Zwei fast verstörende Artikel von Michael Hudson und Pepe Escobar

Eurasien oder Untergang

Ein Fahrplan, um dem Würgegriff des Westens zu entkommen

15.10.2022

Einleitung
Erste Anzeichen …
… für einen „Wohlstandsverlust unbegreiflichen Ausmaßes“ (Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Peter Adrian)
Ausblick des Internationalen Währungsfonds (IWF), „eine wahre Grusel-Liste“ – aber „Das Schlimmste kommt noch“

Artikel 1: Michael Hudson: Ein Fahrplan, um dem Würgegriff des Westens zu entkommen
Keynes ist zurück
Eurasien oder der Untergang
Wie man „There Is No Alternative“ entkommt
Aus für Deutschland?

Artikel 2:
Der Euro ohne deutsche Industrie
Wie geht es mit dem Euro und dem Dollar weiter?
Die Auswirkungen der US-Sanktionen und des neuen Kalten Krieges außerhalb Europas

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Einleitung

Wir bringen hier zwei knallharte, beinahe verstörende Analysen von Michael Hudson und Pepe Escobar, die man unbedingt kennen sollte, wenn man einen Ausweg aus dem ökonomischen und politischen Desaster Europas sucht. Wir haben die beiden Artikel mit Deepl übersetzt und stellen Sie nachfolgend komplett zur Verfügung. Der Artikel von Michael Hudson D er Euro ohne deutsche Industrie  i st nicht nur auf seiner Webseite zu finden, sondern auch auf dem sehr empfehlenswerten Portal naked Capitalism . Dort leitet Conor Gallagher den Artikel von Hudson folgendermaßen ein ( 1 ):

„Der rasche Untergang Deutschlands erinnert mich an den deutschen Geheimdienstagenten Bachmann in ‚A Most Wanted Man‘. Man lässt ihn glauben, dass er auf gleicher Augenhöhe mit der CIA und dem britischen Geheimdienst agiert, nur um zu spät zu erkennen, dass er die ganze Zeit über ausgetrickst wurde.

Hudson geht der Frage auf den Grund, was Deutschlands Untergang für den Euro bedeuten wird und welche Optionen die Länder des Globalen Südens und Eurasiens haben, wenn sie versuchen, sich gegen die US-Hegemonie zu behaupten.“

Michael Hudson ist überzeugt, dass „ein deutscher und in der Tat ein europaweiter wirtschaftlicher Zusammenbruch“ bevorsteht und „das nächste Jahrzehnt … eine Katastrophe sein“ wird, falls sich Europa nicht von den Handels- und Finanzsanktionen der USA und der NATO gegen Russland lossagt. Für die EU und insbesondere Deutschland hat Hudson hier wenig Hoffnung, da momentan keinerlei Bereitschaft zu einer Kursänderung da ist.

Für die Schuldnerländer und den globalen Süden gibt es allerdings eine greifbare Alternative: „… werden sich die Schuldnerländer zusammentun und Wege finden, um die Welt der erschwinglichen Öl- und Gaspreise, der Preise für Düngemittel, Getreide und andere Nahrungsmittel, Metalle und Rohstoffe, die von Russland, China und ihren verbündeten eurasischen Nachbarn geliefert werden, wiederherzustellen, und zwar ohne US-amerikanische ‚Auflagen‘, die den europäischen Wohlstand beendet haben?“ Der Schlusssatz in Hudsons Artikel lautet: „Die Frage ist, ob diese Länder eine alternative neue Wirtschaftsordnung entwickeln können, um sich vor einem Schicksal zu schützen, wie es Europa in diesem Jahr für das nächste Jahrzehnt auferlegt wurde.“

Diese harte Analyse Michael Hudson gibt umso mehr zu denken, als er eine Ahnung hat, von dem, worüber er schreibt. Michael Hudson ist ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler. Er ist Distinguished Research Professor an der University of Missouri–Kansas City, außerdem Finanzanalyst und Berater an der Wall Street sowie Präsident des Instituts für Langfristige Wirtschaftsentwicklung. Es verbindet ihn eine Freundschaft mit Pepe Escobar, die seit langem zu einer fruchtbaren Kooperation führt. Pepe Escobar ist ein brasilianischer investigativer Journalist, der in furiosen Artikeln geopolitische Zusammenhänge analysiert, unter anderem in der Asia Times.

Pepe Escobar behandelt seit langem „die geoökonomischen Turbulenzen, die mit den ‚Geburtswehen‘ der multipolaren Welt einhergehen“. Der Titel seines Artikels: Michael Hudson: Ein Fahrplan, um dem Würgegriff des Westens zu entkommen Der geoökonomische Weg weg von der neoliberalen Ordnung ist voller Gefahren, aber die Chancen, ein alternatives System aufzubauen, sind ebenso vielversprechend wie dringend. Der Artikel ist auf dem Portal The Cradle erschienen. Auch dies ein hochinteressantes Portal, eine von Journalisten betriebene Medienplattform, die ausführliche Berichte und Analysen zur westasiatischen Geopolitik aus der Region liefert.

Eine der Zwischenüberschriften in Pepe Escobars Artikel lautet „Eurasien oder der Untergang“. Nach Escobars Meinung gilt das gerade auch für Deutschland. Die harte aber einzige Alternative Deutschlands ist es, aus der NATO auszutreten, wenn es den Handel und die Kooperation mit Russland wiederherstellen will. „Die deutsche Industrie kann sich also nur nach Osten bewegen“ – oder sie kann untergehen.

Diese Positionen von Hudson und Escobar haben wir bereits in einem langen Artikel im März 2022 behandelt und dokumentiert ( 2 ). Unter anderem anhand des Artikels von Pepe Escobar „Russisches Judo zerreißt den Westen. Washingtons Sanktionen gegen Moskau werden Europa zerstören, nicht Russland“.

Erste Anzeichen …

Inzwischen verdichten sich auch in Deutschland die Warnungen, nicht nur vor einem erheblichen Wirtschaftseinbruch, sondern vor einer lang anhaltenden Krise bis hin zur Deindustrialisierung.

Das Handelsblatt widerspricht dem Wirtschaftsminister Habeck, der bei der Vorstellung der neuen Konjunkturprognose der Bundesregierung für 2023 nur von einer leichten Rezession spricht ( 3 ): „2023 rechnet die Regierung gar mit einer Rezession. Mit einem Minus von 0,4 Prozent würde die deutsche Wirtschaft aber längst nicht die Ausmaße vergangener Krisen erreichen. Die Coronapandemie hatte das Bruttoinlandsprodukt allein 2020 um rund vier Prozent schrumpfen lassen. Und es gibt auch andere Einschätzungen. Das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln rechnet für 2023 mit einem Minus von 1,75 Prozent, die Deutsche Bank hält drei bis vier Prozent für denkbar.“

Zum Maschinenbaugipfel, der ab 11. Oktober tagte, schreibt das Handelsblatt unverblümt ( 4 ): „Während die Auslandsnachfrage im Maschinenbau kräftig zulegt, fallen die Inlandsbestellungen zurück. Experten werten das als möglichen Beginn einer schleichenden Deindustrialisierung.“ Und die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelt ( 5 ): „Maschinenbaugipfel: ‚Zehn verlorene Jahre‘“. Der Vorstandsvorsitzende des VDMA-Fachverbands Software und Digitalisierung: „Es gebe ‚null Produktivitätsfortschritt nach zehn Jahren Industrie 4.0‘; das heutige Produktivitätsniveau der Industrie sei auf dem Stand von 2011; die Produktivität im Maschinenbau sei trotz hoher Auslastung sogar gesunken; die breite Masse der Unternehmen sei kaum vorangekommen; statt zu organisieren und zu standardisieren sei ‚die Verschwendung digitalisiert‘ worden.“

Ingenieur.de schreibt schon im April ( 6 ): „Branchenprofil Maschinenbau in Deutschland: Stirbt der Klassiker aus?“ Immerhin ist der Maschinenbau der größte industrielle Arbeitgeber Deutschlands (2018).

… für einen „Wohlstandsverlust unbegreiflichen Ausmaßes“ (Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Peter Adrian)

Der Münchner Merkur bringt am 7. Oktober einen Artikel mit der Überschrift „Das Gespenst der Deindustrialisierung“ ( 7 ). In Teilen der deutschen Wirtschaft greife Panikstimmung um sich:

Der Industrie verdankt Deutschland seinen Wohlstand. Doch Gas- und Strompreise lassen vor allem Mittelständler um die Existenz fürchten. Droht jetzt eine Deindustrialisierung?

In Teilen der deutschen Wirtschaft greift wegen des rapiden Anstiegs der Gas- und Strompreise Panikstimmung um sich. Angesichts der bis Anfang nächsten Jahres erwarteten weiteren Preiserhöhungsrunde fürchten sowohl Betriebe als auch deren Branchenverbände, dass die Produktion in Deutschland dauerhaft unrentabel werden könnte. Das Münchner Ifo-Institut erwartet, dass die Entwicklung der Energiepreise zu vermehrten Investitionen im Ausland führen wird. …

Energieintensive Produktion ist nach Falcks Worten auch sehr kapitalintensiv - sprich teuer. Verlagerungen seien nicht ohne weiteres möglich. ‚Wir werden aber bei Neuinvestitionen wahrscheinlich Verlagerungen ins Ausland sehen.‘ …

Wegen der hohen Energiepreise warnt auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Peter Adrian, vor zahlreichen Insolvenzen in den kommenden Monaten. ‚Wenn die Energiepreise nicht deutlich sinken, gehen spätestens in sechs Monaten bei Zehntausenden Betrieben hierzulande die Lichter aus‘, sagte er der ‚Rheinischen Post‘ (Freitag). Damit drohe ein Wohlstandsverlust unbegreiflichen Ausmaßes. Zudem seien Gaspreise in Deutschland etwa zehnmal so hoch wie in den USA. …

‚ Die Kosten für Strom, Öl und Gas machen in der chemischen Industrie rund 12 Prozent der Produktionskosten aus‘, sagt Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands VCI. ‚In der Grundstoffchemie ist der Anteil mit rund 16 Prozent noch höher. Bei einzelnen Chemikalien, zum Beispiel Ammoniak oder Chlor, liegt der Anteil sogar bei mehr als 70 Prozent.‘

Chemische Erzeugnisse werden für die Herstellung nahezu sämtlicher Industrieprodukte benötigt. ‚Im dritten Quartal lagen die Energiekosten der Chemie fast 150 Prozent über dem Vorjahresniveau‘, sagt Große Entrup. Innerhalb von zwei Jahren hätten sich die Energiekosten der Branche mehr als vervierfacht. Auch bei vielen Vorprodukten seien die Preise seit 2020 im dreistelligen Bereich gestiegen. …

Bedrängte Unternehmer sehen die Lage noch sehr viel dramatischer als Ökonomen. Größtes Kostenproblem für viele industrielle Mittelständler ist nicht Erdgas, sondern der Strom. Manche Unternehmen kauften Strom jahrelang am Spotmarkt ein, weil die Preise dort günstiger waren als langfristige Lieferverträge. …

‚ Nur noch sehr wenige Unternehmen werden in der glücklichen Lage sein, noch in 2023 abgedeckt zu sein‘, sagt die Unternehmerin. ‚Der Rest wacht in dieser neuen Preiswelt auf, die für kein Unternehmen zu stemmen ist.‘ …

Der Autoindustrieverband VDA befragte im September 103 Zulieferer sowie Bus-, Anhänger- und Aufbautenhersteller, zehn Prozent meldeten Einschränkungen der Produktion. Schlagen die hohen Strompreise erst einmal voll durch, erwartet vbw-Hauptgeschäftsführer Brossardt (Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, Red. ), dass die Produktion in vielen Unternehmen unrentabel wird. ‚Das halten die Betriebe nicht lange durch. Das betrifft nicht nur energieintensive Betriebe, sondern die Breite der Wirtschaft.‘ …

Eine mehr oder minder schleichende Abwanderung der deutschen Industrie gab es schon vor der Corona-Krise. Der Anteil der ‚Waren ausländischen Ursprungs‘ an den deutschen Exporten ist laut Statistischem Bundesamt stetig gestiegen, von knapp 10 Prozent 1990 auf 24,5 Prozent im vergangenen Jahr. Daran lässt sich mittelbar ablesen, wie massiv die deutsche Industrie in die Auslandsproduktion investierte.“

Es passt ins Bild, dass der Ludwigshafener Chemiekonzern BASF 10 Milliarden Euro in den Standort Zhangjiang in China investieren will.

Ausblick des Internationalen Währungsfonds (IWF), „eine wahre Grusel-Liste“ – aber „Das Schlimmste kommt noch“

In diesem Monat Oktober veröffentlichte der internationale Währungsfond (IWF) seinen Ausblick über die Weltökonomie ( 8 ). Unter dem Titel „Das Schlimmste kommt noch“ fasste die FAZ wichtige Ergebnisse des World Economic Outlook des IWF zusammen ( 9 ):

„Die Wirtschaftsleistung in Ländern, die ein Drittel der Weltwirtschaft repräsentieren, schrumpft im kommenden Jahr. Die drei größten Wirtschaftsräume USA, Europäische Union und China stagnieren. ‚Kurz gesagt, das Schlimmste kommt noch‘, heißt es im Weltwirtschaftsausblick, den der Internationale Währungsfonds (IWF) jetzt zum Auftakt der Jahrestagung von IWF und Weltbank vorgelegt hat. Für viele Menschen werde sich 2023 anfühlen wie eine Rezession. Der Krieg in der Ukraine, die Stagnation und die hohe Inflation reißen Wunden der Pandemiekrise auf, die in vielen Volkswirtschaften zumindest teilweise zu Beginn des Jahres verheilt schienen. Kein Industrieland schneidet der Prognose zufolge schlechter ab als Deutschland. Die größte Volkswirtschaft Europas schrumpft im kommenden Jahr um 0,3 Prozent nach einem unterdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent in diesem Jahr. Das globale Wirtschaftswachstum schwächt sich von 6 Prozent 2021 auf 3,2 Prozent in diesem und 2,7 Prozent im kommenden Jahr ab. Das ist die schwächste Konjunkturentwicklung seit 20 Jahren, sieht man von der Finanz- und der Pandemiekrise ab.“

Der IWF bestätigt also die schlechte Wirtschaftsentwicklung Deutschlands im nächsten Jahr. Aber er verschleiert die positive Rolle Chinas, denn der chinesische Wirtschaftsraum stagniert keineswegs, wenn man sich die Zahlen in der IWF-Publikation ansieht. Während das Wirtschaftswachstum der USA für nächstes Jahr auf 1 Prozent geschätzt wird und das des Euroraums auf 0,5, werden für China 4,4 Prozent erwartet. Das ist keine Stagnation, sondern Hoffnung und Antrieb für die gesamte Weltwirtschaft, wie der Bericht des IWF auch zugibt.

Schon Ende 2021 setzte der IWF ausdrücklich – wie Willy Sabautzki vom isw München schreibt – „auf die chinesische Volkswirtschaft als einen nicht wegzudenkenden Faktor für die Entwicklung der Weltwirtschaft. Der IWF räumt ein, dass ohne China als Wachstumslokomotive die Weltkonjunktur mit ihren weit verästelten Lieferbeziehungen deutlichen Schaden erleiden würde.“ ( 10 )

Sabautzki: „Nach dem einschneidenden Rückgang des Wachstums im Pandemie-Jahr 2020 setzt sich die kontinuierliche Wirtschaftsentwicklung im Jahr 2021 trotz aller unvorhersehbaren Einflüsse wieder fort. Im Jahr 2021 beläuft sich das Bruttoinlandsprodukt auf 17.458 Mrd. Dollar. Seit vielen Jahren wächst die chinesische Wirtschaft kontinuierlich in einem Maße an, wie es bisher in keiner vergleichbaren nationalen Ökonomie im Weltmaßstab für möglich gehalten wurde.“

Die Global Times, Chinas nationale Zeitung englischer Sprache, äußerte sich am 13. Oktober zur ökonomischen Lage Chinas und befasste sich auch kritisch mit der Darstellung verschiedener Thinktanks und auch des Internationalen Währungsfonds ( 11 ).

Die Überschrift der Global Times lautet China gibt der angeschlagenen Weltwirtschaft die meiste Sicherheit:

„Der IWF senkte am Dienstag seine Wachstumsprognose für Chinas Wirtschaft in diesem Jahr und erklärte, die Verlangsamung des Landes sei einer der drei wichtigsten Gegenwinde für die Weltwirtschaft.

In einer Welt, die sich so tiefgreifend verändert wie seit einem Jahrhundert nicht mehr, steht die chinesische Wirtschaft tatsächlich unter großem Abwärtsdruck. Es muss jedoch festgestellt werden, dass Chinas solide wirtschaftliche Grundlagen, sein übergroßes Wirtschaftsvolumen und seine langfristige Entwicklungsdynamik die Wirtschaft in die Lage versetzt haben, dem globalen Gegenwind zu trotzen.

Als einziges Land der Welt mit einem vollständigen Industriesystem ist Chinas Industriekette nach wie vor gut integriert und unersetzlich, während Chinas Leistung im Außenhandel und bei der Anziehung ausländischer Investitionen nach wie vor ein solides Wachstum aufweist. All dies spiegelt die inhärente Sicherheit der chinesischen Wirtschaft wider. Daher ist China nach wie vor die stabilste große Volkswirtschaft, die am meisten Sicherheit in die von großen Unsicherheiten und Schwierigkeiten geplagte Weltwirtschaft bringt. …

Seit Anfang dieses Jahres, als es zu großen geopolitischen Ereignissen kam, wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat, haben eine Reihe von Maßnahmen des Westens unter Führung der USA in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht die Unsicherheiten weiter verschärft.

Das daraus resultierende globale Wirtschaftschaos und die Turbulenzen, einschließlich der Tech-Restriktionen der USA gegenüber China, werden sich unweigerlich auf Chinas Industriekette, Lieferkette und wirtschaftliche Entwicklung auswirken. China ist sich dieser Schwierigkeiten und Auswirkungen durchaus bewusst. Die dringlichste Aufgabe für die chinesische Wirtschaft besteht daher darin, die wirtschaftliche und soziale Stabilität zu gewährleisten, indem die negativen Schocks minimiert werden.

In der Tat ist China nicht unvorbereitet auf die Schockwellen aus der Außenwelt. In gewisser Weise ist Chinas laufende Transformation von einer investitions- und exportorientierten Wirtschaft zu einer konsumorientierten Wirtschaft eine der Reaktionen, die auf ein qualitativ hochwertiges Wachstum abzielt.

Es wird erwartet, dass die Weltwirtschaft stärkerem Gegenwind ausgesetzt sein wird und im nächsten Jahr sogar in eine Rezession geraten könnte. Angesichts der düsteren Aussicht auf eine erhebliche Schrumpfung des Weltmarktes sowie der von den USA betriebenen Abkopplung und Eindämmung der chinesischen Wirtschaft ist es für China wichtiger denn je, die allgemeine Stabilität zu erhalten, indem es das Potenzial seines Binnenmarktes voll ausschöpft.“

Dem IWF und anderen westlichen Thinktanks schreibt die Global Times noch ins Stammbuch: „Ohne ein umfassendes Verständnis des Umfelds und der Herausforderungen, mit denen China konfrontiert ist, werden westliche Institutionen und Wissenschaftler niemals in der Lage sein, die politischen Absichten Chinas richtig zu interpretieren, und so kam es in den meisten Fällen zu Fehleinschätzungen.“

Die sogenannten Advanced Economies stagnieren im nächsten Jahr voraussichtlich bei 1,1 Prozent, während die Emerging Market und Developing Economies weltweit ein Wachstum von 3,7 Prozent erwarten und die asiatische Region 4,9 Prozent.

Das heißt, ein vorhergesehenes positives Wachstum der Weltwirtschaft von 2,7 Prozent im Jahr 2023 resultiert aus der Stärke der Schwellenländer, und hier vor allem der von China (4,4 Prozent), Indien (6,1) und den Asean-5-Staaten (4,9).

Dies hebt auch IWF-Chefökonom Pierre-Olivier Gourinchas im Interview mit der FAZ hervor ( 12 ):

Welcher Aspekt hat Sie am meisten überrascht, als Sie die Daten für den Weltwirtschaftsausblick zusammengetragen haben?

Mich haben die Schwellenländer überrascht, die sich als überraschend robust erwiesen haben. Immerhin haben die Industrieländer die Leitzinsen von null auf knapp 3 Prozent angehoben und damit die Finanzkonditionen spürbar verschärft. Weitere Schritte stehen bevor. Die Aktienmärkte und die Anleihemärkte brachen ein, während der Dollar stärker wurde. und trotzdem verzeichnen die Schwellenländer weder eine Finanzkrise noch andere schwere Einbrüche. Die Länder haben ihre Geldpolitik und ihre Rahmenbedingungen verbessert. Der starke Dollar tut ihnen weh, aber er hat noch keine Kapitalflucht in sichere US-Anleihen ausgelöst. Die Investoren halten still, und das ist gut so.“

Zu den Emerging and Developing Europe zählt im Outlook des IWF vor allem Russland, für das im Unterschied zu allen anderen Schwellenländern eine scharfe Rezension angezeigt wird: -3,4 Prozent im Jahr 2022 und -2,3 Prozent im Jahr 2023. Inzwischen hat der russische Wirtschaftsminister Maxim Reshetnikov die Prognose revidiert ( 13 ):

„Die russische Wirtschaft wird in den kommenden Jahren weniger stark schrumpfen als erwartet und könnte bereits ab Ende 2022 auf vierteljährlicher Basis wieder wachsen, sagte ein hoher Regierungsbeamter am Dienstag.

Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow sagte, die Regierung prognostiziere nun einen Rückgang des russischen BIP um 2,9 % im Jahr 2022, wie russische Nachrichtenagenturen berichteten – eine Verbesserung gegenüber der Vorhersage vom August, die von einem jährlichen Rückgang um 4,2 % ausging.

Die russische Wirtschaft werde Ende 2022 oder 2023 auf vierteljährlicher Basis zu einem Wachstum zurückkehren, sagte Reschetnikow. Im Gesamtjahr 2023 werde die Wirtschaft jedoch immer noch einen leichten Rückgang von 0,9 % verzeichnen, was auf den ‚hohen Basiseffekt‘ des starken russischen Wachstums von 3,5 % im ersten Quartal dieses Jahres zurückzuführen sei. …

Insgesamt werde Russlands Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren stärker ausfallen als zunächst befürchtet, so Reschetnikow. Er sagte, die Wirtschaft sei auf dem Weg, nach 2024 ein BIP-Wachstum von mehr als 3 % pro Jahr zu erreichen und sich bis 2026 bei der langfristigen Wachstumsrate des Landes von rund 3 % pro Jahr zu stabilisieren.“

Russlands Präsident Wladimir Putin hat nun dem Westen eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen über Nordstream 2 angeboten. Sollten die USA und die EU stattdessen auf ihren Sanktionen bestehen, seien sie verantwortlich für die ganze Misere: Rezession, Inflation und globaler Energiemangel. Die junge Welt vom 15. Oktober schreibt ( 14 ):

„Russlands Präsident Wladimir Putin hat dem Westen ein »provokantes Angebot« (so Springers Welt) gemacht: die Wiederaufnahme der Gaslieferungen. Nach russischen Feststellungen sei ein Strang von Nord Stream 2 bei dem mutmaßlichen Sabotageakt Ende September nicht wesentlich beschädigt worden...

Mit Blick auf die Beschädigung der Pipelines warf Putin dem Westen, insbesondere den USA, Terrorismus vor. Und das zum Schaden ihrer angeblichen Verbündeten. Es gehe den USA darum, den europäischen Kontinent zu deindustrialisieren, um einen Konkurrenten auszuschalten. Zu den Plänen der EU, ab Dezember auf dem Umweg über Vorschriften für z. B. die Versicherung von Tankern Höchstpreise für russische Rohstoffe einzuführen, sagte Putin, man werde zu »gedeckelten« Preisen nichts liefern. Sein Land werde nicht gegen den gesunden Menschenverstand und seine eigenen Interessen handeln.

Russlands Präsident warf den USA und der EU zudem vor, durch ihre Sanktionen gegen den russischen Gassektor nicht nur die eigenen Volkswirtschaften in die Rezession zu stürzen und eine weltweite Inflation anzuheizen, sondern auch eine weltweite Energieknappheit zu Lasten der ökonomisch schwächeren Länder im globalen Süden herbeizuführen. Es gebe nicht genug frei verfügbares Gas, um die russischen Lieferungen zu ersetzen. Dadurch entstehe eine für die ärmeren Länder mörderische Konkurrenz: Wenn die EU Gas auf dem Weltmarkt zu erhöhten Preisen zusammenkaufe, verteuere sie den Rohstoff auch für die Länder, die bei diesem Preiswettbewerb nicht mithalten könnten.“

Die Süddeutsche Zeitung geht noch etwas genauer auf die „verheerenden“ Prognosen für Deutschland im IWF-Outlook ein ( 15 ):

„Es ist eine wahre Grusel-Liste, wie es sie in einem offiziellen Lagebericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) wohl noch nie gegeben hat. Von der Gefahr neuer Energiepreisschocks und möglichen Staatsschuldenkrisen ist da die Rede, von einem Wiederaufflammen der Corona-Pandemie und der denkbaren Zersplitterung der Weltwirtschaft in unterschiedliche Machtblöcke bis hin zur Sorge, dass die großen Notenbanken zwischen Inflation und Rezession zerrieben werden könnten. Wird auch nur ein Bruchteil dieser Risiken tatsächlich Realität, so der Tenor des am Dienstag veröffentlichten Konjunkturausblicks des IWF, dann könnte aus einem ohnehin düsteren wirtschaftlichen Szenario ein rabenschwarzes werden.

Nach den Prognosen der Experten wird rein rechnerisch ein Drittel der gesamten Weltwirtschaft in diesem oder nächsten Jahr in eine Rezession schlittern, die Firmenpleiten, steigende Arbeitslosenzahlen und soziale Probleme mit sich bringen könnte. Mit Blick auf Deutschland etwa sagen die Fachleute für 2023 einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um durchschnittlich 0,3 Prozent voraus. Damit würde das 1,5-prozentige Plus des laufenden Jahres zumindest teilweise wieder aufgefressen. 0,3 Prozent, das klingt nach einem recht kleinen Minus. Es würde aber bedeuten, dass im Vergleich zur IWF-Prognose von vor gerade einmal sechs Monaten rund 85 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung fehlten – mit entsprechenden Folgen für Steuereinnahmen, Sozialversicherungen und den allgemeinen Wohlstand.

Für kein größeres Land der Welt hat der IWF seine Vorhersagen zuletzt so drastisch reduziert wie für die Bundesrepublik: Gegenüber der Juli-Prognose sind es für kommendes Jahr 1,1, gegenüber April gar 3 Prozentpunkte. Beides ist extrem ungewöhnlich und zeigt, wie hart der Gasstreit mit Russland Wirtschaft und Verbraucher insbesondere in Deutschland trifft.

Auch die Inflationsaussichten sind für kein großes Industrieland so verheerend wie für die Bundesrepublik: Nach 8,5 Prozent in diesem Jahr rechnen die Experten für nächstes im Durchschnitt immer noch mit plus 7,2 Prozent. Das ist deutlich mehr als etwa in den USA, Frankreich oder Spanien, wo für 2023 Teuerungsraten von nur noch 3,5 bis 4,9 Prozent erwartet werden. Allein in Großbritannien sehen die Werte mit jeweils rund 9 Prozent noch übler aus.“

Indirekt bestätigt der Chefökonom Pierre-Olivier Gourinchas im Vorwort zum World Economic Outlook Oktober 2022 die Kritik an den Sanktionen des Westens und der politischen und militärischen Konfrontation gegenüber Russland (und China), die zu einer „geoökonomischen Fragmentierung“ führen, die überwunden werden müsse: „Fortschritte in der Klimapolitik sowie bei der Schuldenregulierung und anderen gezielten multilateralen Themen werden beweisen, dass ein fokussierter Multilateralismus tatsächlich Fortschritte für alle erzielen und den geoökonomischen Fragmentierungsdruck überwinden kann.“

Und noch mal in seinem Executive Summary: „… die geopolitische Fragmentierung könnte den Handel und die Kapitalströme behindern und die klimapolitische Zusammenarbeit weiter erschweren.“ Pierre-Olivier Gourinchas schließt sein Summary mit folgender Bemerkung ab: „Und schließlich wird eine erfolgreiche multilaterale Zusammenarbeit eine Zersplitterung verhindern, die die Gewinne an wirtschaftlichem Wohlstand aus 30 Jahren wirtschaftlicher Integration wieder zunichte machen könnte.“

Inzwischen hat das Statistische Bundesamt die deutsche Inflationsrate im September bei 10,0 Prozent bestätigt ( 16 ). Den harmonisierten Verbraucherpreisindex für September 2022 gibt das Statistische Bundesamt sogar mit +10,9 Prozent zum Vorjahresmonat an! Gleichzeitig wird ein Anstieg der Großhandelsverkaufspreise im September um +19,9 Prozent zum Vorjahresmonat gemeldet ( 17 ).

Peter Feininger, 15. Oktober 2022

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Artikel 1

Michael Hudson: Ein Fahrplan, um dem Würgegriff des Westens zu entkommen

Pepe Escobar 6. Oktober 2022



Escobar, Pepe. „Michael Hudson: A roadmap to escape the west's stranglehold. The geoeconomic pathway away from the neoliberal order is fraught with peril, but the rewards in establishing an alternative system are as promising as they are urgent; de Michael Hudson: Ein Fahrplan, um dem Würgegriff des Westens zu entkommen Der geoökonomische Weg weg von der neoliberalen Ordnung ist voller Gefahren, aber die Chancen, ein alternatives System aufzubauen, sind ebenso vielversprechend wie dringend“. The Cradle, 6. Oktober 2022. https://thecradle.co/Article/interviews/16536

Wiederveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion von The Cradle. Übersetzung mithilfe von Deepl

Es ist unmöglich, die geoökonomischen Turbulenzen, die mit den „Geburtswehen“ der multipolaren Welt einhergehen, ohne die Erkenntnisse von Professor Michael Hudson von der University of Missouri und Autor des bereits bahnbrechenden Buches The Destiny of Civilization zu verfolgen.

In seinem jüngsten Aufsatz (siehe Anhang 2 Der Euro ohne deutsche Industrie von Michael Hudson; Red ) geht Professor Hudson näher auf die selbstmörderische Wirtschafts- und Finanzpolitik Deutschlands und ihre Auswirkungen auf den bereits fallenden Euro ein – und deutet einige Möglichkeiten für eine schnelle Integration Eurasiens und des globalen Südens als Ganzes an, um zu versuchen, den Würgegriff des Hegemons zu brechen.

Dies führte zu einer Reihe von E-Mail-Austauschen, insbesondere über die künftige Rolle des Yuan, zu der Hudson anmerkte:

„Die Chinesen, mit denen ich jahrelang gesprochen habe, haben nicht erwartet, dass der Dollar schwächer wird. Sie weinen nicht über seinen Anstieg, aber sie sind besorgt über die Kapitalflucht aus China, da ich denke, dass es nach dem Parteitag [der am 16. Oktober beginnt] ein hartes Durchgreifen gegen die Verfechter des freien Marktes in Shanghai geben wird. Der Druck für die bevorstehenden Veränderungen hat sich schon lange aufgebaut. Der Reformgeist, der die ‚freien Märkte‘ eindämmen soll, hat sich schon vor über einem Jahrzehnt unter den Studenten verbreitet, und sie sind in der Parteihierarchie aufgestiegen.“

In Bezug auf die Schlüsselfrage, ob Russland die Bezahlung von Energie in Rubel akzeptiert, sprach Hudson einen Punkt an, der außerhalb Russlands selten untersucht wird: „Sie wollen nicht wirklich nur in Rubel bezahlt werden. Das ist das Einzige, was Russland nicht braucht, denn es kann sie einfach drucken. Es braucht Rubel nur, um seine internationalen Zahlungen auszugleichen und den Wechselkurs zu stabilisieren – nicht, um ihn in die Höhe zu treiben.“

Womit wir bei den Abrechnungen in Yuan wären: „Eine Zahlung in Yuan ist wie eine Zahlung in Gold – ein internationales Gut, das jedes Land als eine nicht-fiat-Währung begehrt, die einen Wert hat, wenn man sie verkauft (im Gegensatz zum Dollar, der jetzt einfach konfisziert oder schließlich aufgegeben werden kann). Was Russland wirklich braucht, sind wichtige Industriegüter wie Computerchips. Es könnte China bitten, diese mit dem Yuan zu importieren, den Russland zur Verfügung stellt.

Keynes ist zurück

Nach unserem E-Mail-Austausch erklärte sich Professor Hudson freundlicherweise bereit, einige Fragen zu den äußerst komplexen geoökonomischen Prozessen in Eurasien ausführlich zu beantworten. Hier sind sie.

The Cradle: Die BRICS erwägen die Einführung einer gemeinsamen Währung – für alle und, wie wir erwarten, auch für die erweiterten BRICS+. Wie könnte das praktisch umgesetzt werden? Es ist schwer vorstellbar, dass die brasilianische Zentralbank mit den Russen und der Volksbank von China harmoniert. Würde das nur Investitionen beinhalten – über die BRICS-Entwicklungsbank? Würde das auf Rohstoffen und Gold basieren? Wie passt der Yuan dazu? Basiert der BRICS-Ansatz auf den aktuellen Gesprächen der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU) mit den Chinesen unter der Leitung von Sergey Glazyev ? (siehe den Artikel Exklusiv: Der russische Geowirtschaftszar Sergej Glasjew stellt das neue globale Finanzsystem vor von Pepe Escobar bei The Cradle, 14. Apri 2022 https://thecradle.co/Article/Interviews/9135 , Red.) Hat das Gipfeltreffen in Samarkand die Verflechtung von BRICS und SCO praktisch vorangebracht?

Hudson: „Jede Idee einer gemeinsamen Währung muss mit einem Währungstausch zwischen den bestehenden Mitgliedsländern beginnen. Der Großteil des Handels wird in ihren eigenen Währungen abgewickelt. Um jedoch die unvermeidlichen Ungleichgewichte (Zahlungsbilanzüberschüsse und -defizite) auszugleichen, wird eine neue Zentralbank eine künstliche Währung schaffen.

Diese mag oberflächlich betrachtet den vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geschaffenen Sonderziehungsrechten (SZR) ähneln, die vor allem zur Finanzierung des US-Militärdefizits und des steigenden Schuldendienstes der Schuldner des globalen Südens gegenüber den US-Kreditgebern dienen. Die Regelung wird jedoch viel mehr dem von John Maynard Keynes 1944 vorgeschlagenen „Bancor“ ähneln. Defizitländer könnten ein bestimmtes Kontingent an Bancors zeichnen, deren Bewertung durch eine gemeinsame Auswahl von Preisen und Wechselkursen festgelegt würde. Die Bancors (und ihre eigene Währung) würden für die Bezahlung der Überschussländer verwendet werden.

Doch im Gegensatz zum SZR-System des IWF wird das Ziel dieser neuen alternativen Zentralbank nicht einfach darin bestehen, die wirtschaftliche Polarisierung und Verschuldung zu subventionieren. Keynes schlug den Grundsatz vor, dass, wenn ein Land (er dachte damals an die Vereinigten Staaten) chronische Überschüsse erwirtschaftet, dies ein Zeichen für seinen Protektionismus oder seine Weigerung ist, eine gegenseitig widerstandsfähige Wirtschaft zu unterstützen, und dass seine Forderungen allmählich getilgt werden, zusammen mit den Schulden der Länder, deren Wirtschaft nicht in der Lage ist, ihre internationalen Zahlungen auszugleichen und ihre Währung zu stützen.

Die heute vorgeschlagenen Regelungen würden in der Tat die Kreditvergabe unter den Mitgliedsbanken unterstützen, aber nicht zum Zwecke der Unterstützung der Kapitalflucht (der Hauptverwendungszweck von IWF-Krediten, wenn „linke“ Regierungen gewählt werden), und der IWF und die mit ihm verbundene Alternative zur Weltbank würden den Schuldnern keine Sparpläne und arbeitnehmerfeindliche Politik aufzwingen. Die Wirtschaftsdoktrin würde die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln und lebensnotwendigen Gütern fördern und die materielle landwirtschaftliche und industrielle Kapitalbildung unterstützen, nicht die Finanzialisierung.

Es ist wahrscheinlich, dass Gold auch ein Element der internationalen Währungsreserven dieser Länder sein würde, einfach, weil Gold ein Rohstoff ist, auf den sich die Welt seit Jahrhunderten als akzeptabel und politisch neutral geeinigt hat. Aber Gold wäre ein Mittel zur Begleichung von Zahlungsbilanzen und nicht zur Festlegung der nationalen Währung. Diese Salden würden sich natürlich auf den Handel und die Investitionen mit westlichen Ländern erstrecken, die nicht Teil dieser Bank sind. Gold wäre ein akzeptables Mittel zur Begleichung westlicher Schulden gegenüber der neuen Bank mit eurasischem Zentrum. Dies würde sich als Zahlungsmittel erweisen, das die westlichen Länder nicht einfach zurückweisen könnten – solange das Gold in den Händen der neuen Bankmitglieder und nicht mehr in New York oder London aufbewahrt wird, wie es seit 1945 die gefährliche Praxis war.

Bei einem Treffen zur Gründung einer solchen Bank wäre China in einer ähnlich dominanten Position wie die Vereinigten Staaten 1944 in Bretton Woods. Die Arbeitsphilosophie der Bank wäre jedoch eine ganz andere. Ziel wäre es, die Volkswirtschaften der Bankmitglieder zu entwickeln, und zwar mit langfristigen Planungs- oder Handelsmustern, die für ihre Volkswirtschaften am geeignetsten erscheinen, um die Art von Abhängigkeitsverhältnissen und Privatisierungsübernahmen zu vermeiden, die die Politik des IWF und der Weltbank gekennzeichnet haben.

Diese Entwicklungsziele würden eine Bodenreform, eine industrielle und finanzielle Umstrukturierung und eine Steuerreform sowie inländische Banken- und Kreditreformen beinhalten. Die Diskussionen auf den SOZ-Treffen scheinen den Boden für eine allgemeine Interessenübereinstimmung bei der Schaffung von Reformen in diesem Sinne bereitet zu haben.“

Eurasien oder der Untergang

The Cradle: Ist mittelfristig zu erwarten, dass deutsche Industrielle angesichts der bevorstehenden Einöde und ihres eigenen Untergangs massenhaft gegen die von der NATO verhängten Handels- und Finanzsanktionen gegen Russland aufbegehren und Berlin zwingen, Nord Stream 2 zu eröffnen? Gazprom garantiert, dass die Pipeline wiederherstellbar ist. Dazu muss man nicht der SCO beitreten...

Hudson: „Es ist unwahrscheinlich, dass deutsche Industrielle handeln werden, um die Deindustrialisierung ihres Landes zu verhindern, angesichts des Würgegriffs der USA/NATO auf die Politik der Eurozone und der vergangenen 75 Jahre politischer Einmischung durch US-Beamte. Die deutschen Firmenchefs werden eher versuchen, so viel persönliches und unternehmerisches Vermögen wie möglich zu bewahren, wenn Deutschland in ein wirtschaftliches Wrack vom Typ eines baltischen Staates verwandelt wird.

Es ist bereits die Rede davon, die Produktion – und das Management – in die Vereinigten Staaten zu verlagern, was Deutschland daran hindern wird, Energie, Metalle und andere wichtige Materialien von Lieferanten zu beziehen, die nicht von US-Interessen und ihren Verbündeten kontrolliert werden.

Die große Frage ist, ob deutsche Unternehmen in die neuen eurasischen Volkswirtschaften abwandern würden, deren industrielles Wachstum und Wohlstand das der Vereinigten Staaten bei weitem zu übertreffen scheint.

Natürlich lassen sich die Nord Stream-Pipelines retten. Das ist genau der Grund, warum der politische Druck der USA durch Außenminister Blinken so stark war, dass Deutschland, Italien und andere europäische Länder ihre Volkswirtschaften vom Handel und von Investitionen mit Russland, Iran, China und anderen Ländern, deren Wachstum die USA zu stören versuchen, noch stärker isolieren.“

Wie man „There Is No Alternative“ entkommt

The Cradle: Erreichen wir den Punkt, an dem die Hauptakteure des Globalen Südens – über 100 Nationen – endlich die Kurve kriegen und beschließen, alles zu tun, um die USA daran zu hindern, die künstliche neoliberale Weltwirtschaft in einem Zustand des ewigen Komas zu halten? Das bedeutet, dass die einzig mögliche Option, wie Sie dargelegt haben, darin besteht, eine parallele Weltwährung unter Umgehung des US-Dollars einzurichten – während die üblichen Verdächtigen bestenfalls den Gedanken an ein Bretton Woods III in die Welt setzen. Ist das FIRE-Finanzcasino (Finanzen, Versicherungen, Immobilien) allmächtig genug, um jede mögliche Konkurrenz zu zerschlagen? Sehen Sie andere praktische Mechanismen als die, die von BRICS, EAEU und SCO diskutiert werden?

Hudson: „Noch vor ein oder zwei Jahren schien die Aufgabe, ein vollwertiges alternatives Weltwährungs-, Währungs-, Kredit- und Handelssystem zu entwerfen, so komplex zu sein, dass die Details kaum durchdacht werden konnten. Aber die US-Sanktionen haben sich als der notwendige Katalysator erwiesen, um solche Diskussionen pragmatisch dringend zu machen.

Die Konfiszierung der Goldreserven Venezuelas in London und seiner US-Investitionen, die Konfiszierung der russischen Devisenreserven in Höhe von 300 Milliarden Dollar, die in den Vereinigten Staaten und Europa gehalten werden, und die Drohung, dasselbe mit China und anderen Ländern zu tun, die sich der US-Außenpolitik widersetzen, haben die Entdollarisierung dringend notwendig gemacht. Ich habe die Logik in vielen Punkten erläutert, von meinem Valdai-Club-Artikel (mit Radhika Desai) bis hin zu meinem kürzlich erschienenen Buch The Destiny of Civilization, der Vorlesungsreihe, die ich für Hongkong und die Global University for Sustainability vorbereitet habe.

Das Halten von Wertpapieren, die auf Dollar lauten, und sogar das Halten von Gold oder Anlagen in den Vereinigten Staaten und Europa ist keine sichere Option mehr. Es ist klar, dass die Welt in zwei ganz unterschiedliche Arten von Volkswirtschaften zerfällt und dass die US-Diplomaten und ihre europäischen Satelliten bereit sind, die bestehende Wirtschaftsordnung zu zerstören, in der Hoffnung, dass sie durch die Schaffung einer störenden Krise an die Spitze gelangen können.

Es ist auch klar, dass die Unterwerfung unter den IWF und seine Sparpläne wirtschaftlicher Selbstmord sind, und dass die Befolgung der Weltbank und ihrer neoliberalen Doktrin der internationalen Abhängigkeit selbstzerstörerisch ist. Das Ergebnis ist ein unbezahlbarer Schuldenberg, der in US-Dollar denominiert ist. Diese Schulden können nicht bezahlt werden, ohne Kredite beim IWF aufzunehmen und die Bedingungen einer wirtschaftlichen Kapitulation vor den US-Privatisierern und Spekulanten zu akzeptieren.

Die einzige Alternative dazu, sich selbst wirtschaftliche Sparmaßnahmen aufzuerlegen, ist der Ausstieg aus der Dollar-Falle, in der die von den USA geförderte „freie Marktwirtschaft“ (Märkte, die frei von staatlichem Schutz sind, und frei von der Fähigkeit der Regierung, die Umweltschäden der US-Ölkonzerne, der Bergbauunternehmen und der damit verbundenen Industrie- und Nahrungsmittelabhängigkeit zu beseitigen) einen sauberen Bruch darstellt.

Der Bruch wird schwierig sein, und die US-Diplomatie wird alles tun, um die Schaffung einer widerstandsfähigeren Wirtschaftsordnung zu stören. Aber die US-Politik hat einen globalen Zustand der Abhängigkeit geschaffen, aus dem es buchstäblich keine Alternative gibt, als auszubrechen.“

Aus für Deutschland?

The Cradle: Wie bewerten Sie die Bestätigung von Gazprom, dass die Linie B von Nord Stream 2 nicht vom Pipeline-Terror betroffen ist? Das bedeutet, dass Nord Stream 2 praktisch einsatzbereit ist – mit einer Kapazität von 27,5 Milliarden Kubikmetern Gas pro Jahr, was zufällig der Hälfte der Gesamtkapazität der – beschädigten – Nord Stream entspricht. Deutschland ist also nicht dem Untergang geweiht. Damit wird ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen; eine Lösung wird von einer ernsthaften politischen Entscheidung der deutschen Regierung abhängen.

Hudson: „Hier ist der Knackpunkt: Russland wird sicher nicht noch einmal die Kosten tragen, nur um die Pipeline in die Luft zu jagen. Es wird an Deutschland liegen. Ich wette, das derzeitige Regime sagt „Nein“. Das dürfte für einen interessanten Aufstieg der alternativen Parteien sorgen.

Das eigentliche Problem besteht darin, dass die einzige Möglichkeit für Deutschland, den Handel mit Russland wiederherzustellen, darin besteht, aus der NATO auszutreten, da es sich bewusst ist, dass es das Hauptopfer des NATO-Krieges ist. Dies könnte nur gelingen, wenn es auf Italien und auch auf Griechenland übergreift (weil es das Land seit Zypern nicht mehr vor der Türkei schützt). Das sieht nach einem langen Kampf aus.

Vielleicht ist es für die deutsche Industrie einfacher, ihre Sachen zu packen und nach Russland zu gehen, um dort bei der Modernisierung der Industrieproduktion zu helfen, insbesondere BASF für die Chemie, Siemens für den Maschinenbau usw.. Wenn deutsche Unternehmen ihre Produktion in die USA verlagern, um Gas zu bekommen, wird dies als ein Überfall der USA auf die deutsche Industrie wahrgenommen werden, um deren Vorsprung für die USA zu erobern. Doch das wird angesichts der postindustriellen Wirtschaft Amerikas nicht gelingen.

Die deutsche Industrie kann sich also nur nach Osten bewegen, wenn sie ihre eigene politische Partei als nationalistische Anti-NATO-Partei gründet. Die EU-Verfassung würde Deutschland zum Austritt aus der EU zwingen, die auf Bundesebene die Interessen der NATO in den Vordergrund stellt. Das nächste Szenario ist die Diskussion über den Beitritt Deutschlands zur SCO. Lassen Sie uns Wetten darüber abschließen, wie lange das dauern wird.“



Artikel 2

Der Euro ohne deutsche Industrie

Michael Hudson 30. September 2022

Michael Hudson. „The Euro Without German Industry; de Der Euro Ohne Deutsche Industrie“. Michael Hudson On Finance, Real Estate and the Powers of Neoliberalism, 4. Oktober 2022. https://michael-hudson.com/2022/10/the-euro-without-german-industry/

Übersetzung mithilfe von Deepl

Die Reaktion auf die Sabotage von drei der vier Nord Stream 1- und 2-Pipelines an vier Orten am Montag, dem 26. September, konzentrierte sich auf Spekulationen über die Täter und die Frage, ob die NATO einen ernsthaften Versuch unternehmen wird, die Antwort zu finden. Doch anstelle von Panik herrschte große diplomatische Erleichterung, ja sogar Ruhe. Die Abschaltung dieser Pipelines beendet die Ungewissheit und die Besorgnis der US/NATO-Diplomaten, die in der vergangenen Woche fast ein krisenhaftes Ausmaß erreicht hatten, als in Deutschland große Demonstrationen stattfanden, bei denen die Beendigung der Sanktionen und die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zur Behebung der Energieknappheit gefordert wurden.

Die deutsche Öffentlichkeit begann zu verstehen, was es bedeutet, wenn ihre Stahl-, Düngemittel-, Glas- und Toilettenpapierunternehmen schließen. Diese Unternehmen rechneten damit, dass sie ihr Geschäft ganz aufgeben oder in die Vereinigten Staaten verlagern müssten, wenn Deutschland die Handels- und Währungssanktionen gegen Russland nicht aufgäbe und die Wiederaufnahme der russischen Gas- und Öleinfuhren zuließe, die vermutlich von ihrem astronomischen Preisanstieg um das Acht- bis Zehnfache zurückgehen würden.

Die Falkenjägerin des Außenministeriums, Victoria Nuland, hatte jedoch bereits im Januar erklärt, dass Nord Stream 2 so oder so nicht vorankommen werde, wenn Russland auf die zunehmenden ukrainischen Militärangriffe auf die russischsprachigen östlichen Oblaste reagiere. Präsident Biden bekräftigte am 7. Februar das Beharren der USA und versprach, dass es „Nord Stream 2 nicht mehr geben wird. Wir werden dem ein Ende setzen. ... Ich verspreche Ihnen, dass wir dazu in der Lage sein werden“.

Die meisten Beobachter gingen einfach davon aus, dass diese Aussagen die offensichtliche Tatsache widerspiegelten, dass die deutschen Politiker voll in der Tasche der USA/NATO stecken. Die deutschen Politiker hielten die Turbinen fest und weigerten sich, Nord Stream 2 zu genehmigen, und Kanada beschlagnahmte bald darauf die Siemens-Dynamos, die für die Durchleitung von Gas durch Nord Stream 1 benötigt wurden. Damit schien die Angelegenheit erledigt, bis die deutsche Industrie – und eine wachsende Zahl von Wählern – schließlich zu berechnen begann, was eine Blockade des russischen Gases für die deutschen Industriebetriebe und damit für die Beschäftigung in Deutschland bedeuten würde.

Die Bereitschaft Deutschlands, sich selbst eine wirtschaftliche Depression zu verpassen, wankte – allerdings nicht bei den Politikern oder der EU-Bürokratie. Wenn die politischen Entscheidungsträger die Interessen der deutschen Wirtschaft und den Lebensstandard an die erste Stelle setzen würden, würden die gemeinsamen Sanktionen der NATO und die Front des Neuen Kalten Krieges durchbrochen werden. Italien und Frankreich könnten diesem Beispiel folgen. Diese Aussicht machte es dringend erforderlich, die antirussischen Sanktionen aus den Händen der demokratischen Politik zu nehmen.

Obwohl es sich bei der Sabotage der Pipelines um einen Gewaltakt handelt, sind die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und der NATO wieder ruhig geworden. Es besteht keine Unsicherheit mehr darüber, ob Europa sich von der US-Diplomatie lösen könnte, indem es den gegenseitigen Handel und die Investitionen mit Russland wieder aufnimmt. Die Gefahr, dass sich Europa von den Handels- und Finanzsanktionen der USA und der NATO gegen Russland lossagt, ist scheinbar für die absehbare Zukunft gebannt. Russland hat bekannt gegeben, dass der Gasdruck in drei der vier Pipelines sinkt und dass das Eindringen von Salzwasser die Rohre irreversibel korrodieren wird. (Tagesspiegel, 28. September.)

Wie geht es mit dem Euro und dem Dollar weiter?

Wenn man sich anschaut, wie dies die Beziehung zwischen dem US-Dollar und dem Euro verändern wird, kann man verstehen, warum die scheinbar offensichtlichen Konsequenzen eines Abbruchs der Handelsbeziehungen zwischen Deutschland, Italien und anderen europäischen Volkswirtschaften und Russland nicht offen diskutiert wurden. Die Lösung ist ein deutscher und in der Tat ein europaweiter wirtschaftlicher Zusammenbruch. Das nächste Jahrzehnt wird eine Katastrophe sein. Es mag Vorwürfe über den Preis geben, der dafür gezahlt wurde, dass die europäische Handelsdiplomatie von der NATO diktiert wurde, aber Europa kann nichts dagegen tun. Niemand erwartet (noch), dass es der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit beitritt. Was erwartet wird, ist, dass sein Lebensstandard sinkt.

Die deutschen Industrieexporte und die Anziehungskraft ausländischer Investitionsströme waren wichtige Faktoren, die den Wechselkurs des Euro stützten. Für Deutschland bestand der große Anreiz, von der D-Mark zum Euro zu wechseln, darin, zu vermeiden, dass sein Exportüberschuss den Wechselkurs der D-Mark in die Höhe treibt und deutsche Produkte auf den Weltmärkten verdrängt. Die Ausweitung der Eurozone auf Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und andere Länder mit Zahlungsbilanzdefiziten verhinderte einen Höhenflug des Euro. Das schützte die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.

Nach seiner Einführung im Jahr 1999 zu einem Kurs von 1,12 Dollar sank der Euro bis Juli 2001 auf 0,85 Dollar, erholte sich jedoch und stieg im April 2008 auf 1,58 Dollar. Seitdem ist er stetig gesunken, und seit Februar dieses Jahres haben die Sanktionen den Wechselkurs des Euro unter die Parität zum Dollar gedrückt, auf 0,97 Dollar in dieser Woche.

Das größte Defizitproblem sind die steigenden Preise für importiertes Gas und Öl sowie für Produkte wie Aluminium und Düngemittel, deren Herstellung einen hohen Energieaufwand erfordert. Und da der Wechselkurs des Euro gegenüber dem Dollar sinkt, steigen die Kosten für das Tragen der europäischen US-Dollar-Schulden – die normale Bedingung für die Tochtergesellschaften der multinationalen US-Unternehmen – und drücken die Gewinne.

Dies ist nicht die Art von Depression, bei der „automatische Stabilisatoren“ wirken können, um das wirtschaftliche Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Energieabhängigkeit ist strukturell bedingt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Wirtschaftsregeln der Eurozone das Haushaltsdefizit auf nur 3 % des BIP begrenzen. Dies verhindert, dass die nationalen Regierungen die Wirtschaft durch Defizitausgaben stützen. Höhere Energie- und Lebensmittelpreise – und der Schuldendienst in Dollar – werden dazu führen, dass viel weniger Einkommen für Waren und Dienstleistungen zur Verfügung steht.

Pepe Escobar wies am 28. September darauf hin, dass „Deutschland vertraglich verpflichtet ist, bis 2030 mindestens 40 Milliarden Kubikmeter russisches Gas pro Jahr zu kaufen. ... Gazprom hat einen gesetzlichen Anspruch darauf, auch ohne Gaslieferungen bezahlt zu werden. ... Berlin bekommt nicht alles Gas, was es braucht, muss aber trotzdem zahlen.“ Es ist mit einem langen Rechtsstreit zu rechnen, bevor das Geld den Besitzer wechselt. Und die endgültige Zahlungsfähigkeit Deutschlands wird immer schwächer werden.

Es mutet merkwürdig an, dass der US-Aktienmarkt am Mittwoch einen Anstieg von über 500 Punkten im Dow Jones Industrial Average verzeichnete. Vielleicht hat das „Plunge Protection Team“ ( 18 ) interveniert, um die Welt zu beruhigen, dass alles in Ordnung ist. Doch am Donnerstag gab der Aktienmarkt den größten Teil dieser Gewinne wieder ab, da die Realität nicht länger beiseite geschoben werden konnte.

Der Wettbewerb der deutschen Industrie mit den Vereinigten Staaten geht zu Ende, was der US-Handelsbilanz zugutekommt. Auf dem Kapitalkonto jedoch wird die Abwertung des Euro den Wert der US-Investitionen in Europa und den Dollarwert der Gewinne, die sie noch erzielen können, verringern, da die europäische Wirtschaft schrumpft. Die von den multinationalen US-Konzernen ausgewiesenen Gewinne werden weltweit sinken.

Die Auswirkungen der US-Sanktionen und des neuen Kalten Krieges außerhalb Europas

Die Fähigkeit vieler Länder, ihre Auslands- und Inlandsschulden zu begleichen, war bereits an der Belastungsgrenze angelangt, bevor die antirussischen Sanktionen die Weltmarktpreise für Energie und Lebensmittel in die Höhe trieben. Der sanktionsbedingte Preisanstieg wurde durch den steigenden Wechselkurs des Dollars gegenüber fast allen Währungen noch verstärkt (ironischerweise mit Ausnahme des Rubels, dessen Kurs gestiegen ist, anstatt zu kollabieren, wie es die US-Strategen vergeblich zu erreichen versuchten). Die Preise für internationale Rohstoffe werden immer noch hauptsächlich in Dollar angegeben, so dass die Aufwertung des Dollars die Importpreise für die meisten Länder weiter in die Höhe treibt.

Der steigende Dollar erhöht auch die Kosten für die Bedienung von Auslandsschulden in Dollar in lokaler Währung. Viele Länder Europas und des Globalen Südens haben bereits die Grenze ihrer Fähigkeit erreicht, ihre auf Dollar lautenden Schulden zu bedienen, und haben immer noch mit den Auswirkungen der Covid-Pandemie zu kämpfen. Jetzt, da die Sanktionen der USA und der NATO die Weltmarktpreise für Gas, Öl und Getreide in die Höhe getrieben haben und die Aufwertung des Dollars die Kosten für die Bedienung der Dollar-Schulden in die Höhe treibt, können diese Länder es sich nicht leisten, die Energie und die Nahrungsmittel zu importieren, die sie zum Leben brauchen, wenn sie ihre Auslandsschulden bezahlen müssen. Irgendetwas muss also geschehen.

Am Dienstag, den 27. September, vergoss US-Außenminister Antony Blinken Krokodilstränen und erklärte, ein Angriff auf russische Pipelines sei „in niemandes Interesse“. Aber wenn das wirklich der Fall wäre, hätte niemand die Gasleitungen angegriffen. Was Herr Blinken wirklich sagen wollte, war: „Frag nicht Cui bono“. Ich erwarte nicht, dass die Ermittler der NATO über die Beschuldigung der üblichen Verdächtigen hinausgehen, die von US-Beamten automatisch beschuldigt werden.

Die US-Strategen müssen einen Plan haben, wie sie weiter vorgehen wollen. Sie werden versuchen, eine neoliberalisierte Weltwirtschaft so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Sie werden die übliche Masche für Länder anwenden, die ihre Auslandsschulden nicht bezahlen können: Der IWF wird ihnen das Geld leihen – unter der Bedingung, dass sie die Devisen für die Rückzahlung aufbringen, indem sie das privatisieren, was von ihrem öffentlichen Eigentum, ihren natürlichen Ressourcen und anderen Vermögenswerten übrig geblieben ist, und es an US-Finanzinvestoren und ihre Verbündeten verkaufen.

Wird das funktionieren? Oder werden sich die Schuldnerländer zusammentun und Wege finden, um die Welt der erschwinglichen Öl- und Gaspreise, der Preise für Düngemittel, Getreide und andere Nahrungsmittel, Metalle und Rohstoffe, die von Russland, China und ihren verbündeten eurasischen Nachbarn geliefert werden, wiederherzustellen, und zwar ohne US-amerikanische „Auflagen“, die den europäischen Wohlstand beendet haben?

Eine Alternative zu der von den USA entworfenen neoliberalen Ordnung ist die große Sorge der US-Strategen. Sie können das Problem nicht so einfach lösen wie die Sabotage von Nord Stream 1 und 2. Ihre Lösung wird wahrscheinlich der übliche US-Ansatz sein: militärische Intervention und neue farbige Revolutionen in der Hoffnung, die gleiche Macht über den Globalen Süden und Eurasien zu erlangen, die Amerikas Diplomatie über die NATO über Deutschland und andere europäische Länder ausgeübt hat.

Die Tatsache, dass die Erwartungen der USA an die Wirkung der antirussischen Sanktionen gegen Russland genau das Gegenteil von dem waren, was tatsächlich geschehen ist, lässt für die Zukunft der Welt hoffen. Die Ablehnung und sogar Verachtung von US-Diplomaten gegenüber anderen Ländern, die in ihrem eigenen wirtschaftlichen Interesse handeln, hält es für Zeitverschwendung (und sogar für unpatriotisch), darüber nachzudenken, wie andere Länder ihre eigene Alternative zu den US-Plänen entwickeln könnten. Die Annahme, die diesem Tunnelblick der USA zugrunde liegt, ist, dass es keine Alternative gibt – und dass, wenn sie nicht über eine solche Perspektive nachdenken, sie undenkbar bleiben wird.

Aber wenn andere Länder nicht zusammenarbeiten, um eine Alternative zum IWF, zur Weltbank, zum Internationalen Gerichtshof, zur Welthandelsorganisation und zu den zahlreichen UN-Organisationen zu schaffen, die jetzt von US-Diplomaten und ihren Stellvertretern in Richtung USA/NATO beeinflusst werden, wird sich die wirtschaftliche Strategie der finanziellen und militärischen Dominanz der USA in den kommenden Jahrzehnten so entfalten, wie Washington es geplant hat. Die Frage ist, ob diese Länder eine alternative neue Wirtschaftsordnung entwickeln können, um sich vor einem Schicksal zu schützen, wie es Europa in diesem Jahr für das nächste Jahrzehnt auferlegt wurde.

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1 https://www.nakedcapitalism.com/2022/09/michael-hudson-on-the-euro-without-germany.html

2 Peter Feininger. „Ukrainekonflikt 2: Die Gegenreaktion auf die Sanktionen wird den ‚Westen‘ dazu bringen, Russlands Forderungen zu akzeptieren. Sanktionen und Souveränität. Wie Russland die Kriegserklärung der USA und der EU kontern wird“. Forum solidarisches und friedliches Augsburg, 19. März 2022. https://www.forumaugsburg.de/s_3themen/Osteuropa/220319_die-folgen-der-eigenen-sanktionen-werden-den-westen-zum-einlenken-zwingen-ukrainekonflikt-2/index.htm .

3 Olk, Julian. „Konjunktur: Vier Risiken, die aus einer leichten eine schwere Rezession machen könnten“. Handelsblatt, 12. Oktober 2022. https://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/konjunktur-vier-risiken-die-aus-einer-leichten-eine-schwere-rezession-machen-koennten/28742462.html .

4 Knitterscheidt, Kevin. „Maschinenbau: Gefahr der schleichenden Deindustrialisierung: Deutsche Industrie bestellt weniger Maschinen“. Handelsblatt, 10. Oktober 2022. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/maschinenbau-gefahr-der-schleichenden-deindustrialisierung-deutsche-industrie-bestellt-weniger-maschinen/28724274.html .

5 Marx, Uwe. „Maschinenbaugipfel: ‚Zehn verlorene Jahre‘“. FAZ.NET , 11. Oktober 2022. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/maschinenbau-zehn-verlorene-jahre-18379560.html

6 ingenieur.de - Jobbörse und Nachrichtenportal für Ingenieure. „Branchenprofil Maschinenbau in Deutschland: Stirbt der Klassiker aus? - ingenieur.de“, 5. April 2022. https://www.ingenieur.de/karriere/branchenprofile/maschinen-und-anlagenbau/ .

7 Merkur.de. „Das Gespenst der Deindustrialisierung“, 7. Oktober 2022. https://www.merkur.de/wirtschaft/das-gespenst-der-deindustrialisierung-zr-91835014.html .

8 IMF. „World Economic Outlook, October 2022: Countering the Cost-of-Living Crisis“, Oktober 2022. https://www.imf.org/en/Publications/WEO/Issues/2022/10/11/world-economic-outlook-october-2022 .

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10 Sabautzki, Willy. „Die chinesische Wirtschaftsbilanz 2021. Langjährige Wachstumskontinuität, Wachstumsrückgang und wirtschaftliche Erholung“. In Kulow, Karin/Sabautzki, Willy/Müller, Wolfang/Becker, Jonas (2022): CHINA und seine Rolle in einer multipolaren Weltordnung, isw München report 130. isw – sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V, 2022. https://www.isw-muenchen.de/produkt/report-130/ .

11 Global Times. „GT Voice: China injects most certainty into battered world economy, de GT Stimme: China gibt der angeschlagenen Weltwirtschaft die meiste Sicherheit“, 13. Oktober 2022. https://www.globaltimes.cn/page/202210/1277117.shtml .

12 Gourinchas, Pierre-Olivier. „‚Die Menschen hassen Inflation‘ - IWF-Chefökonom Pierre-Olivier Gourinchas sieht die Glaubwürdigkeit der Notenbanken in Gefahr. Seine Prognose für Deutschland mit seinem Geschäftsmodell fällt schlecht aus.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Oktober 2022.

13 Cordell, Jake. „Russia Ups Economic Forecasts, Says Growth to Return Sooner than Expected - Economy Minister“. Reuters, 6. September 2022, Abschn. European Markets. https://www.reuters.com/markets/europe/russian-economy-contract-29-2022-economy-minister-2022-09-06/ .

14 Lauterbach Reinhard, „Angebot aus Moskau. »Woche der russischen Energiewirtschaft«: Putin für Gaslieferungen in den Westen zu Marktpreisen. Strategiewechsel angekündigt.“, junge Welt 15.10.2022

15 Hülverscheidt, Claus. „Es geht deutlich nach unten. Der Währungsfonds IWF malt den Zustand der Weltwirtschaft in dunklen Farben. Besonders pessimistisch ist er für Deutschland. Nun kommt es darauf an, Staatspleiten in den ärmsten Ländern zu verhindern“. Süddeutsche Zeitung, 12. Oktober 2022.

16 Destatis Statistisches Bundesamt. „Inflationsrate im September 2022 bei +10,0 %, Pressemitteilung Nr. 438“, 13. Oktober 2022. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/10/PD22_438_611.html .

17 Destatis Pressemitteilung Nr. 441 vom 14. Oktober 2022 https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/10/PD22_441_61281.html

18 Beim Plunge Protection Team kurz PPT, handelt es sich um die Arbeitsgruppe des US-Präsidenten zu den Finanzmärkten. Sie wurde von Ronald Reagan als Reaktion auf den „schwarzen Montag“ vom 19. Oktober 1987 ins Leben gerufen. Der PPT gehören der US-Finanzminister (Vorsitz), der Vorsitzende des Aufsichtsrats der FED, sowie die Vorsitzenden der beiden amerikanischen Aufsichtsbehörden SEC und CFTC an. https://www.boerse.de/boersenlexikon/Plunge-Protection-Team-PPT


   
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