News aus Jinan im September

Jinan hebt ab

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Der neue Parteichef der Augsburger Schwesterstadt Jinan hat Augsburg besucht und nur einen Schwerpunkt gehabt: Wirtschaft! Nichts von Wachstumsschwäche und Krise, schon in der chinesischen Heimat nahm Wang Wentao kein Blatt vor den Mund. Von seiner Mir-san-mir-Mentalität können sich sogar Bayern etwas abschauen. Mit 2600 Jahren Geschichte schickt sich Jinan an, „seine Reputation als national oder sogar global anerkannte Metropole zu steigern“ – so Wang gegenüber der englischsprachigen China Daily. Und er legt noch einen drauf. Ein neuer „Central Business District“ (CBD) mit einem Finanzschwerpunkt soll zu einer Finanz- und Handelszone werden wie Lujiazui in Shanghai und Manhattan in New York. 450 Unternehmen hat der CBD-Entwicklungsplan schon angezogen. Aber auch ohne das neue Projekt kann Jinan protzen. Das Bruttosozialprodukt betrug im letzten Jahr 577,1 Milliarden Yuan (92,9 Milliarden US-Dollar), ein Anstieg von 8,8 % gegenüber 2013 und der Stadtentwicklungsplan will 2020 sogar die Billionengrenze (in Yuan) überschreiten.[1] 5,5 Millionen Menschen sollen dann im Stadtgebiet von Jinan wohnen.

Und da kommt Wang nach Augsburg und diskutiert am 26. September bei einem Arbeitsessen über einen Beitrag Augsburger Umweltfirmen? Die Erklärung ist einfach. Jinan zählt immer noch zu den zehn chinesischen Städten mit der schlechtesten Luft und China hat gerade einen ambitionierten Reformplan für den ökologischen Fortschritt vorgelegt, der China zu einer ökologischen Zivilisation machen soll. Mit diesem neuen Modernisierungsmodell soll sich die Menschheit in Harmonie mit der Natur entwickeln. Die Zivilgesellschaft und die Öffentlichkeit sollen eingebunden werden und den Prozess überwachen. Die Parteisekretäre aller Ebenen sind in Zukunft nicht nur für die Ökonomie, sondern auch für die Ökologie verantwortlich – und zur Verantwortung gezogen werden können sie auch noch nach Ausscheiden aus ihrem Amt. Jetzt stehen die Chancen also gut für Augsburgs Umweltfirmen.

In einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen vom 22. August 2015 hat Dr. Stefan Söhn von der MBL China Consulting GmbH einen ambitionierten Vorschlag gemacht - passend zu den Ambitionen Jinans. Schwindelerregend für Augsburger Verhältnisse: „Warum tut sich Augsburg nicht mit der chinesischen Partnerstadt Jinan zusammen? Mit staatlicher Unterstützung Bayerns und Chinas könnten Firmen aus unserer Region helfen, die Umweltsituation in der Industriemetropole mit 3,3 Millionen Einwohnern zu verbessern. So eine Aktion nach dem Motto ‚Wir helfen euch, Jinan sauber zu machen‘ könnte einen Vorbildcharakter für die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen haben.“

Jinan hat den Willen, die Kompetenz und das Potential, gemeinsam mit engagierten Partnern eine Vorzeige-Umweltstadt zu werden. Schade, wenn Augsburg nicht dabei wäre!

Augsburg und Jinan in einer Reihe: Parteisekretär Wang Wentao zwischen Dr. Rumberg vom Umweltcluster Bayern und Oberbürgermeister Dr. Gribl, flankiert von Dr. Söhn (MBL China Consulting) gemeinsam mit dem Wirtschaftsrepräsentanten der Provinz Shandong Hui Hongyu und einer hochrangigen Delegation aus Jinan u.a. mit dem Generalsekretär der KPCh Yang Feng und Wirtschaftsvertretern. Fürstenzimmer/Goldener Saal, Rathaus Augsburg, 26.9.2015 Foto: Lingbing Kong, Außenamt der Stadt Jinan

Die Städtepartnerschaft mit Jinan hat sich in den letzten Jahren immer stärker entwickelt. Nach anfänglichem Zögern ist auch Oberbürgermeister Dr. Gribl zur Hochform aufgelaufen. Sein Engagement verdient Beifall. Und seine grünen Koalitionspartner müssten eigentlich Hurra schreien bei den neuen Chancen auf ökologische Kooperation mit einer Partnerstadt. Der ökologische Entwicklungsplan Chinas[2] ist im Augsburger Umweltreferat aber sicher schon bekannt. Statt China-Bashing zu betreiben, sollten die Grünen vielleicht anerkennen, wie schwierig die Durchsetzung der hochgesteckten Ziele der chinesischen Regierung vor Ort ist. An den staatlichen Stellen und der Kommunistischen Partei liegt es dabei sicher nicht – falls nicht Korruption im Spiel ist. Aber da ist in Jinan ja den korrupten Funktionären mit der Verhaftung des früheren Parteichefs von Jinan Ende 2014 ein schwerer Schlag versetzt worden. Wie hart der Kampf gegen die nationale und internationale Umweltverschmutzungsmafia ist, zeigt ein Vorfall am 9. September in Jinan. Ein Inspektionsteam des Umweltministeriums, das mit Journalisten in Jinan zur Überprüfung der Luftverschmutzung unterwegs war, wurde von mehreren Angreifern überfallen und so verprügelt und schwer verletzt, dass einige im Krankenhaus u. a. wegen Nasenbeinbruch und Kopfverletzungen behandelt werden mussten. Handys und Kameras wurden geraubt. Der chinesische Umweltminister Chen Jining verlangte eine unnachsichtige Bestrafung und der Gouverneur der Provinz Shandong und der Parteichef von Jinan konnten bald die Verhaftung von neun Verdächtigen melden.

Zur weiteren Information über den Besuch aus Jinan: Wang Wentao ist 1964 in der Provinz Jiangsu geboren und war nach seinem Universitätsstudium als Instrukteur an der Shanghaier Akademie für Raumfahrttechnik tätig. Danach war er u. a. Stadtbürgermeister in einem Distrikt von Shanghai, Bürgermeister von Kunming und Parteichef von Nanchang. Er will jetzt in Jinan ambitionierte Pläne umsetzen und zeigt ganz im Gegensatz zu den Beschwörungen in unseren Medien keinerlei Ratlosigkeit.

Ach so, die Augsburger Allgemeine vom 22. August hat außer dem schon erwähnten bemerkenswerten Interview mit Stefan Söhn auch noch einen schwarzmalerischen Artikel von Felix Lee gebracht und den Schlagzeilenaufhänger für die ganze Seite „ Kippt jetzt die chinesische Wirtschaft?“. Die Argumentation ist in diesem Beitrag einfach: „Die Hardliner, die an einer mächtigen Staatswirtschaft festhalten wollen, sehen sich hingegen bestätigt, dass China nicht für mehr Liberalisierung bereit ist. Der Reformflügel der Partei ist massiv geschwächt.“ So simpel ist das für die AZ: Reform = Liberalisierung der Wirtschaft. „Diese mangelnde Reformbereitschaft stellt die eigentliche Gefahr für China und damit den Rest der Welt dar.“

Wir kennen diese Argumentation schon von der „Griechenland-Krise“, nur ist China nicht von der EU abhängig wie das kleine Griechenland und China zeigt keine Neigung, sich an schädlichen westlichen Vorschlägen zu orientieren. Das bisherige hemmungslose Wachstum in China hat zu schweren Umweltschäden geführt und deshalb gilt jetzt eine große ökologische Reform, die den Wachstumsfetischismus ablöst. Aber diese Reform passt nicht in die Vorstellungswelt der Liberalisierungsverherrlicher in den Wirtschaftsredaktionen. Übrigens ist die deutsche Wirtschaft bei weitem nicht so ideologisch eng wie viele Wirtschaftsredakteure. Audi sieht „langfristig eine Erfolgsgeschichte mit weiterem Wachstumspotential“ und Kuka spricht von „ einer stabilen Entwicklung“ und meint, das „Potential für Automatisierung sei in China riesig.“ Die einzigen, die langfristig wohl kein Potential mehr haben, sind Wirtschaftsanalytiker wie Felix Lee. – hbm

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1] Das wären dann rund 200 Milliarden Dollar und entspräche 175 Milliarden Euro. Zum Vergleich: das bayerische Bruttosozialprodukt liegt zur Zeit bei 522 Milliarden Euro.


   
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