostenwirtschaft zu verwandeln, indem man die Rentiers und die Grundbesitzer loswurde. Man braucht keine Klasse, die nur Einkommen kassiert, ohne zur Produktion beizutragen. Man braucht keine Bankenklasse, man braucht keine Monopolisten.“

Man beachte: Die industrielle Wirtschaft braucht keine Monopolisten, aber sie braucht und will einen Sozialstaat. Das sind Thesen, bei denen sich dem landläufigen (deutschen) Marxisten der Magen umdreht.

Finanzkapitalismus

Hudson geht sogar noch weiter und legt nahe, dass sich der industrielle Kapitalismus auf natürliche Weise zum Sozialismus entwickle. Hudson widerspricht offensichtlich auch der marxistisch-leninistischen These eines Monopolkapitals, das aus einer Verschmelzung von industriellem und Bankkapital besteht. Bei Hudson ist es die Verschmelzung von Finanzwirtschaft, Banken und Immobilienwirtschaft unter der Fuchtel unproduktiver Rentiers.

Diese Klasse steht im Widerspruch und Kontrast zum industriellen Kapital. Es handelt sich keineswegs um eine Weiterentwicklung des industriellen Kapitals, sondern die Rentier-Klasse führt zur Deindustrialisierung und strebt diese auch bewusst an. Das sind scharfe Thesen, die man anhand der Texte von Michael Hudson und anderen noch einmal genau überprüfen sollte. Wahrscheinlich muss man aus den USA stammen, wenn man zu einer solchen Theorie kommt, weil man dort dies alles vor Augen hat – Superimperialismus eben. Laut Michael Hudson leben wir also „nicht in dem Kapitalismus, der in den Lehrbüchern steht, und auch nicht in dem, den Marx und die Sozialisten erwartet haben“:

„Nun, im späten 19. Jahrhundert dachte jeder, dass sich der industrielle Kapitalismus auf natürliche Weise zum Sozialismus entwickelt, und es gab viele verschiedene Arten von Sozialismus: Es gab den christlichen Sozialismus, den anarchistischen Sozialismus, den Marxschen Sozialismus, den Co-op-Sozialismus, aber in der einen oder anderen Form dachte jeder, dass die Regierung die natürlichen Monopole und die Grundbedürfnisse übernehmen würde. All das änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg und änderte sich wirklich nach 1980 mit Margaret Thatcher und Ronald Reagan. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Finanzklasse mit der Immobilienklasse verschmolzen …

Tatsächlich wird der größte Teil des wirtschaftlichen Überschusses heute nicht in Form von Gewinnen, sondern in Form von Zinsen und finanziellen Belastungen erzielt. Das Bruttonationaleinkommen und die Produktkonten behandeln Verzugszinsen und Strafzinsen so, als ob es sich um einen Beitrag zur Produktion handelt, und sie zählen all das Geld, das an Monopole und Vermieter geht, als Beitrag zur Produktion und zum Output, obwohl es sich in Wirklichkeit um eine Transferzahlung handelt – es ist eine Gemeinkostenbelastung, wie die klassischen Ökonomen es auch behandelt haben.

Statt eines Industriekapitalismus, der sich zum Sozialismus entwickelt, haben wir also einen Finanzkapitalismus, dessen Politik nicht darin besteht, den Lebensstandard zu erhöhen, sondern ein Sparprogramm nach Art des IWF durchzusetzen. Und das ist es, was wir heute in den Vereinigten Staaten haben, insbesondere seit 2008 und dem Finanzcrash. Die amerikanische Wirtschaft, die europäische Wirtschaft, befinden sich in einer Schuldendeflation ( 5 ), obwohl unsere Preise steigen, die Preise, die steigen, sind Monopolpreise für die Energieindustrie, Monopolpreise für die medizinische Versorgung. Aber die Haushalte haben immer weniger Geld übrig, nachdem sie für Finanzen, Versicherungen und Immobilien bezahlt haben, und können immer weniger für Waren und Dienstleistungen ausgeben. Das ist der Grund, warum die Wirtschaft heute unter Druck steht, und mein Buch erklärt, wie es zu diesem Wandel kam. Wir leben nicht in dem Kapitalismus, der in den Lehrbüchern steht, und auch nicht in dem, den Marx und die Sozialisten erwartet haben.“

„Neoliberalismus hat immer bedeutet, den Staat loszuwerden“

Michael Hudson bringt in diesem Zusammenhang auch den sogenannten „Neoliberalismus“ auf den Punkt: „Nun, Neoliberalismus hat immer bedeutet, den Staat loszuwerden. Es bedeutet, den Staat zu reduzieren. … Der Neoliberalismus sagt: ‚Wir wollen jeden Staat loswerden, der stark genug ist, das Finanzwesen zu regulieren, Monopole zu regulieren oder das öffentliche Interesse vor der Rentierklasse zu schützen‘“.

Hierzu zwei Auszüge aus Hudson's Buch The Destiny of Civilization, i n denen die größten Nutznießer der neoliberalen Ideologie in den USA benannt werden u nd gezeigt wird, wie es ihnen gelang, sich zu den größten Ausbeuter n aufzuschwingen:

„Der größte Nutznießer der neoliberalen Ideologie ist der Finanz-, Versicherungs- und Immobiliensektor (FIRE) ( 6 ). Dieser Sektor basiert auf der Symbiose von Finanz- und Immobilienwesen. Die Rentenextraktion durch diesen Sektor ist zusammen mit der Abschöpfung von Rohstoffrenten aus Öl und Bergbau und den Monopolrenten, die aus der Privatisierung öffentlicher Unternehmen resultieren, zur zentralen Dynamik des Finanzkapitalismus geworden, der sich zur Übermacht entwickelt hat. …

Die Verschuldung von Hypotheken, Konsumgütern, Studenten und Kreditkarten macht es erforderlich, dass die Arbeitskräfte Zinsen und Strafen zahlen. Dem politischen Einfluss des Finanzsektors ist es gelungen, Gesetze gegen Wucher auszuhebeln, die Gesundheitsversorgung und andere Versicherungen (zusammen mit grundlegenden Infrastrukturleistungen) zu privatisieren und Steuern von Immobilien und dem restlichen FIRE-Sektor abzuschieben. Infolge dieser privatisierten Gewinnung von Zinsen und anderen Mieten ist der Finanzsektor zu einem wichtigen Ausbeuter der Arbeit geworden, direkt durch Verschuldung, insbesondere durch die Finanzierung von Wohneigentum auf Kredit, und indirekt durch die Verteuerung von Wohnraum und grundlegenden Infrastrukturleistungen, deren Bereitstellung zunehmend auf Kredit privatisiert und monopolisiert wird.“

Den Dollarstandard beibehalten und verarmen oder der BRICS-Bank beitreten

Fast prophetisch schreibt Michael Hudson in seinem Artikel: „In diesem Herbst werden sich die Länder entscheiden: Wollen wir den amerikanischen Dollarstandard beibehalten und weiterhin Schulden bezahlen und unser Land verarmen lassen, oder wollen wir einer neuen Bank beitreten, der BRICS-Bank, die China, Indien, Russland, Iran und andere Länder gründen?“

BRICS

Was hat es damit auf sich? Zunächst zu BRICS. Dazu heißt es auf dem BRICS Information Portal: „BRICS ist eine informelle Gruppe von Staaten, zu der die Föderative Republik Brasilien, die Russische Föderation, die Republik Indien, die Volksrepublik China und die Republik Südafrika gehören. Die wachsende Wirtschaftskraft der BRICS-Staaten, ihre Bedeutung als eine der Hauptantriebskräfte der globalen Wirtschaftsentwicklung, ihre beträchtliche Bevölkerung und ihre reichhaltigen natürlichen Ressourcen bilden die Grundlage für ihren Einfluss auf der internationalen Bühne.“ ( 7 )

BRICS+

Inzwischen positioniert sich die BRICS-Staatengruppe als Alternative zur G7 und strebt mit einer Erweiterung zu BRICS+ nach mehr geopolitischen Gewicht. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) warnte im Juli 2022: „Der Westen sollte das nicht ignorieren“ ( 8 ):

„Als die BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – zu ihrem diesjährigen Gipfel zusammenkamen, bekräftigte Chinas Staatschef Xi Jinping den Wunsch, das Forum um weitere Länder zu erweitern. Unterstützung bekam der Gastgeber dabei von Russland, während die anderen Mitgliedstaaten das so nicht mittragen wollen. Denn eine Erweiterung würde die Gewichte im Innern verschieben und nach Außen eine geopolitische Wendung bedeuten. Brasilien, Indien und Südafrika sind jedoch aufgrund innenpolitischer Schwäche gegenwärtig nicht in der Lage, weltweite Gestaltungsrollen wahrzunehmen, auch wenn sie weiterhin bereit wären, sich von den G7 bei der Neuordnung der Weltpolitik abzusetzen.

Traditionell bemühen sich die BRICS-Staaten im Rahmen ihrer jährlich rotierenden Präsidentschaften darum, durch Einladung von Nachbarländern ihre regionale Reichweite auszudehnen, um dem Eindruck eines geschlossenen Clubs entgegenzuwirken. Die Verteilung der BRICS-Kerngruppe über vier Kontinente ist hier ein geopolitischer Vorteil. Institutionelle Verschränkungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit wurden über die BRICS-Development-Bank gestärkt und gleichzeitig auch der Anspruch als Forum des Süd-Süd-Dialoges hochgehalten.

Das Interesse an einer BRICS-Erweiterung

Mit Chinas BRICS-Präsidentschaft hat sich nun die zweite Komponente des Outreach-Prozesses ( 9 ) verstärkt, die unter dem Namen BRICS+ bekannt ist. Schon zum Außenministertreffen im Mai waren bereits Nicht-Mitgliedstaaten eingeladen worden – und die Liste war lang: Sie reichte von Ägypten, Argentinien und Indonesien über Kasachstan, Nigeria und Senegal bis hin zu Saudi-Arabien, Thailand und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auf dem Treffen der Präsidenten im Juni wurde dann beschlossen, gemeinsame Kriterien und Verfahren festzulegen, um die Zusammenarbeit mit diesen nahestehenden Staaten zu verstärken.

Zentral ist dafür ein Konsens innerhalb der Kerngruppe zur Frage, ob eine Erweiterung möglich ist und wie sie aussehen könnte. So haben Argentinien und Iran bereits einen Antrag auf Mitgliedschaft in der BRICS-Gruppe gestellt. Argentinien will sich neben Brasilien und Indien als maßgeblicher Exporteur von Nahrungsmitteln positionieren, die eine ähnlich bedeutsame Rolle bei Soja beziehungsweise Reis einnehmen. Damit könnte dem Land mit Russland als großem Weizen- und Düngemittelexporteur sowie China als größtem Nachfragemarkt eine zentrale Koordinationsrolle bei der Gestaltung der Nahrungsmittelmärkte zukommen. Mit Blick auf die Politik der Notreserven für Ernährungskrisen könnte es eine regulierende Rolle übernehmen. Ähnliches ließe sich hinsichtlich der Energiezusammenarbeit unter Beteiligung des Iran darstellen, womit die BRICS-Staaten zu einem zentralen Akteur in einem weiteren globalen Risikofeld heranwüchsen. Attraktiv erscheint auch ein gemeinsames Forschungs- und Entwicklungszentrum für Impfstoffe, das sich insbesondere um die Frage der Patente und des Technologietransfers zwischen den fünf BRICS-Staaten kümmern soll. Solche Perspektiven würden auch den Beitrittswunsch anderer Staaten mit globalen Aspirationen wie Ägypten, Indonesien, Saudi-Arabien und der Türkei befördern. …“

Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) geht mit dieser Schilderung offensichtlich nicht davon aus, dass man diese Entwicklung verhindern könne. Wenn SWP, einem der einflussreichsten deutschen Thinktanks für außen- und sicherheitspolitische Fragen, Berater von Bundesregierung und politischen Entscheidungsträgern in EU und NATO, nichts anderes mehr einfällt, als dem Westen zu raten, diese Entwicklung nicht zu ignorieren, – ist das schon ein Armutszeugnis.

BRICS-Bank / New Development Bank (NDB)

Als die Gründung der BRICS-Bank im Jahr 2014 bei einem Gipfeltreffen der BRICS-Länder verabredet wurde, schrieb die Stiftung Wissenschaft und Politik eine Studie mit dem außerordentlichen Titel: „Die BRICS-Bank – der Einstieg in eine neue Weltfinanzordnung“ ( 10 ).

Dazu heißt es einleitend zur Publikation bei SWP: „Bei ihrem 6. Gipfeltreffen haben die Staatschefinnen und -chefs der BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) am 15. Juli 2014 im brasilianischen Fortaleza beschlossen, eine Entwicklungsbank und einen Reservefonds zu gründen. Nach zähen Verhandlungen konnten sie sich auf Grundprinzipien für diese Finanzinstitutionen einigen, die Beobachterinnen und Beobachter als Alternative zum Weltwährungsfonds (IWF) ansehen und als Angriff auf den Dollar-Standard in den internationalen Währungsbeziehungen werten.“

Die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung schrieb schon anlässlich der Gründung der BRICS-Bank: „Die Schwellen- und Entwicklungsländer kritisieren zu Recht die G-7 und ihre globale Finanzarchitektur“ ( 11 ). Der Autor Sebastian Paust stammte aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Zuvor war er im Direktorium der Asian Development Bank in Manila.

Das German Institute of Development and Sustainability (IDOS) stellte im Gründungsjahr der BRICS-Bank fest ( 12 ):

„Die Neuvermessung der Weltwirtschaft, deren Schwerpunkt sich seit Ende des letzten Jahrhunderts besonders rapide in Richtung Ostasien verschoben hat, ist immer noch nicht in den Exekutivräten der multilateralen Entwicklungsbanken abgebildet. Bei der Weltbank verfügen die fünf BRICS über 13vH der Stimmrechte, obwohl sie 46vH der Weltbevölkerung und knapp 20 % des Welteinkommens abbilden. Dagegen verfügen die G7-Länder über gut 41 % der Stimmrechte. …

Die zukünftige Nachfrage nach vergünstigten Krediten der neuen BRICS-Bank und deren Kreditvergabepotenzial werden über den Verlust an Geschäft und politischem Einfluss zu Lasten der bestehenden Entwicklungsbanken entscheiden. Die Lücke an langfristiger Finanzierung für Infrastruktur ist gewaltig. Der derzeitige jährliche Aufwand für Infrastruktur in Entwicklungs- und Schwellenländern wird von Stephany Griffith-Jones in einem UNCTAD Discussion Paper auf knapp 0,9 Billionen USD geschätzt; dazu tragen die multilateralen Entwicklungsbanken nur 40-60 Milliarden USD bei. Die Schätzungen des jährlichen Finanzierungsbedarfs in Staaten außerhalb der OECD belaufen sich dagegen auf 1,8 bis 2,3 Billionen USD. Die Finanzierungslücke beträgt also mehr als eine Billion USD pro Jahr.

China – anders als die übrigen BRICS-Länder – hat die Reserven, diese Finanzierungslücke zu schließen. …“

BRICS-Bankpräsident Marcos Troyjo über Macht und Fortschritt der Schwellenländer

Für die Schwellenländer war dies eine besondere Zeit. Im Jahr 2021 wuchs die Wirtschaft der BRICS-Staaten um 7,6 Prozent, während der Weltdurchschnitt bei 5,5 Prozent lag. Die Neue Entwicklungsbank (NDB New Development Bank) der BRICS, die einzige multilaterale Entwicklungsbank, die seit dem Zweiten Weltkrieg vollständig von Schwellenländern geleitet wird, feiert ihre Erweiterung von den fünf Gründungsmitgliedern auf neun Mitglieder mit über 80 Projekten im Wert von mehr als 30 Milliarden US-Dollar.

In dieser Ausgabe von Leaders Talk spricht NDB-Präsident Marcos Troyjo mit Zou Yun über den Aufstieg der Schwellenländer. Der wirtschaftliche Meridian verschiebt sich in Richtung großer, aufstrebender Volkswirtschaften, die über große Territorien und Bevölkerungen verfügen und mehr zum globalen Wachstum beitragen werden. Die Emerging 7 haben bereits eine höhere Kaufkraftparität als die G7. Er geht auch auf die Kritik an den BRICS ein und erläutert die Bedeutung des Sitzes der NDB in Shanghai.

Video 27:22 6. November 2022 bei CGTN China Global Television Network

https://news.cgtn.com/news/2022-11-06/BRICS-bank-president-on-emerging-economies-power-progress-1eJVLsmSGwE/index.htmlhttps://news.cgtn.com/news/2022-11-06/BRICS-bank-president-on-emerging-economies-power-progress-1eJVLsmSGwE/index.html

Inzwischen hat sich die BRICS-Bank als New Development Bank (NDB) entwickelt. Die ursprünglichen Einlagen der Mitgliedsländer haben sich verzehnfacht. Neue Länder sind hinzugekommen, die die Zahl der BRICS-Teilnehmerländer deutlich übersteigen. Der letzte Jahresbericht der New Development Bank (NDB) hat den Titel Annual Report 2021: Expanding our Reach and Impact , also Ausweitung unserer Reichweite und Wirkung ( 13 ). In diesem Bericht heißt es gleich einleitend von Präsident Marcos Troyjo:

„Das Jahr 2021 war in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswertes Jahr für die NDB, in dem mehrere bemerkenswerte Erfolge erzielt wurden. Dazu gehören die Aufnahme der ersten Gruppe neuer Mitgliedsländer in die Bank, der Umzug an ihren ständigen Hauptsitz und die Ausweitung der positiven Wirkungen ihrer Investitionstätigkeit. Während die NDB die Vision ihrer Gründungsmitglieder umsetzt, nähern wir uns den letzten Phasen der Umsetzung der Allgemeinen Strategie der Bank 2017-2021 und bereiten uns auf einen neuen Strategiezyklus von 2022 bis 2026 vor.

Im Jahr 2021 begrüßten wir die Aufnahme von Bangladesch, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Uruguay in die NDB. In diesen Ländern leben mehr als 280 Millionen Menschen, die von dem Mandat der NDB profitieren können. Unsere neuen Mitglieder kommen aus verschiedenen Regionen der Welt, und ihre Aufnahme stärkt die Rolle der NDB als Plattform zur Förderung der Zusammenarbeit im Bereich Infrastruktur und nachhaltige Entwicklung. Wir werden die Mitgliedschaft der NDB weiterhin schrittweise und ausgewogen ausbauen.

Ebenfalls im Jahr 2021 zog die NDB in ihren ständigen Hauptsitz in Shanghai um. Unser neues Zuhause ist mehr als nur ein Bürogebäude. Modern, nachhaltig und lebendig – es ist eine starke Repräsentation dessen, wofür der NDB steht. Wir sind davon überzeugt, dass sich der Hauptsitz zu einem zunehmend einflussreichen Zentrum für internationale Zusammenarbeit entwickeln wird.

Im Jahr 2021 genehmigte die NDB zehn neue Darlehen in Höhe von insgesamt 5,1 Mrd. USD, womit sich die kumulierten Genehmigungen seit der Gründung der Bank auf über 30 Mrd. USD erhöhten. Die neu genehmigten Projekte sind weiterhin eng auf unsere Schwerpunktsektoren und die am meisten benötigten Entwicklungsbereiche unserer Mitgliedsländer abgestimmt. Zu den im Jahr 2021 genehmigten Projekten gehören drei Darlehen im Rahmen des COVID-19-Notfallprogramms, drei Stadtentwicklungsprojekte, zwei Verkehrsprojekte, ein Projekt für saubere Energie und ein Projekt für die ländliche Wasserversorgung.

Die NDB ist bestrebt, die Entwicklungswirkung aller von ihr unterstützten Operationen zu maximieren. Die im Jahr 2021 genehmigten Projekte werden voraussichtlich den Bau oder die Modernisierung von etwa 660 km Straßen und 30 Brücken, den Bau von 30 km U-Bahn-Linien, die Vermeidung von 7,5 Mio. Tonnen Kohlendioxid (CO2)-Emissionen pro Jahr, die Erhöhung der Trinkwasserversorgungskapazität um 49.000 m3/Tag und den Bau von 35.000 Wohneinheiten sowie eine Reihe weiterer Entwicklungsergebnisse ermöglichen. Wir sind weiterhin bestrebt, die erfolgreiche Umsetzung unserer Projekte zu gewährleisten. Allein im Jahr 2021 zahlte die NDB 7,6 Mrd USD aus, was mehr ist als die Auszahlungen in allen vorangegangenen Jahren zusammen.“

Auch Pepe Escobar würdigt auf der Plattform The Cradle ganz aktuell zwei neue Entwicklungsbanken, darunter die NDB ( 14 ): „In der Zwischenzeit wird die Rolle der Neuen Entwicklungsbank (NDB) der BRICS-Staaten sowie der von China geleiteten Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) gestärkt, die Infrastrukturkredite über das gesamte Spektrum hinweg koordinieren, da sich BRICS+ zunehmend dem Diktat des von den USA dominierten IWF und der Weltbank entziehen wird.“

Zum Schluss dieses Abschnittes wollen wir Michael Hudson noch einmal zu Wort kommen lassen. Er schreibt in seinem Artikel zu den Ländern, die an BRICS oder der BRICS-Bank teilnehmen, in einer sehr bedeutsamen Passage:

„… Sie spalten die Welt in zwei gegensätzliche Wirtschaftssysteme. China ist kein Rivale für Amerika. Amerika versucht nicht, sich zu industrialisieren, wie China es tut. Amerika versucht, sich zu deindustrialisieren und Geld zu verdienen. China versucht nicht, finanziell Geld zu verdienen. Es versucht, seine Wirtschaft und die seiner verbündeten Länder im Rahmen der Belt and Road Initiative (die Neue Seidenstraßen-Initiative, Anmerkung der Redaktion ) zu entwickeln, um mehr zu produzieren. Sie haben also zum ersten Mal die Wahl: Werden Sie einen Industriekapitalismus haben, der sich zum Sozialismus entwickelt, wie man es vor einem Jahrhundert erwartet hat, oder werden Sie einen neoliberalen Finanzkapitalismus nach amerikanischem Vorbild haben, der Sie nur immer ärmer macht und Ihnen Sparprogramme aufzwingt? …“

„China hat das Industrieprogramm verwirklicht, das in den Vereinigten Staaten gescheitert ist“

Das aktuelle Buch von Michael Hudson The Destiny of Civilization: Finance Capitalism, Industrial Capitalism or Socialism basiert auf einer Vorlesungsreihe über Finanzkapitalismus, die er für die Global University for Sustainability gehalten hat. Wen Tiejun, g eschäftsführender Dekan des Institut s für Ländlichen Wiederaufbau der China Southwest Universität in Chongqing ( 15 ) , schreibt in einem Vorwort zu Hudsons Buch : „Die (Vorlesungs- ) Reihe richtet sich an das chinesische Publikum, weil er der Meinung ist, dass Chinas gemischte Wirtschaft mit ihrer klassischen Industriepolitik die neoliberale amerikanische Krankheit am besten vermeiden konnte … Die politische Frage für China ist, wie es seinen Vorsprung am besten aufrechterhalten kann und wie es vermeiden kann, dem ideologischen und diplomatischen Druck der USA zum Opfer zu fallen.“

Das Rezept Professor Hudson's lautet nach Wen Tiejun zusammengefasst:

„Erstens sollten die nationalen Statistiken die produktiven Sektoren, die reale Werte schaffen, von den finanziellen Rentiersektoren unterscheiden, die lediglich Einkommen vom Rest der Wirtschaft an sich selbst transferieren. Eine Transferzahlung ist keine Produktion. Zweitens waren alle erfolgreichen Volkswirtschaften Mischwirtschaften. Geld und Kredit, Grund und Boden, öffentliche Dienstleistungen und natürliche Ressourcen sollten vom Staat kontrolliert werden, damit sie zum Selbstkostenpreis oder auf subventionierter Basis zur Verfügung gestellt werden können, wodurch die Lebenshaltungskosten und die Kosten für Geschäfte im privaten Sektor gesenkt werden. Drittens kann unproduktive Verschuldung verhindert werden, indem die wirtschaftliche Rente besteuert wird, damit sie nicht finanzialisiert und von Spekulanten und Käufern von Rentenabschöpfungsmöglichkeiten als Zinsen an die Banken ausgezahlt wird.“

Wir haben das Vorwort von Wen Tiejun übersetzt und im Anhang dokumentiert: Dokument 2: Die Menschheit teilt eine gemeinsame Perspektive: Barbarei oder ökologische Zivilisation, von Wen Tiejun. Das 1. Kapitel des Buches von Hudson lautet Das Reformprogramm des Industriekapitalismus zur Befreiung der Märkte von den Rentiers. Dort findet sich die folgende Passage:

„[Kapitel 1: Zusammenfassung für die chinesische Ausgabe]

In vielerlei Hinsicht folgt China heute einem ähnlichen Weg wie die Vereinigten Staaten bei ihrer Industrialisierung im späten 19. Jahrhundert. Es bezeichnet sich selbst als sozialistisch, aber das taten auch viele der führenden amerikanischen Protektionisten. Zu den gemeinsamen Nennern gehören starke öffentliche Investitionen in die Basisinfrastruktur, um die Lebenshaltungskosten und damit das Lohnniveau, das die Industrieunternehmen zahlen müssen, niedrig zu halten. Außerdem hat China die Doktrin der Hochlohnwirtschaft akzeptiert: dass hoch bezahlte Arbeitskräfte produktiver sind. Da diese Arbeitskräfte besser ausgebildet, besser ernährt und mit besseren Gesundheitsstandards und öffentlichem Verbraucherschutz ausgestattet sind, sind sie in der Lage, mehr zu produzieren als die Arbeitskräfte in den ärmeren Volkswirtschaften und diese damit zu unterbieten.

China war in der Lage, Ziele zu verwirklichen, auf die US-Protektionisten und Industrie-Strategen drängten, vor allem die Beibehaltung des Geld- und Bankwesens als öffentliches Gut, anstatt es zu privatisieren. Dies erklärt die Wut und Feindseligkeit der USA gegenüber China: China hat das Industrieprogramm verwirklicht, das in den Vereinigten Staaten gescheitert ist, wo Rentier-Interessen eine antiklassische Konterrevolution angeführt haben, die Amerika de-industrialisiert.“

Michael Hudson hat sein aktuelles Buch offensichtlich besonders den Chinesen gewidmet und diese scheinen wohl verstanden zu haben, um was es ihm geht. Obwohl Wen Tiejun sich wundert, dass viele Menschen in China immer noch auf westliche Schulen und Führer schauen, „obwohl die wirtschaftlichen, politischen sozialen und kulturellen Probleme des Westens … seit vielen Jahren offensichtlich sind“.

Die Global University for Sustainability, wo Hudson seine Vorträge gehalten hat, nennt sich auch Global U und startete auf dem Weltsozialforum in Tunis 2015 ( 16 ). Allein an renommierten Gründungsmitgliedern aus aller Welt werden über 200 aufgeführt. Auf der Homepage von Global U finden sich auch Artikel wie Homage to Samir Amin oder Featured Author – Immanuel Wallerstein (1930-2019) .

Die USA „haben das dollarbasierte System des internationalen Zahlungsverkehrs in eine Möglichkeit verwandelt, andere Länder dazu zu bringen, ihre globalen Militärausgaben zu finanzieren“

Wen Tiejun hält in seinem Vorwort zu Hudsons Buch noch fest:

„… Die Ironie dabei ist, dass die Vereinigten Staaten selbst der bei weitem größte internationale Schuldner der Welt sind. Sie haben das dollarbasierte System des internationalen Zahlungsverkehrs in eine Möglichkeit verwandelt, andere Länder dazu zu bringen, ihre globalen Militärausgaben zu finanzieren, indem sie die Währungsreserven der Zentralbanken der Welt dazu gebracht haben, die Form von Darlehen an das US-Finanzministerium anzunehmen – Bestände an US-Schatzpapieren, US-Bankeinlagen und andere auf Dollar lautende Vermögenswerte. Das ist die Stütze der heutigen schuldenbasierten Dollar-Hegemonie.“

Und es ist wahr, dass die USA ihre globalen Militärausgaben schon lange nicht mehr selbst finanzieren können. Der Militärsektor der USA ist neben dem Finanz-, Versicherungs- und Immobiliensektor (FIRE Finance, Insurance and Real Estate) der wohl profitträchtigste, korrupteste, dunkelste und mächtigste Sektor, dessen sich die Klasse der Rentiers bedient. Es sei hier nur kurz und beispielhaft ein aktuelles Schlaglicht auf den Etat des Pentagons geworfen.

Im US-Verteidigungsministerium herrschen unglaubliche Zustände, wie das Portal The Cradle enthüllt ( 17 ). Schon die Überschrift des Artikels in The Cradle ist vielsagend: Das Pentagon besteht eine neue Finanzprüfung nicht und kann Vermögenswerte in Höhe von über 2 Billionen US-Dollar nicht ausweisen – Während Washingtons jährlicher Verteidigungshaushalt auf die 1-Billionen-Dollar-Marke zusteuert, operiert das Verteidigungsministerium weiterhin mit wenig bis gar keiner Aufsicht über seine Ausgabenpraktiken . Das US-Verteidigungsministerium hat zum 5. Mal in Folge eine Finanzprüfung nicht bestanden, nur 7 der 27 Militärabteilungen des Pentagon gehen laut Finanzchef des Pentagon „in Ordnung“. Damit bleibt das Pentagon die einzige US-Regierungsbehörde, die noch nie eine umfassende Prüfung bestanden hat:

„Außerdem wird deutlich, dass es dem US-Kriegsministerium nach wie vor an interner Finanzkontrolle mangelt, dass die Haushaltsansätze unzureichend sind und die Ausgaben zu hoch sind.

Ein deutliches Beispiel dafür ist das F-35-Programm, das sein ursprüngliches Budget um 165 Milliarden Dollar überschritten hat, um ein Flugzeug zu bauen, das viele verschiedene Aufgaben erfüllen soll, von denen es keine gut erfüllt.

Das Pentagon plant den Kauf von mehr als 2.400 F-35 für die Air Force, die Marines und die Navy. Die geschätzten Lebenszeitkosten für die Beschaffung und den Betrieb dieser Flugzeuge – 1,7 Billionen Dollar – würden sie zum teuersten Waffenprojekt des Pentagon aller Zeiten machen.

Bei einer Bewertung der F-35 durch das Pentagon im Jahr 2021 wurden 800 ungelöste Mängel an dem Flugzeug festgestellt.“

Ein Militärexperte auf dem US-Portal POGO schreibt ( 18 ): „Das F-35-Kampfflugzeug des Verteidigungsministeriums – das kostspieligste Waffensystem der Geschichte – ist eine Gaunerei, die nicht aufhört.“ Das Flugzeug von Lockheed Martin verteuert sich laufend, sodass sich das Pentagon die beabsichtigte Stückzahl nicht leisten kann, außer der Kongress erhöht den Haushalt. „Jede Reduzierung der Anzahl der produzierten F-35 ist eigentlich eine gute Sache“, sagt Dan Grazier von POGO, der das Programm seit Jahren untersucht. „Die F-35 jetzt zu kaufen ist so, als würde man ein neues Smartphone zum vollen Preis bei seinem Mobilfunkanbieter kaufen, obwohl man weiß, dass es noch nicht telefonieren kann, weil die Software noch nicht geschrieben wurde.“

„Das 412 Milliarden Dollar teure F-35-Programm ist aufgrund von Verzögerungen bei den Tests und anderen Pannen noch nicht in vollem Umfang in Produktion gegangen, was ursprünglich für 2019 vorgesehen war. Erst in diesem Jahr wurde die Auslieferung neuer F-35-Flugzeuge vorübergehend gestoppt …“

Obwohl die Mängel des Flugzeugs, die wir in unserem Artikel gar nicht alle aufführen können, auch der Bundesregierung bekannt sein dürften, sind 35 Flugzeuge des US-Kampfjets für die Bundeswehr vorgesehen. Die Beschaffungskosten belaufen sich aktuell auf 8,4 Milliarden Dollar. Dabei wird es natürlich nicht bleiben. Wenn Leute, die sich auskennen, den F-35 als Schrottkiste bezeichnen, fragt man sich natürlich, warum die Bundesregierung und andere Länder dieses Flugzeug kaufen.

Telepolis schreibt in einem aktuellen Artikel dazu ( 19 ): „In Deutschland wurde von der Ethecon Stiftung Ethik & Ökonomie eine Unterschriftenaktion gegen die Beschaffung des F-35 initiiert. Seitens der Stiftung meinte Ingrid Koschmieder gegenüber dem Autor, dass dessen Erwerb ‚eher eine Art Vasallentribut zu sein‘ scheint.“

Ansonsten können wir die Leser_innen nur auf die öden, teilweise ausweichenden, teilweise wegen Geheimhaltung verweigerten Antworten der Bundesregierung auf zwei kleine Anfragen von Seiten der Linken und der Union verweisen. ( 20 )

Ein US-Verteidigungsanalyst schreibt auf Forbes, dass es den großen Rüstungsherstellern der USA „gut“ geht, sie aber trotzdem den Staat weiter ausplündern wollen ( 21 ):

„Die jüngste Runde von Gewinnmitteilungen der größten amerikanischen Rüstungsunternehmen zeigt, dass es den Firmen trotz der Herausforderungen durch Inflation und Lieferkettenprobleme gut geht. Diese finanzielle Leistung steht im Widerspruch zu den Forderungen der Unternehmen selbst und ihrer obersten Handelsgruppe, der National Defense Industrial Association, nach beschleunigten Zahlungen, Vertragsneuverhandlungen und anderen Maßnahmen, die ihre Gewinne wahrscheinlich aufpolstern werden, ohne viel in Bezug auf zusätzliche Verteidigungsfähigkeiten zu bringen.

Lockeed Martin, der größte Waffenlieferant der Welt, ist ein typisches Beispiel dafür. Im letzten Quartal stieg der Betriebsgewinn des Unternehmens um 6 %. Der Auftragsbestand beläuft sich auf 140 Milliarden Dollar, und das Unternehmen steckt Milliarden in den Rückkauf eigener Aktien, was für die Aktionäre eine gute Nachricht ist, aber nicht dazu beiträgt, Innovationen zu fördern oder die Verteidigungsfähigkeit zu verbessern. Zu allem Überfluss versucht Lockheed MartinLMT +2,7 %, seine Gewinnspanne für das problembehaftete F-35-Kampfflugzeug zu erhöhen, das Tausende von Konstruktionsfehlern aufweist. In einer Reihe von Analysen hat das Project on Government Oversight aufgezeigt, dass das Flugzeug möglicherweise nie vollständig kampftauglich sein wird. Und in einer Welt, in der unbemannte Systeme die Welle der Zukunft sein könnten, ist die Notwendigkeit, 2.400 dieser Flugzeuge zu Lebenszeitkosten von über 1,5 Billionen Dollar zu kaufen, alles andere als klar.

Für die Zukunft rechnet Lockheed mit einer Flut von Aufträgen für Produkte wie das HIMARS-Artilleriesystem, das in der Ukraine mit großem Erfolg eingesetzt wurde. …

Die Gewinnmitteilung von Raytheon erzählt eine ähnliche Geschichte. Steigende Gewinne und, in den Worten von CEO Greg Hayes, ‚eine extrem starke Nachfrage nach unseren Produkten mit Aufträgen im Wert von über 22 Milliarden Dollar im Quartal.‘ …“

Wie China aus der Dollar-Falle ausbrechen und zu einer höheren Form der Zivilisation kommen kann

Wen Tiejun hält in seinem Vorwort zu Hudsons Buch fest: „Um aus dieser Dollar-Falle auszubrechen, sollte China gemeinsam mit anderen unabhängigen Nationen ein neues System des internationalen Zahlungsverkehrs entwickeln und neue Prinzipien des internationalen Rechts für Handels- und Investitionsbeziehungen formulieren. Diese Prinzipien erfordern eine umfassende wirtschaftliche und politische Doktrin, wie sie in diesem Buch beschrieben wird.“

Mit den abschließenden Sätzen von Wen Tiejun im Vorwort zu Hudsons Buch wollen wir auch diesen Artikel beenden:

„Solange wir den wissenschaftlichen Geist der Selbstreflexion, der Selbstkorrektur und der Selbstverbesserung haben, gibt es keinen Grund, nicht daran zu glauben, dass Chinas soziale Organisation und seine Ideologie des gemeinsamen Wohlstands seine Gesellschaft zu einer höheren Form der Zivilisation führen können. Der Schlüssel liegt darin, unsere institutionellen Vorteile zu nutzen und die Unzulänglichkeiten der postindustriellen westlichen Rentierwirtschaften zu überwinden und nicht dem westlichen neoliberalen Weg zu folgen und in die Abhängigkeit von der US-Hegemonie und Ideologie zu geraten, die den Wohlstand in den meisten westlichen Volkswirtschaften zum Erliegen gebracht hat, da diese einer schuldenlastigen Austeritätspolitik unterworfen sind.

Hinter der heutigen finanzkapitalistischen Krise steht also eine tiefe zivilisatorische Krise. Die Welt befindet sich an einem Scheideweg, an dem die gesamte Menschheit nun eine gemeinsame Perspektive hat: Barbarei oder ökologische Zivilisation.“

Peter Feininger, 4. Dezember 2022

zur Druckversion  

 

Anhänge

Dokument 1: Das Schicksal der Zivilisation: Michael Hudson über Finanzkapitalismus, die wirtschaftlichen Folgen der Ukraine und das Ende der Globalisierung

Von Eric Draitser, 9. August 2022

Auszüge, übersetzt (Deepl und eigene Übersetzung)

… HUDSON: Nun, in den meisten Lehrbüchern wird der Industriekapitalismus so dargestellt, als ob die Funktion der Banken darin bestünde, Kredite an Fabriken zu vergeben, damit diese Anlagen und Ausrüstungen bauen und mehr Arbeitskräfte einstellen, um Waren zu produzieren und die Wirtschaft am Laufen zu halten, und das war es, was jeder im späten 19. Jahrhundert von den Banken erwartete. Man erwartete, dass die Banken aufhören würden, nur Kredite an Regierungen zu vergeben und räuberisch zu sein, und irgendwie Teil der industriellen Wirtschaft werden würden. Und das geschah in Deutschland bis zum Ersten Weltkrieg, aber nach dem Zweiten Weltkrieg schlugen die Rentiers zurück. Es kam zu Fusionen zwischen Banken und Immobilienunternehmen. Der Kampf der klassischen Ökonomie und des industriellen Kapitalismus bestand darin, die Klasse der Vermieter loszuwerden, alles loszuwerden, was die Lebenshaltungskosten für die Arbeiter erhöhte, so dass sie den Arbeitern weniger zahlen konnten, und nicht darin, den Lebensstandard der Arbeiter zu senken. Denn sie wussten, wenn man Arbeitskräfte anstellt und eine hohe Produktivität haben will, diese gut ernährt, gut ausgebildet und gut gekleidet sein müssen und eine gute Unterkunft haben müssen. Die industrielle Klasse in Amerika und in Deutschland wollte, dass der Staat so viele dieser Kosten wie möglich übernimmt. Sie wollten, dass der Staat für die Bildung aufkommt, und so war es auch in den Vereinigten Staaten. In England wollte man, dass der Staat für die Gesundheitsversorgung aufkommt, und es war ein konservativer Premierminister, Benjamin Disraeli, der sagte: „… Gesundheit ist alles, das ist es, was wir wirklich tun müssen“. So gab es in Deutschland unter Bismarck ein öffentliches Gesundheitswesen und eine öffentliche Rentenversicherung, um die industrielle Arbeiterklasse zu stärken. Und das Ziel war, jede industrielle Wirtschaft in eine Niedrigkostenwirtschaft zu verwandeln, indem man die Rentiers und die Grundbesitzer loswurde. Man braucht keine Klasse, die nur Einkommen kassiert, ohne zur Produktion beizutragen. Man braucht keine Bankenklasse, man braucht keine Monopolisten.

Nun, im späten 19. Jahrhundert dachte jeder, dass sich der industrielle Kapitalismus auf natürliche Weise zum Sozialismus entwickelt, und es gab viele verschiedene Arten von Sozialismus: Es gab den christlichen Sozialismus, den anarchistischen Sozialismus, den Marxschen Sozialismus, den Co-op-Sozialismus, aber in der einen oder anderen Form dachte jeder, dass die Regierung die natürlichen Monopole und die Grundbedürfnisse übernehmen würde. All das änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg und änderte sich wirklich nach 1980 mit Margaret Thatcher und Ronald Reagan. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Finanzklasse mit der Immobilienklasse verschmolzen …

Tatsächlich wird der größte Teil des wirtschaftlichen Überschusses heute nicht in Form von Gewinnen, sondern in Form von Zinsen und finanziellen Belastungen erzielt. Das Bruttonationaleinkommen und die Produktkonten behandeln Verzugszinsen und Strafzinsen so, als ob es sich um einen Beitrag zur Produktion handelt, und sie zählen all das Geld, das an Monopole und Vermieter geht, als Beitrag zur Produktion und zum Output, obwohl es sich in Wirklichkeit um eine Transferzahlung handelt – es ist eine Gemeinkostenbelastung, wie die klassischen Ökonomen es auch behandelt haben.

Statt eines Industriekapitalismus, der sich zum Sozialismus entwickelt, haben wir also einen Finanzkapitalismus, dessen Politik nicht darin besteht, den Lebensstandard zu erhöhen, sondern ein Sparprogramm nach Art des IWF durchzusetzen. Und das ist es, was wir heute in den Vereinigten Staaten haben, insbesondere seit 2008 und dem Finanzcrash. Die amerikanische Wirtschaft, die europäische Wirtschaft, befinden sich in einer Schuldendeflation, obwohl unsere Preise steigen, die Preise, die steigen, sind Monopolpreise für die Energieindustrie, Monopolpreise für die medizinische Versorgung. Aber die Haushalte haben immer weniger Geld übrig, nachdem sie für Finanzen, Versicherungen und Immobilien bezahlt haben, und können immer weniger für Waren und Dienstleistungen ausgeben. Das ist der Grund, warum die Wirtschaft heute unter Druck steht, und mein Buch erklärt, wie es zu diesem Wandel kam. Wir leben nicht in dem Kapitalismus, der in den Lehrbüchern steht, und auch nicht in dem, den Marx und die Sozialisten erwartet haben.

Marx beschrieb im dritten Band des Kapital die Horrorgeschichte dessen, was mit dem Finanzkapitalismus passieren würde, und dann äußerte er die Hoffnung, dass „der industrielle Kapitalismus dies verhindern wird, und glücklicherweise werden wir mit dem industriellen Kapitalismus die Banken zu einem Teil der Finanzierung der realen Produktion machen.“ Aber das ist nicht das, was Banken tun. Banken vergeben Kredite hauptsächlich gegen Vermögenswerte und Eigentum, das bereits vorhanden ist. 80 % der Kredite sind Immobilienhypotheken, der Rest sind Spekulationskredite für Unternehmensübernahmen, Kredite, die durch Aktien und Anleihen besichert sind, und natürlich hat die amerikanische Zentralbank 9 Billionen Dollar ausgegeben, die nur durch Aktien und Anleihen, Schrotthypotheken und Schrottanleihen besichert sind. Wir haben also eine Perversion von allem, was der Kapitalismus zu sein versprach, und es stellt sich heraus, dass der Weg zur Leibeigenschaft, der buchstäbliche Weg zur Leibeigenschaft, nicht ein starker Staat ist, wie Hayek sagte, sondern ein Staat, der zu schwach ist, um den Finanzsektor zu kontrollieren und ihn so zu lenken, dass er der Wirtschaft als Ganzes dient. …

Wie würden Sie den Neoliberalismus beschreiben?

HUDSON: Nun, Neoliberalismus hat immer bedeutet, den Staat loszuwerden. Es bedeutet, den Staat zu reduzieren. Die Liberalen im 19. Jahrhundert wollten den Staat abschaffen, als er von der Grundbesitzerklasse kontrolliert wurde. Das House of Lords in England, das Oberhaus des Parlaments in Europa. Oder der Senat in den Vereinigten Staaten. Der Liberalismus wollte die vererbte Grundbesitzerklasse loswerden, um einen freien Markt zu schaffen, aber der Neoliberalismus kehrt dies um. Der Neoliberalismus sagt: „Wir wollen jeden Staat loswerden, der stark genug ist, das Finanzwesen zu regulieren, Monopole zu regulieren oder das öffentliche Interesse vor der Rentierklasse zu schützen“. Der Neoliberalismus ist also die Konterrevolution gegen die klassische Ökonomie und gegen die gesamte Dynamik des Industriekapitalismus, die darauf abzielte, die Rentierklasse zu beseitigen. Es ist im Grunde eine Konterrevolution. …

HUDSON: Es ist der Finanzsektor, der den Neoliberalismus vorangetrieben hat, denn der Finanzsektor will verhindern, dass eine Regierung das Kreditangebot kontrolliert. Man vergleiche nur das US-System mit dem chinesischen System, zum Beispiel. Was China einzigartig macht, ist, dass es das tut, was der industrielle Kapitalismus im 19. Jahrhundert erhoffte. Die Regierung schafft den Kredit, und durch die Schaffung von Geld und Kredit durch die Bank of China entsteht ein Kredit, der in die Wirtschaft investiert wird. Um Hochgeschwindigkeitseisenbahnen zu bauen. Um Wohnungen zu bauen. Chinas Banken schaffen kein Geld für Unternehmensübernahmen oder für spekulative Zwecke, sondern für die Realwirtschaft. Der Neoliberalismus versucht im Wesentlichen, Geld auf finanziellem Wege zu verdienen, weil das der schnellste Weg ist. Der Neoliberalismus konzentriert sich auf die Schaffung von Krediten, nicht um neue Produktionsmittel zu schaffen, sondern um bestehende Produktionsmittel zu kaufen. Dies begann bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Als die Federal Reserve gegründet wurde, nahm sie dem Finanzministerium alle Funktionen, die dieses hatte. Der Vertreter des Finanzministeriums war nicht einmal in der Federal Reserve zugelassen. Alles wurde im Wesentlichen auf die Wall Street, Philadelphia, Boston und andere Finanzzentren verlagert. …

Das Gleiche geschah mit den Eisenbahnen. Sie privatisierten die Eisenbahnen. Der Service der Bahn ging stark zurück, die Preise verdreifachten sich. Durch die Privatisierung der öffentlichen Versorgungsbetriebe wurde nicht nur eine riesige Monopolrente eingeführt, sondern auch eine riesige Zinsbelastung, weil Finanziers kamen und sagten: „Lasst uns diese Eisenbahn kaufen, lasst uns diese Buslinie kaufen, lasst uns dies kaufen“. Die Banken liehen Spekulanten oder Übernahmekünstlern Geld, um diese großen Unternehmen zu kaufen, und sie kauften sofort ein öffentliches Versorgungsunternehmen wie eine Elektrizitäts- oder Wassergesellschaft, die Wasser zu einem niedrigen Preis verkaufte. Sie verdreifachten, vervierfachten oder erhöhten die Preise manchmal um das Zehnfache. So stiegen alle Preise so stark an, dass England deindustrialisiert wurde. Etwas Ähnliches geschah in den Vereinigten Staaten unter Reagan. Er begann damit, so viel wie möglich zu privatisieren. Wenn er ein Unternehmen privatisierte, privatisierte er es nicht nur und verkaufte es zu einem Preis, der ein Vielfaches des Gewinns war, ein Preis-Gewinn-Verhältnis, sondern Reagan deregulierte auch alles. Man nannte sie die Crazies aus Utah. Frau Gorsuch, die Mutter des Richters am Obersten Gerichtshof, wollte alles deregulieren, den öffentlichen Besitz verschenken, Holzfirmen den Wald kostenlos abholzen lassen, Ölfirmen kostenlos bohren lassen. Das war ein Glücksfall für die Rentierklasse. Es war ein Glücksfall für die Rentenextraktoren. Die Lebenshaltungskosten stiegen in die Höhe. Dasselbe gilt für das Bankwesen. Das Bankwesen wurde dereguliert, und als Erstes kam es zu einem gigantischen Spar- und Kreditbetrug. Das meiste Geld im Bankwesen kann man durch Betrug machen. …

Nun, wenn eine Bank unehrlich ist und Sie ein Räuber sind, dann ist das die Bank, die Sie benutzen wollen! Sie wollen sagen: „Ich werde Geld kaufen, damit ich diese Branche aufkaufen, die Preise verdreifachen und der Wirtschaft schaden kann. So verdiene ich Geld!“ Und es gab keine Aufsicht. Es gab keinen Gedanken an das öffentliche Interesse. Und genau das ist der Neoliberalismus. Wenn Neoliberalismus bedeutet, dass es keine Regierung gibt, dann gibt es auch keine öffentliche Stelle, die sich um das öffentliche Interesse kümmert und versucht, den Markt so zu gestalten, dass er dem steigenden Lebensstandard, der Senkung der Lebenshaltungskosten und der Förderung des industriellen Wachstums dient. Man kehrt zu dem zurück, wie das Leben vor dem Kapitalismus war, und das ist so etwas wie Neo-Feudalismus. …

Schauen Sie sich an, was in diesem Sommer passieren wird: Die Ölpreise steigen stark an, weil die Biden-Regierung Sanktionen gegen russisches Öl und Gas verhängt hat, was den amerikanischen Ölgesellschaften die Kontrolle über den weltweiten Ölhandel überlässt und ihre Gewinne enorm steigert. Der Aktienmarkt könnte fallen, während die Ölgesellschaften stark ansteigen. Biden hat auch gesagt, dass man kein Getreide aus Russland kaufen kann, also steigen die Getreidepreise stark an, und das ist eine der Hauptstützen der amerikanischen Zahlungsbilanz, die Getreideexporte! Im Grunde kann man sich Amerika als Tankstelle und Farm mit Atombomben vorstellen. Ich glaube, so hatte John McCain Russland beschrieben, aber er hat Amerika beschrieben. Wenn man ein Land beschuldigt, etwas zu sein, beschuldigt man sich sehr oft selbst.

Amerika macht also mit Öl- und Getreidepreisen ein Vermögen, und es erhöht seine Zinssätze, während es anderen Ländern wie England und Japan sagt, sie sollen ihre Zinssätze niedrig halten, so dass der Dollar im Vergleich zu europäischen, englischen, südafrikanischen und anderen Drittweltwährungen viel teurer wird. Wie werden diese Länder ihre Schulden bezahlen? Wie werden sie diesen September überstehen? Sie haben eine Wahl. Wenn sie genug Lebensmittel kaufen, um nicht zu verhungern, wenn sie genug Energie und Öl zu den höheren Preisen von amerikanischen Unternehmen kaufen, um ihre Fabriken zu betreiben und nachts Licht zu haben, dann können sie es sich nicht leisten, all die Dollarschulden zu bezahlen, die sie aufgenommen haben. Diese Dollar-Schulden wurden einfach an Regierungen verliehen. Sie werden nicht an Unternehmen oder Regierungen verliehen, damit diese mehr Produktionsmittel bauen, um das Geld für die Rückzahlung der Schulden zu verdienen. Der IWF riet den Regierungen: „Nun, Sie verdienen Geld, indem Sie Gewerkschaften verbieten, Sie verdienen Geld, indem Sie die Löhne senken und indem Sie Ihre Währung abwerten.“ Aber was man wirklich abwertet, ist der Preis für Arbeit, denn es gibt einen festen Preis für die Materialien der Welt, jeder zahlt den gleichen Preis für Maschinen, jeder zahlt den gleichen Preis für Öl. Eine Abwertung bedeutet, dass man einfach den Preis für Arbeit senkt und sie auspresst. Es wird also zu einem enormen Arbeitskräftemangel und damit zu einer politischen Krise in Lateinamerika, Afrika und großen Teilen Asiens kommen. In diesem Herbst werden sich die Länder entscheiden: Wollen wir den amerikanischen Dollarstandard beibehalten und weiterhin Schulden bezahlen und unser Land verarmen lassen, oder wollen wir einer neuen Bank beitreten, der BRICS-Bank, die von China, Indien, Russland, Iran und anderen Ländern gegründet wird?

Sie spalten die Welt in zwei gegensätzliche Wirtschaftssysteme. China ist kein Rivale für Amerika. Amerika versucht nicht, sich zu industrialisieren, wie China es tut. Amerika versucht, sich zu deindustrialisieren und Geld zu verdienen. China versucht nicht, finanziell Geld zu verdienen. Es versucht, seine Wirtschaft und die seiner verbündeten Länder im Rahmen der Belt and Road Initiative zu entwickeln, um mehr zu produzieren. Sie haben also zum ersten Mal die Wahl: Werden Sie einen Industriekapitalismus haben, der sich zum Sozialismus entwickelt, wie man es vor einem Jahrhundert erwartet hat, oder werden Sie einen neoliberalen Finanzkapitalismus nach amerikanischem Vorbild haben, der Sie nur immer ärmer macht und Ihnen Sparprogramme aufzwingt? …

DRAITSER: Sie haben es auch schon ein wenig angesprochen, aber ich würde Sie bitten, noch ein wenig weiter zu gehen und die Rolle des US-Dollars in einer finanzialisierten Weltwirtschaft zu erklären. Wir wissen, dass er die globale Reservewährung ist, Öl wird in Dollar gehandelt usw. Von verschiedenen Seiten wird sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite viel über eine Abkehr vom Dollar hin zu einem zweigliedrigen globalen Wirtschaftssystem gesprochen. Ich bin da ein wenig skeptisch, zumindest in der näheren Zukunft. Wenn man sich einige Zahlen ansieht, so waren die weltweiten Reserven aller Länder zusammengenommen zu 72 % in Dollar und liegen jetzt bei 66 %. Es ist also ein extrem langsamer Prozess, den wir hier beobachten, aber er findet statt. Meine Frage lautet also: Welche Rolle spielt der Dollar in der modernen finanzialisierten Weltwirtschaft, und welche Rolle wird der Dollar angesichts all dieser Veränderungen – einer Art Ost-West-Spaltung – spielen, die wir beobachten?

HUDSON: Nun, darum geht es eigentlich in meinem Buch Super Imperialism, aber ich fasse es in seiner wirtschaftlichen Form in The Destiny of Civilization zusammen. Die ganze Dollar-Hegemonie begann 1971, als die Vereinigten Staaten den Goldstandard aufgaben. Wenn ein Land vor 1971 ein Zahlungsbilanzdefizit hatte, musste es mit seinen Währungsreserven, hauptsächlich Gold, bezahlen. In den 50er, 60er und frühen 70er Jahren bestand Amerikas gesamtes Zahlungsbilanzdefizit aus Militärausgaben, und so sank der Goldbestand Amerikas immer weiter, denn wenn Amerika Geld ausgab, wurden Dollars in Vietnam und Südostasien in Landeswährung umgetauscht. Vietnam und Südostasien waren französische Kolonien; sie schickten die Dollars an ihre Zentrale in Frankreich, und General de Gaulle beschloss: „Nehmen wir diese Dollars und holen uns Gold.“ Die Vereinigten Staaten zahlten also nicht mehr in Gold. Womit sollten die Menschen nun plötzlich ihre Zahlungsbilanzdefizite begleichen? Da die Vereinigten Staaten so stark aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen waren, kontrollierten sie den weltweiten Ölhandel. Öl wurde in Dollar gepreist, die meisten Produkte werden in Dollar gepreist, also gaben die Vereinigten Staaten weiterhin Geld im Ausland aus und erhöhten sogar ihre Militärausgaben im Ausland, so dass sie mehr Dollar in die Weltwirtschaft pumpten. Aber was geschah mit diesen Dollars? Die Menschen bekamen sie; sie tauschten die Dollars bei ihrer Zentralbank gegen inländische Währung ein. Deutsche Mark oder Schweizer Franken, oder was auch immer. Und was sollten die Zentralbanken mit den Dollars machen? Um zu verhindern, dass ihre Währung steigt, würden sie die Dollars in die Vereinigten Staaten zurückführen und Staatsanleihen kaufen. Die Vereinigten Staaten hatten also international einen Freifahrtschein und konnten einfach Dollar drucken, während andere Länder ihre Ersparnisse in Dollar hielten. …

Das ist die Situation, in der sich die Vereinigten Staaten befinden. Andere Leute haben ihre Ersparnisse in den Vereinigten Staaten gelassen, weil sie dachten, die Vereinigten Staaten seien sicher, weil jeder weiß, dass die Vereinigten Staaten einfach ihre eigenen Dollars drucken können. Sie können nicht bankrott gehen, weil sie so viele Dollars schaffen können, wie sie wollen, wie wir bei der quantitativen Lockerung gesehen haben. Plötzlich können die Vereinigten Staaten ausgeben, was sie wollen, und andere Länder, die ein Zahlungsbilanzdefizit haben, müssen sich Dollar leihen, indem sie ihre Zinssätze erhöhen, um Kredite aufzunehmen. Und eine Anhebung der Zinssätze bremst ihre gesamte Wirtschaftstätigkeit. Aber die Vereinigten Staaten müssen die Zinssätze nicht erhöhen, sie können tun, was sie wollen. Deshalb sind die USA im Moment das Ausnahmeland. Aber seit sie begonnen haben, sich die Devisenreserven Venezuelas und Russlands anzueignen, hat jeder Angst, noch Dollar zu halten. Sie fangen an, sich davon zu trennen. Bis jetzt geht das sehr langsam, aber sie ziehen sich jeden Monat zurück. Russland, China und andere Länder ersetzen den Dollar durch Gold oder durch die chinesische Währung oder durch die Währungen der anderen Länder. Es geschieht immer noch sehr langsam, aber erstaunlicherweise hat der Krieg von Präsident Biden, der NATO-Krieg in der Ukraine und der Griff nach den russischen Devisenreserven diese freie Fahrt beendet! Man sollte meinen, dass die Vereinigten Staaten versuchen würden, die Idee, Schulden zu machen, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie man sie zurückzahlen will, beizubehalten. Nun, auf einmal machen die Länder Kasse. Sie sind dabei, den Dollar loszuwerden, und wenn sie den Dollar nicht mehr benutzen, wenn sie anfangen, den Handel zwischen Indien und Russland in Rubel, indischer und chinesischer Währung zu denominieren, dann wird der Dollar nicht mehr gebraucht, und er hat nicht mehr diesen Freifahrtschein. Wie soll sie ihre Ausgaben für ihre fast 800 Militärbasen in der ganzen Welt aufrechterhalten können, wenn der Dollar immer weiter fällt, weil die Menschen die Vereinigten Staaten plötzlich wie ein Drittweltland behandeln?

DRAITSER: Michael, das hört sich alles schön und gut an, aber die Gegenreaktion darauf wäre, dass kein Investor auf der ganzen Welt China als sicheren Ort ansieht, um sein Geld zu parken. Es ist nach wie vor der Markt des US-Finanzministeriums, in den die Menschen strömen, um ihr Vermögen zu parken, um sich gegen globale Instabilität zu schützen usw. China scheint kein Interesse daran zu haben, sich in Richtung eines offenen Marktmodells zu bewegen. Die Vorstellung, dass China oder eine von China gesponserte Bank irgendwie eine echte Alternative zu diesem US-zentrierten kapitalistischen System darstellen könnte, scheint also etwas weit hergeholt, oder?

HUDSON: Sie haben Recht, China hat überhaupt nicht die Absicht, ein Ort zu werden, an dem andere Länder Kredite aufnehmen können. Es möchte das Risiko minimieren. Wenn China es den Vereinigten Staaten gleichtun und selbst ein Investitionsvehikel gründen würde, dann würden Dollar, britisches Pfund und andere in dieses Vehikel fließen, und dann wäre China verschuldet. Wenn man Geld bei einer Bank anlegt, dann ist das eine Verbindlichkeit, die Bank schuldet einem Geld. China will überhaupt kein Geld von ausländischen Privatanlegern und es will keinen sicheren Hafen für ausländische Investoren bieten. Wenn also von der BRICS-Bank die Rede ist, geht es nicht um eine Bank für Privatanleger, sondern nur um ein Mittel zur Begleichung von Zahlungsbilanzdefiziten zwischen Regierungen. Diese Bank wird nur dafür da sein, dass die Regierungen ihre eigenen Sonderziehungsrechte schaffen oder ihre eigenen Währungstausche arrangieren. Privatanleger werden weiterhin in US-Schatzpapiere investieren und ihr Geld in diese anlegen, weil das US-Finanzministerium sie weiterhin drucken kann. Es ist immer noch der Wertmaßstab, mit dem Öl, Rohstoffe, Mineralien und Filme transferiert werden. Man hat also eine Zweiteilung zwischen einem Geldsystem, das nur für Regierungen funktioniert, und einem Geldsystem, das für den privaten Sektor funktioniert. …

Counterpunch

The Destiny of Civilization: Michael Hudson on Finance Capitalism, the Economic Consequences of Ukraine and the End of Globalization

https://www.counterpunch.org/2022/08/09/michael-hudson-on-finance-capitalism-the-economic-consequences-of-ukraine-and-the-end-of-globalization/



Dokument 2: Die Menschheit teilt eine gemeinsame Perspektive: Barbarei oder ökologische Zivilisation, von Wen Tiejun

von Wen Tiejun

Vorwort zu Hudson, Michael. The Destiny of Civilization: Finance Capitalism, Industrial Capitalism or Socialism. Islet, 2022; de Das Schicksal der Zivilisation. Finanzkapitalismus, Industriekapitalismus oder Sozialismus.

Der wichtigste Faktor, der die Weltwirtschaft beeinflusst, ist die zunehmende Belastung durch die Hegemonie der USA. Ihre Diplomatie hat die Wirtschafts- und Handelsregeln, die vom IWF, der Weltbank und anderen internationalen Institutionen durchgesetzt wurden, nach dem Zweiten Weltkrieg zu Amerikas Gunsten gestaltet. Die Führungsrolle der USA erreichte ihren Höhepunkt mit dem Sieg über die Sowjetunion im Kalten Krieg im Jahr 1991 und wurde in den folgenden zwanzig Jahren durch eine zunehmend aggressive Militärdiplomatie gefestigt. Doch seit 2008 ist diese US-Diplomatie so aggressiv geworden, dass sie selbstzerstörerisch ist und andere Nationen aus der US-Umlaufbahn verdrängt, was dazu führt, dass Amerikas internationaler Einfluss immer weniger seinem Ziel entspricht, das Einkommen und den Wohlstand der Welt für sich selbst abzuschöpfen, obwohl seine eigene Wirtschaftskraft immer schwächer wird.

Der Hauptkonflikt in der heutigen Welt besteht zwischen den Vereinigten Staaten und China. Dieses Buch von Professor Hudson erklärt diesen Konflikt als einen internationalen Transformationsprozess, vor allem im Bereich der Wirtschaftssysteme und -politik. Er erklärt, warum der Konflikt zwischen den USA und China nicht einfach als Marktkonkurrenz zwischen zwei industriellen Rivalen betrachtet werden kann. Es handelt sich um einen umfassenderen Konflikt zwischen verschiedenen politisch-ökonomischen Systemen – nicht nur zwischen Kapitalismus und Sozialismus als solchen, sondern zwischen der Logik einer industriellen Wirtschaft und der Logik einer finanzialisierten Rentenökonomie, die zunehmend von ausländischen Subventionen und Ausbeutung abhängig ist, während ihre eigene Binnenwirtschaft schrumpft.

Professor Hudson bemüht sich um eine Wiederbelebung der klassischen politischen Ökonomie, um die neoklassische Gegenrevolution umzukehren. Der Kern der politischen Ökonomie des 19. Jahrhunderts war ihr konzeptioneller Rahmen der Wert-, Preis- und Rententheorie. Ihre Vorstellung von einem freien Markt war ein Markt frei von wirtschaftlichen Renten. Diese Renten, die die politische Ökonomie des 19. Jahrhunderts nicht wollte, resultieren aus dem Überschuss des Marktpreises über den inneren Kostenwert und stellen somit ein unverdientes Einkommen dar. Das klassische Ziel bestand darin, die Märkte von Grundbesitzern, Monopolen und Gläubigern zu befreien. Doch im Westen ist das Gegenteil eingetreten, vor allem seit der Globalisierung der neoliberalen Politik in den 1980er Jahren.

Historisch gesehen haben die Industrienationen ihren Reichtum und ihre Macht dadurch erlangt, dass sie ihre Regierungen stark genug gemacht haben, um die Dominanz einer Grundbesitzerklasse zu verhindern und in der Tat den Rentiersektor als Ganzes zu unterdrücken. Um den industriellen Wohlstand zu fördern, stellten die Regierungen öffentliche Dienstleistungen zur Verfügung, um die Lebenshaltungskosten und die Kosten für die Wirtschaftstätigkeit zu senken. Grundlegende Dienstleistungen wurden zu subventionierten Preisen angeboten, die durch ausbeuterische Monopolpreise ersetzt worden wären, wenn wichtige öffentliche Infrastrukturen in private Hände übergegangen wären.

Wirtschaftlich gesehen ist die wichtigste Dienstleistung, die alle Volkswirtschaften für ihr reibungsloses Funktionieren benötigen, die Bereitstellung von Geld und Bankkrediten. Wenn sie privatisiert wird, wird sie zu einer Rentendrosselstelle. Aus diesem Grund kamen die Ökonomen des 19. Jahrhunderts, die die Logik des Industriekapitalismus entwickelten, zu dem Schluss, dass Geld und Banken ein öffentliches Versorgungsunternehmen sein müssen, um die für die industrielle Produktion unnötigen Finanzkosten zu minimieren.

Die heutige antiklassische Ökonomie betrachtet Finanzgebühren als Einkommen, das durch die Erbringung einer „Dienstleistung“ produktiv erwirtschaftet wird, die als Produktion eingestuft wird und somit Teil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist. Bei dieser statistischen Methode werden Finanzgewinne zusammen mit anderen Formen von Wirtschaftsrenten als Zusatz zum BIP und nicht als Gemeinkosten behandelt. Dadurch entsteht die Illusion, dass die Realwirtschaft wächst. Was jedoch tatsächlich wächst, ist der Rentiersektor, der keinen realen wirtschaftlichen Wert schafft, sondern lediglich Einnahmen von Schuldnern, Mietern und Verbrauchern an Gläubiger, Vermieter und Monopolisten überträgt. Diese Übernahme des Rentiersektors wird durch die Privatisierung des öffentlichen Sektors erreicht, um dem Monopolkapital, das hauptsächlich vom Finanzsektor organisiert wird, Mittel zur Rentenextraktion zu verschaffen.

Dieses Buch von Professor Hudson basiert auf einer Vorlesungsreihe über Finanzkapitalismus, die er für die Global University for Sustainability gehalten hat. Die Reihe richtet sich an das chinesische Publikum, weil er der Meinung ist, dass Chinas gemischte Wirtschaft mit ihrer klassischen Industriepolitik die neoliberale amerikanische Krankheit am besten vermeiden konnte. Diese Vorlesungen erklären, warum die USA und andere westliche Volkswirtschaften ihre frühere Dynamik verloren haben: Eine schmale Rentierklasse hat die Kontrolle erlangt und ist zum neuen zentralen Planer geworden, der seine Macht dazu nutzt, die Einkommen von zunehmend verschuldeten und hochpreisigen Arbeitskräften und der Industrie abzuschöpfen. Die amerikanische Krankheit der Deindustrialisierung ist darauf zurückzuführen, dass die Kosten der industriellen Produktion durch die von dieser Klasse erzielten wirtschaftlichen Renten aufgebläht wurden. Dies geschah unter dem System des finanzialisierten Monopolkapitalismus, das jetzt im gesamten Westen vorherrscht.

Die politische Frage für China ist, wie es seinen Vorsprung am besten aufrechterhalten kann und wie es vermeiden kann, dem ideologischen und diplomatischen Druck der USA zum Opfer zu fallen. Professor Hudson fasst sein Rezept wie folgt zusammen:

Erstens sollten die nationalen Statistiken die produktiven Sektoren, die reale Werte schaffen, von den finanziellen Rentiersektoren unterscheiden, die lediglich Einkommen vom Rest der Wirtschaft an sich selbst transferieren. Eine Transferzahlung ist keine Produktion. Zweitens waren alle erfolgreichen Volkswirtschaften Mischwirtschaften. Geld und Kredit, Grund und Boden, öffentliche Dienstleistungen und natürliche Ressourcen sollten vom Staat kontrolliert werden, damit sie zum Selbstkostenpreis oder auf subventionierter Basis zur Verfügung gestellt werden können, wodurch die Lebenshaltungskosten und die Kosten für Geschäfte im privaten Sektor gesenkt werden. Drittens kann unproduktive Verschuldung verhindert werden, indem die wirtschaftliche Rente besteuert wird, damit sie nicht finanzialisiert und von Spekulanten und Käufern von Rentenabschöpfungsmöglichkeiten als Zinsen an die Banken ausgezahlt wird.

Ein zentraler Punkt von Professor Hudsons Analyse ist, dass die US-Diplomatie eine Erweiterung der neoliberalen Ideologie ist, die von der Rentier-Oligarchie gefördert wird. Der „US-Exzeptionalismus“ bedeutet, dass die Vereinigten Staaten internationale Gesetze ignorieren, die Politik anderer Länder diktieren und verlangen können, dass diese die Kontrolle über potenziell gewinnbringende Vermögenswerte (wie Banken, Rechte zur Förderung von Bodenschätzen und Hochtechnologie-Monopole) an multinationale US-Konzerne und solche von US-Wirtschaftssatelliten abtreten.

Fast während der gesamten 75 Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg wurden allen Nationen, die sich in der diplomatischen Umlaufbahn der USA befinden, kreditgeberfreundliche Gesetze auferlegt. Dieser US-Antrieb hat den Ländern des Globalen Südens Sparmaßnahmen auferlegt, wenn sie nicht in der Lage waren, ihre Dollar-Schulden zu begleichen, indem sie ihre heimische Wirtschaft und das Wohlergehen ihrer Bevölkerung opferten, um ausländische Anleihegläubiger zu bezahlen.

Die Ironie dabei ist, dass die Vereinigten Staaten selbst der bei weitem größte internationale Schuldner der Welt sind. Sie haben das dollarbasierte System des internationalen Zahlungsverkehrs in eine Möglichkeit verwandelt, andere Länder dazu zu bringen, ihre globalen Militärausgaben zu finanzieren, indem sie die Währungsreserven der Zentralbanken der Welt dazu gebracht haben, die Form von Darlehen an das US-Finanzministerium anzunehmen – Bestände an US-Schatzpapieren, US-Bankeinlagen und andere auf Dollar lautende Vermögenswerte. Das ist die Stütze der heutigen schuldenbasierten Dollar-Hegemonie. Um aus dieser Dollar-Falle auszubrechen, sollte China gemeinsam mit anderen unabhängigen Nationen ein neues System des internationalen Zahlungsverkehrs entwickeln und neue Prinzipien des internationalen Rechts für Handels- und Investitionsbeziehungen formulieren. Diese Prinzipien erfordern eine umfassende wirtschaftliche und politische Doktrin, wie sie in diesem Buch beschrieben wird.

Was ich seltsam finde, ist, dass, obwohl die wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Probleme des Westens, die auf seine neoliberale, antiklassische Ideologie zurückzuführen sind, seit vielen Jahren offensichtlich sind, viele Menschen in China immer noch auf westliche Schulen und Führer schauen, als ob ihre eigenen einheimischen Institutionen, ihre Zivilisation und sogar ihre eigene Rasse minderwertig wären. Die Niederlage eines Landes beginnt mit der Niederlage des Selbstvertrauens der Menschen in ihre Institutionen. Doch als amerikanischer Wissenschaftler erkennt Professor Hudson, der sein ganzes Leben lang das amerikanische Finanzwesen studiert und jahrzehntelang an der Wall Street gearbeitet hat, die institutionellen Vorteile Chinas an. Solange wir den wissenschaftlichen Geist der Selbstreflexion, der Selbstkorrektur und der Selbstverbesserung haben, gibt es keinen Grund, nicht daran zu glauben, dass Chinas soziale Organisation und seine Ideologie des gemeinsamen Wohlstands seine Gesellschaft zu einer höheren Form der Zivilisation führen können. Der Schlüssel liegt darin, unsere institutionellen Vorteile zu nutzen und die Unzulänglichkeiten der postindustriellen westlichen Rentierwirtschaften zu überwinden und nicht dem westlichen neoliberalen Weg zu folgen und in die Abhängigkeit von der US-Hegemonie und Ideologie zu geraten, die den Wohlstand in den meisten westlichen Volkswirtschaften zum Erliegen gebracht hat, da diese einer schuldenlastigen Austeritätspolitik unterworfen sind.

Hinter der heutigen finanzkapitalistischen Krise steht also eine tiefe zivilisatorische Krise. Die Welt befindet sich an einem Scheideweg, an dem die gesamte Menschheit nun eine gemeinsame Perspektive hat: Barbarei oder ökologische Zivilisation.

Wen Tiejun

Geschäftsführender Dekan, Institut für Ländlichen Wiederaufbau der China Southwest Universität, China

Übersetzt (ins Englische, Anmerkung der Redaktion ) von Alice Chan

Eigene Übersetzung mithilfe von Deepl

 zur Druckversion  

 

1 https://michael-hudson.com/wp-content/uploads/2010/03/superimperialism.pdf

2 Hudson, Michael. Finanzimperialismus: die USA und ihre Strategie des globalen Kapitalismus, Aus dem Amerikanischen von Stephan Gebauer und Thorsten Schmidt, Die Originalausgabe erschien unter dem Titel: »Super Imperialism. The Economic Strategy of American Empire« im Verlag Pluto Press, London, 2003 2016 . 478 S. Stuttgart: Klett-Cotta, 2017.

3 Hudson, Michael. The Destiny of Civilization: Finance Capitalism, Industrial Capitalism or Socialism. Islet, 2022

4 jemand, der von regelmäßigen Zahlungen aus angelegtem Kapital (Renten) lebt https://de.wiktionary.org/wiki/Rentier

5 Eine Schuldendeflation liegt vor, wenn ein Preisverfall zu sinkenden Nominaleinkommen führt. Da die nominale Höhe der Schulden und der geschuldeten Zinsen unverändert bleibt, führt die Schuldendeflation zu einer Erhöhung der realen Schuldenlast.  Wikipedia

6 Finance, Insurance and Real Estate (FIRE) sector

7 BRICS. „BRICS Information Portal“. Zugegriffen 30. November 2022. http://infobrics.org .

8 Maihold, Günther. „Von BRICS zu BRICS+: Suche nach Allianzen und neuer Identität“. Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), 27. Juli 2022. https://www.swp-berlin.org/publikation/von-brics-zu-brics-suche-nach-allianzen-und-neuer-identitaet .

9 Outreach Außenkontakte, Kontaktaufnahme …

10 Maihold, Günther. „Die BRICS-Bank – der Einstieg in eine neue Weltfinanzordnung“. Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), 8. August 2014. https://www.swp-berlin.org/publikation/brics-bank-einstieg-in-eine-neue-weltfinanzordnung .

11 Paust, Sebastian. „Die neue BRICS-Bank. Trendwende in der multilateralen Finanzarchitektur?“ Politische Studien, Hanns-Seidel-Stiftung 458 (2014). https://www.hss.de/download/publications/PS_458_Vorratsdatenspeicherung_08.pdf .

12 Reisen, Helmut. „Wird die BRICS-Bank die globale Finanzarchitektur ändern?“ German Institute of Development and Sustainability (IDOS), 28. Juli 2014. https://www.idos-research.de/die-aktuelle-kolumne/article/wird-die-brics-bank-die-globale-finanzarchitektur-aendern/ .

13 New Development Bank (NDB). „Annual Report 2021: Expanding Our Reach and Impact; de Jahresbericht 2021: Vergrößerung unserer Reichweite und Wirkung“, August 2022. https://www.ndb.int/annual-report-2021/ .

14 Escobar, Pepe. „Goodbye G20, hello BRICS+. The increasingly irrelevant G20 Summit concluded with sure signs that BRICS+ will be the way forward for Global South cooperation; de Tschüss G20, hallo BRICS+. Der zunehmend bedeutungslose G20-Gipfel endete mit sicheren Anzeichen dafür, dass BRICS+ der Weg in die Zukunft für die Zusammenarbeit im globalen Süden sein wird.“ The Cradle, 17. November 2022. https://thecradle.co/Article/columns/18477 .

15 Institute of Rural Reconstruction of China (IRRC) of Southwest University http://irrc.swu.edu.cn/s/irrc/Introduction.html

Institut für den Wiederaufbau des ländlichen Raums in China (IRRC) der Südwest-Universität

Das Institute of Rural Reconstruction of China ist eine Forschungseinrichtung der Southwest University. Seit seiner Gründung im Jahr 2012 dient das Institut als Plattform für die Entwicklung spezialisierter Forschung im Bereich der ländlichen Regeneration für eine nachhaltige Entwicklung unter der Philosophie der "Ökologischen Zivilisation". Mit dem Leiter der SWU als Dekan, dem angesehenen Professor Wen Tiejun, als geschäftsführendem Dekan, nutzt das Institut die reichhaltigen historischen Ressourcen zum Wiederaufbau des ländlichen Raums und des kulturellen Erbes und verstärkt seine wissenschaftlichen Studien und Personalschulungen zur zeitgenössischen ländlichen Regeneration und nachhaltigen Entwicklung in China.

Das IRRC führt multidisziplinäre Studien und einschlägige theoretische Forschungen zur ökologischen Zivilisation und zur nachhaltigen Entwicklung durch, gibt politische Empfehlungen auf der Grundlage aktueller Forschungsstudien zur nachhaltigen ländlichen Entwicklung, zur ländlichen Regierungsführung und zum Schutz der Rechte der Landwirte und bietet soziale Dienstleistungen an, um die lokalen Bedürfnisse der nachhaltigen Entwicklung auf der Grundlage von Innovationen und bewährten Praktiken zu erfüllen, die durch lokale Interventionen und Praktiken sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene entstehen.

16 Ein Wki-Link zur Global University for Sustainability lautet https://wiki.p2pfoundation.net/Global_University_for_Sustainability Dort heißt es unter anderem:

Es mag zwar viele Schulen, Ausbildungsprogramme, Konferenzen und Workshops geben, die von sozialen Bewegungen organisiert werden, und es mag Weltsozialforen und andere regionale oder globale Plattformen geben, aber die Schwere und Vernetzung der Krisen, die die Menschheit und die Erde zu zerstören drohen, erfordern eine dringende Antwort. Was wir brauchen, ist eine intensive und umfassende globale gegenseitige Befruchtung von Theorien und Praktiken, um den Neoliberalismus und das Kapital grundlegend in Frage zu stellen, tragfähige Formen radikaler postkapitalistischer Alternativen zu fördern und eine dynamische Zusammenarbeit zwischen und unter Aktivisten und Intellektuellen der Bewegungen zu unterstützen. Dies erfordert das Engagement eines breiten Spektrums von Akteuren, darunter soziale Bewegungen, Aktivisten, organische Intellektuelle, Akademiker, politische Parteien, Regierungen und Stiftungen, die aus verschiedenen Disziplinen, Sektoren und Regionen kommen. Es sind nachhaltige Anstrengungen erforderlich, um durch die Aufarbeitung unserer historischen Erfahrungen und die Entwicklung neuer Vorstellungen, neuer Sprachen und neuer Antworten lebensfähige und wirksame intellektuelle Gemeingüter zu schaffen.

Auf der eigenen Webseite von Global U https://our-global-u.org/oguorg/en/ heißt es in der Selbstbeschreibung:

Als Antwort auf unsere krisengeschüttelte Epoche unterstützt die Initiative der Global University for Sustainability (Global U) die Ausbreitung autonomer und selbstverwaltender lokaler Einrichtungen und deren interdependente Vernetzung für ökologische und sozioökonomische Nachhaltigkeit mit Gerechtigkeit. Global U wird sich als experimentelles Forum für alternative Praktiken in der Produktion, Verbreitung und Nutzung von Wissen konstituieren, das andere Formen des Umgangs miteinander und mit der Natur ermöglicht als die, die durch die vorherrschenden Institutionen und Praktiken eingeschränkt sind. Global U wird versuchen, die Kommodifizierung von Wissen zu überwinden, die durch kapitalistische Mechanismen angetrieben wird, die besitzergreifende individualistische Selbstbilder formen. Es hofft, alte und neue Generationen engagierter Menschen, die sich für ökologische und sozioökonomische Gerechtigkeit einsetzen, zusammenzubringen, um Wissen zu artikulieren, das aus Erfahrungen vor Ort, gemeinsamen Überlegungen und insbesondere aus den Weisheiten der Älteren, der Frauen und der Gemeinschaften, die ihre Allmende und ihre Rechte verteidigen, hervorgegangen ist. Es hofft, die Initiativen von Organisationen und Netzwerken gegenseitig zu befruchten, um weitere Verbindungen zu fördern und kreative und gerechte Formen der Interaktion, Vernetzung und Verwaltung der Gemeingüter zu erproben. Global U stellt sich eine neue nachhaltige Menschheit auf der Erde vor.

Verschiedene Bücher werden auf der Seite online direkt zum herunterladen angeboten, so zum Beispiel:

Lin Chun – Publications https://our-global-u.org/oguorg/en/lin-chun-publications/

Lin Chun – China and Global Capitalism

Lin Chun – The Transformation of Chinese Socialism

Lin Chun – Revolution and Counterrevolution in China final proofs

Samir Amin_2019_The Long Revolution of the Global South https://our-global-u.org/oguorg/en/monthly-review/

Lawrence Grossberg – Publications https://our-global-u.org/oguorg/en/lawrence-grossberg-publications/

Lawrence Grossberg – We All Want to Change the World

Lawrence Grossberg – We gotta get out of this place

Wen Tiejun – Ten Crises https://our-global-u.org/oguorg/en/wen-tiejun-ten-crises/

Ten Crises – The Political Economy of China's Development (1949–2020)

Wim Dierckxsens - Walter Formento – For a New Civilization: The Multipolar Project https://our-global-u.org/oguorg/en/download/Featured%20Authors/wim_dierckxsens/Wim-Dierckxsens-and-Walter-Formento-For-a-New-Civilization-The-Multipolar-Project-.pdf

17 The Cradle. „Pentagon fails to pass new financial audit, unable to account for over $2 trillion in assets. As Washington's yearly defense budget hurtles towards the $1 trillion mark, the DoD continues to operate with little to no oversight of its spending practices; de Das Pentagon besteht eine neue Finanzprüfung nicht und kann Vermögenswerte in Höhe von über 2 Billionen US-Dollar nicht ausweisen. Während Washingtons jährlicher Verteidigungshaushalt auf die 1-Billionen-Dollar-Marke zusteuert, operiert das Verteidigungsministerium weiterhin mit wenig bis gar keiner Aufsicht über seine Ausgabenpraktiken“, 23. November 2022. https://thecradle.co/Article/news/18716 .

Es sei darauf hingewiesen, dass The Cradle eine Übersetzung ins Deutsche anbietet, die sehr gut ist. Dazu rechts oben auf der Webseite auf Translate klicken.

18 Thompson, Mark. „Pentagon Seeks More Money for Beleaguered F-35; de Pentagon will mehr Geld für die angeschlagene F-35“. Pogo. Project On Government Oversight, 21. November 2022. https://www.pogo.org/analysis/2022/11/pentagon-seeks-more-money-for-beleaguered-f-35 .

19 Peil, Karl-Heinz. „Milliardengrab Kampfjet F-35 – auch für Deutschland“. Telepolis, 16. November 2022. https://www.heise.de/tp/features/Milliardengrab-Kampfjet-F-35-auch-fuer-Deutschland-7339496.html .

20 Deutscher Bundestag. „Deutschlands außenpolitische Rolle im Rahmen der atomaren Abschreckungspolitik der NATO Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Ali Al-Dailami, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 20/1708 – Drucksache 20/2168“, 2. Juni 2022. https://dserver.bundestag.de/btd/20/017/2001708.pdf .

Deutscher Bundestag. „Zukunft des Eurofighters und des militärischen Luftfahrzeugbaus in Deutschland. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache 20/4198 – Drucksache 20/4525“, 17. November 2022. https://dserver.bundestag.de/btd/20/045/2004525.pdf .

21 Hartung, William. „Despite Outcries About Inflation, Major Arms Makers Are Doing Just Fine; de Trotz der Aufschreie über die Inflation geht es den großen Rüstungsherstellern gut“. Forbes, 28. Oktober 2022. https://www.forbes.com/sites/williamhartung/2022/10/28/despite-outcries-about-inflation-major-arms-makers-are-doing-just-fine/ .


   
nach oben