„Das Maß ist voll!“  – Wenn der „Qualitätsjournalismus“ mit
Kriegshetze nervt

Eine Abo-Kündigung bei der Süddeutschen Zeitung und eine Hörerbeschwerde bei Deutschlandradio Kultur



Mit einem hohen Berufsethos täuschen Journalisten sich selbst und die Öffentlichkeit gerne über die schwarzen Seiten ihres Berufs hinweg. Sachlich, objektiv, ausgewogen und kritisch will der Qualitätsjournalismus berichten. Das ist die eine Seite.

Tatsache ist aber auch, dass die Mainstream-Jounalisten mit den Mächtigen in Politik und Verwaltung paktieren, weil sie oft nur an Informationen rankommen, wenn sie nahe bei den Machthabern sind. Viele Top-Journalisten waren schon immer „embedded“, längst bevor Militärstrategen die Kriegsberichterstattung mit „freien“ Journalisten organisiert haben. Das ist die schwarze Seite des Berufs – eingebettet in die Machtstrukturen des Staates.

Eine Abo-Kündigung

Einer unserer Autorinnen ist wegen der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung der Kragen geplatzt. Sie hat kurzerhand ihr Abo mit folgendem Brief an die SZ-Redaktion gekündigt:

„Sehr geehrte Damen und Herren von der Außenpolitik-Redaktion,

das Maß ist voll. Nach fast 10 Jahren SZ-Abo kündige ich dieses jetzt voller Zorn. Ich mag mir die kriegstreiberischen, anti-russischen Artikel und Schlagzeilen nicht mehr zumuten, mit Verlaub: Sie kotzen mich an.

Heute z.B. titeln Sie: „Putin demonstriert der Welt seine Macht ... auch in der Ostukraine setzt Russland offenbar wieder auf Konfrontation“

Solche Schlagzeilen sind der Offenbarungseid eines seriösen Journalismus. „Offenbar“, heißt: nix gwiß woas ma ned, wir spekulieren mal vor uns hin und machen eine knallige, publikumswirksame Schlagzeile draus.

Zuvor hatten OSZE und NATO über massive russische Truppenbewegungen berichtet“. Ist eine Lüge. Die OSZE hat nichts dergleichen. Die hat, wohl wahrheitsgetreu, da hoffentlich noch unparteiisch, von nicht näher spezifizierbaren Militärkonvois Richtung Frontlinie berichtet („a convoy of 43 unmarked green military trucks“). Auf die großsprecherische Schlagzeile folgt dann ein Soufflee von einem Artikel (Soufflee bitte ohne die appetitliche Konnotation!), der außerdem voller Widersprüche steckt.

John Heartfields Medienkritik 1930: Die Bürgerblätter waren »Verdummungsbandagen« – heartfield, Terbor Scholz Lizenz CC BY-NC-SA 2.0; Quelle: Flickr

Zunächst heißt es: „Mit einer militärischen Machtdemonstration auf der südlichen Erdhalbkugel hat Russland seinen Anspruch auf den Status als Weltmacht bekräftigt. Unmittelbar vor dem G-20-Gipfel in Brisbane nahmen vier Schiffe der russischen Marine Kurs auf Australien und kreuzten am Donnerstag nördlich des Landes in internationalen Gewässern. Damit verletzten sie keine völkerrechtlichen Regeln, ...“

Aha, so weit, so unerheblich.

Die NATO-Bande macht so was alle Nas’ lang und kein Hahn kräht danach und schreit Skandal. Wann durfte man je in der SZ eine Schlagzeile lesen: „NATO demonstriert der Welt ihre Macht“? Warum eigentlich nicht? Warum ist per se verdächtig, provozierend und unverschämt, was Russland macht – pardon natürlich: Putin – und berechtigt, demokratiefördernd, friedensbringend, was unser tolles Verteidigungsbündnis (ja Verteidigung! Warum vergisst man das nur so leicht?) so treibt? Diese ganzen hirnrissigen protzigen Manöver in der Ukraine demletzt – wo waren da die Fragen nach dem Sinn einer solchen Machtdemonstration in angespannten Zeiten? Das hätte eine Zeitung mit Ihrem Anspruch leisten müssen.

Und glauben Sie nicht, dass es Ihre Leser vielleicht stutzig macht, wenn Sie in ein und demselben Artikel zunächst behaupten, die Kriegsschiffe „erregten in Australien erhebliches Aufsehen“ (ach ja? Wo denn genau, bei wem denn?), um in der nächsten Spalte das australische Verteidigungsministerium zu zitieren mit den Worten: „Die Bewegung steht völlig im Einklang mit den Vorschriften der internationalen Gesetze, wonach sich Militärschiffe in internationalen Gewässern frei bewegen können.“

So eine Berichterstattung ist eine Beleidigung für denkende Menschen.

Was aber viel schlimmer, ja eigentlich kriminell ist, ist dass solche Artikel die Hirne der Leser zu vernageln suchen, und sie durch stete Wiederholung von NATO-Propaganda mürbe machen im Sinne einer verantwortungslosen, weil kriegstreibenden Politik.

Dass diese SZ den Balken im offenbar eigenen Auge nicht sieht (verfehlte Politik von NATO, USA, EU und Bundesregierung nicht nur in der Ukraine-Krise), dafür aber nicht müde wird, auf Russland einzudreschen, das durch das Assoziierungsabkommen die Pistole auf die Brust gesetzt bekommen hat und zum Handeln gezwungen wurde, ist unverzeihlich.

Um die herausragende Arbeit von Heribert Prantl tut es mir sehr leid, die werde ich vermissen. Und auch um etliche andere, seriöse, gute Journalisten, wie Alex Rühle, Andrian Kreye oder Hans Leyendecker und viele andere tut es mir leid. Aber sie können die Zumutungen der Außenpolitik-Berichterstattung leider nicht mehr wettmachen.

Gute Besserung!

Mit freundlichen, kollegialen Grüßen

N.N.

P.S. Ihre konsumverherrlichenden Luxus-Beilagen sind mir ohnehin seit Jahren ein Dorn im Auge.“

 

Eine Hörerbeschwerde

Nicht nur die Print-Medien, auch der Hörfunk will mit seinen Kommentaren die Außenpolitik der Nato rechts überholen. Einer der politischsten Sender ist Deutschlandradio. Gegen den Kommentar des Journalisten Rolf Clement hat unsere Autorin eine Hörerbeschwerde angemeldet:

„ Sehr geehrte Damen und Herren,

mit ungläubigem Entsetzen musste ich in meinem bisherigen Lieblingssender Deutschlandradio am 30. Oktober einen schier unerträglichen Kommentar zum Thema „russische Luftmanöver“ hören. Natürlich dürfen Kommentare die subjektive Meinung des Verfassers darstellen. Was aber hier Rolf Clement geliefert hat, war ein Konglomerat an Unwahrheiten.

 Aber hören Sie selbst: http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2014/10/30/drk_20141030_0811_6652151d.mp3

 

Was die Nachrichtenlage hergab, lässt sich kurz so zusammenfassen: Die russische Armee hat nach Angaben der NATO in den vergangenen Tagen ungewöhnlich viele Manöver im europäischen Luftraum geflogen. Laut NATO-Sprecher wurden mindestens 26 russische Langstreckenbomber und andere Militärflugzeuge über der Nord- und Ostsee sowie über dem Atlantik und dem Schwarzen Meer identifiziert. Die NATO betonte, der Luftraum des Verteidigungsbündnisses sei nicht verletzt worden.

 Was nun Herr Clement daraus macht, hat mit dieser unspektakulären Information (selbst von Nachricht zu sprechen, wäre übertrieben) nichts mehr zu tun. Gleich der Einstieg eine Unwahrheit: Er behauptet russische Kampfflugzeuge hätten den Luftraum europäischer Staaten verletzt. Wie kommt der Kommentator zu dieser Einschätzung? Welche Spezialinformationen, die über die offiziellen NATO-Erkenntnisse hinausgehen, befähigen ihn dazu? Mir scheint, es war einfach eine haltlose Behauptung, vulgo Lüge.

 Später heißt es, die NATO würde seit Monaten immer wieder feststellen, dass „russische Kampfflugzeuge den nordeuropäischen Luftraum verletzen.“ Wo ist das Problem, wo die Grenzverletzung, wenn russische Flugzeuge dort fliegen – schließlich gehört Russland doch zumindest bis zum Ural auch zu Nordeuropa?!

 Gegen Ende kulminiert der Beitrag in folgender Sottise: „Noch hat die NATO diese Maschinen nicht abgeschossen, sondern eskortiert und abgedrängt. Wie lange die Allianz das aber so gestalten wird, ist offen. Denn die hier eklatante Verletzung des Luftraums würde auch schärfere Maßnahmen erlauben.“

Aha, obwohl kein Luftraum verletzt wurde, ist es für Clement also an der Zeit und nur gerechtfertigt, wenn die NATO russische Flieger abschießt??? Wieso denn das? Was soll dieses Kriegsgeschrei?

Wie lässt sich so ein Kommentar Ihrer Meinung mit dem Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vereinbaren? Das ist Kriegshetze und Propaganda, brandgefährlich in der jetzigen heiklen Situation.

Bitte sorgen Sie dafür, dass meine Kritik allen Betroffenen und Verantwortlichen zugetragen wird und verhindern Sie derart unqualifiziertes und verantwortungsloses Gerede am Mikrophon für alle Zukunft!

 Mit freundlichen Grüßen“

Eine Entschuldigung für eine unverzeihliche Fehlleistung und die Replik

So weit die Hörerbeschwerde. Und die Antwort des Vorsitzenden bzw. seines Mitarbeiters im Hörfunkrat folgt einem einfachen Rezept. Zuerst lobt man sich selbst und seine Journalisten für das ständige Bemühen um hochwertigen Qualitätsjournalismus. Dann bedankt man sich für die Kritik und bestätigt sie, nicht ohne ein gewisses Maß an Zerknirschung. Die Formulierung, es habe sich um eine „Luftraumverletzung“ gehandelt, wird zurückgenommen. Man entschuldigt sich dafür. Zum Schluss wird noch einmal betont, dass der kritisierte Journalist ein profunder und sorgfältig recherchierender Kollege sei. Leider sei ihm eine unverzeihliche Fehlleistung unterlaufen.

Und die „Entschuldigung“ wird zurecht abgelehnt:

“Sehr geehrter Herr Dr. Steul,

 danke Ihnen für Ihre standardisierte Antwort.

Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen, dass der Autor dieses unterirdischen kriegstreiberischen Beitrags wider besseres Wissen vor sich hin fabuliert hat. Oder sind Sie beim Deutschlandradio schon so weit gekommen, dass Ihren höchstdotierten Journalisten mal eben solche "Fehler" unterlaufen?

Es geht hier nicht um Lappalien, sondern darum, dass einem Staat zu Unrecht unterstellt wird, unzulässig militärisch gehandelt zu haben. Und es geht darum, dass Herr Clement mit seinem Kommentar schon mal den Boden bereitet für verbrecherische "Antworten" der NATO auf solche angeblichen Verstöße.

Ich bin entsetzt und peinlichst berührt, dass Sie Ihren Chefredakteur Clement derart in Schutz nehmen für politische Propaganda, die von keinem Programmauftrag der Welt geschützt ist.

Noch zwei Fragen:

Wann werden Sie denn öffentlich bei Ihrem Publikum um Verständnis und Verzeihung bitten wegen der eben mal so wider besseres Wissen unterlaufenen Kriegshetze?

Ist Herr Clement denn noch wehrfähig? Dann kann er ja schon mal seine Stiefel putzen gehen für den Einsatz in Russland, auf den er offensichtlich so brennt. Und währenddessen vielleicht andere seine Kommentare zusammenschustern lassen. Schlimmer geht nimmer.

 Mit höflichen Grüßen“

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