Warum die USA und ihre Verbündeten die Isis brauchen

Unsere Leitmedien sind über die jüngsten Terroranschläge in London entsetzt. Dabei verschweigen sie unserer Bevölkerung, dass die USA und ihre Verbündeten seit vielen Jahren islamistische Terrorgruppen finanzieren, ausbilden, bewaffnen und, unterstützt von eigenen Spezialkräften, in fremde Staaten einschleusen. Damit wollen sie – wie gestern in Afghanistan und Libyen und heute in Syrien – einen regime change erzwingen.

Gerade in Ländern mit der religiösen und ethnischen Vielfalt Syriens „eignen“ sich die leicht manipulierbaren Fanatiker und Killer von ISIS und Al Kaida besonders gut dafür, eine Nation aufzubrechen, die einzelnen Volksgruppen in Panik auseinanderzutreiben und ein ins Visier genommes Land zu zerlegen.

Die Verbrechen von ISIS mögen abscheulich sein, so der Kolumnist Thomas L. Friedman in einem Leitartikel der New York Times vom 12. April 2017. Aber, so fragt er, sollen wir diese Terrororganisation in Syrien wirklich bekämpfen, wenn sie uns doch dort hilft, Assad von der Macht zu vertreiben und Russland, Iran, Hezbollah, vor allem aber die Syrer, die die Souveränität und Integrität ihres Landes verteidigen, zur Ader zu lassen. Nachfolgend sein vollständiger Text. Er zeigt, dass Völkerrecht und Achtung vor dem Leben anderer für Herrenmenschen seiner Art keine Rolle spielen.

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New York Times, 12.4.2017

Warum bekämpft Trump die ISIS in Syrien?

Thomas L. Friedman

Das außenpolitische Team Trumps diskutiert über alle Möglichkeiten, was als nächstes in Syrien zu tun ist – das Regime stürzen, die Hilfe für die Rebellen verstärken, auf jegliche erneuten Angriffe gegen unschuldige Zivilisten reagieren. Aber auf Nachfrage scheinen sich alle Mitglieder des Teams in einem Punkt einig zu sein: „ISIS zu besiegen“, so Außenminister Rex Tillerson.

Gut, lassen Sie mich mit einer einzigen Frage ihre Verwirrung noch erhöhen: Warum eigentlich?

Warum sollte es gerade jetzt unser Ziel sein, den Islamischen Staat in Syrien zu besiegen? Natürlich ist ISIS widerlich und muss ausradiert werden. Aber ist es tatsächlich in unserem Interesse, uns gerade jetzt nur darauf zu konzentrieren, ISIS in Syrien zu besiegen?

Lasst uns die Sache mit Logik angehen: Wir haben es mit zwei Formen der ISIS zu tun.

Die ein Form ist die „virtuelle ISIS“. Sie ist teuflisch, grausam und nicht greifbar. Sie verbreitet ihre Ideologie über das Internet. Sie hat Anhänger überall in Europa und in der muslimischen Welt. Meiner Meinung nach ist diese ISIS die größte Bedrohung für uns, weil sie Wege gefunden hat, sunnitische Jihad-Ideologie geschickt zu verbreiten. Diese Ideologie inspiriert und erlaubt es Muslimen von London, über Paris bis Kairo, die sich am Rande der Gesellschaft befinden und gedemütigt fühlen, durch aufsehenerregende Morde an Unschuldigen ihre Selbstwertgefühl wiederherzustellen.

Die andere Form ist die „territoriale ISIS“. Sie kontrolliert nach wie vor kleinere Teile im westlichen Irak und große Gebiete in Syrien. Ihr Ziel ist es, das Regime von Bashar al-Assad einschließlich seiner Verbündeten Russland, Iran und Hezbollah sowie das pro-iranische schiitische Regime im Irak zu besiegen und beide durch ein Kalifat zu ersetzen.

Herausforderung Nr. 1: Die virtuelle ISIS, die Verästelungen über die ganze Welt hat, wird auch dann nicht verschwinden, wenn die „territoriale ISIS“ besiegt ist. Ich glaube, die virtuelle ISIS wird sogar noch aktiver werden, um darüber hinwegzutäuschen, dass sie ihr territoriales Kalifat an ihre Erzfeinde verloren hat: den schiitischen Iran, Hezbollah, die pro-schiitischen Milizen im Irak, das pro-schiitische Assad-Regime in Damaskus und Russland, von Amerika ganz zu schweigen.

Herausforderung Nr. 2: Amerikas Ziel in Syrien ist es, genügend Druck auf Assad, Russland, Iran und Hezbollah zu erzeugen, so dass sie über ein Abkommen zur Machtteilung mit gemäßigten sunnitischen Muslimen verhandeln, durch das auch Assad von der Macht schleichend verdrängt wird. Eine Möglichkeit dazu wäre, dass die NATO eine Flugverbotszone rund um die Provinz Idlib einrichtet, wo sich viele der Anti-Assad Rebellen versammelt haben und wo Assad vor kurzem sein Giftgas auf Zivilisten abwarf. Aber der Kongress und die amerikanische Öffentlichkeit stehen dem eindeutig skeptisch gegenüber.

FSA rebels cleaning their AK47s in Aleppo, Syria during the civil war (19 October 2012). Foto: Public Domain Wikimedia Commons

Was also könnten wir sonst tun? Wir könnten unsere militärische Hilfe für die Anti-Assad-Rebellen dramatisch erhöhen, indem wir ihnen genügend Panzer- und Luftabwehrraketen geben, um damit die Hubschrauber und Flugzeuge der Russen, Iraner, der Hezbollah und Syriens zu bedrohen und sie bluten zu lassen, vielleicht soviel, dass sie mit dem Verhandeln beginnen wollen. Mir wäre das Recht.

Was noch? Wir könnten einfach den Kampf gegen die „territoriale ISIS“ in Syrien einstellen und dieses Problem allein dem Iran, Russland, Hezbollah und Assad überlassen. Schließlich sind sie es, deren Kräfte in Syrien überdehnt sind, nicht wir. Man sollte sie zu einem Zweifrontenkrieg zwingen – gegen die moderaten Rebellen auf der einen Seite und ISIS auf der anderen.

Wenn wir die in Syrien operierende ISIS jetzt besiegen, nehmen wir nur Druck von Assad, Iran, Russland und Hezbollah und ermöglichen ihnen, alle ihre Kräfte auf die Niederwerfung der letzten gemäßigten Rebellen in Idlib zu konzentrieren, anstatt die Macht mit ihnen zu teilen.

Ich kann es nicht verstehen. Präsident Trump bietet an, ISIS in Syrien ohne eine Gegenleistung zu besiegen – und dann die moderaten Anti-Assad Rebellen zu stärken. Warum? Wann hat Trump das letzte Mal irgendetwas umsonst getan? Wann hat Trump das letzte Mal über ein Grundstück verhandelt und sich dabei freiwillig bereit erklärt, ein Giftmüll-Depot aufzuräumen – ganz umsonst – noch bevor er mit dem Besitzer über den Preis des benachbarten Golfplatzes verhandelt hatte?

Jetzt ist es Zeit für Trump, Trump zu sein – vollkommen zynisch und unberechenbar. ISIS ist in diesem Augenblick die größte Bedrohung für Iran, Hezbollah, Russland und die pro-schiitischen iranischen Milizen, weil ISIS eine sunnitische Terrorgruppe ist, die genauso schmutzig vorgeht wie Iran und Russland. Trump sollte das Ziel haben, die ISIS im Irak zu besiegen. Aber in Syrien? Nicht ohne Gegenleistung und nicht jetzt. Trump sollte es ISIS erlauben, dem Iran, Hezbollah und Russland Kopfschmerzen zu bereiten – in der gleichen Weise wie wir die Mujahedin-Kämpfer ermutigt haben, von Russland in Afghanistan einen Blutzoll zu fordern.

Natürlich wollen wir ISIS langfristig überall niederwerfen. Aber der einzige Weg um ISIS niederzuwerfen und am Boden zu halten, besteht darin, dass wir gemäßigte Sunniten in Syrien und Irak haben, die in der Lage und willens sind, sie zu ersetzen. Und diese werden erst dann auftauchen, wenn es Vereinbarungen über eine wirkliche Machtteilung in Syrien und Irak gibt – und das wird nur passieren, wenn Assad, Russland, Iran und Hezbollah unter Druck stehen, die Macht zu teilen.

Und weil ich schon dabei bin: Wo ist Trumps Twitter, wenn wir ihn brauchen? Er sollte jeden Tag diese Meldung twittern: „Russland, Iran und Hezbollah sind zu Verteidigern des syrischen Regimes geworden, das Giftgas gegen Babys einsetzt! Babys! Russland, Iran, Hezbollah, Assad – ermöglichen den Einsatz von Giftgas. Traurig.“

Lasst sie nicht einfach so davonkommen! Wir müssen sie dazu zwingen zu dem zu stehen, was sie geworden sind – Helfer eines Syriens, das Giftgas gegen Kinder einsetzt. Ob ihr es glaubt oder nicht, sie werden es nicht mögen, dieses Etikett umgehängt zu bekommen. Trump muss seinen globalen Twitter feed strategisch einsetzen. Barack Obama hat diese Karte nie ausgespielt. Trump muss sie jeden Tag auf den Tisch knallen. Damit wird Druck erzeugt.

Syrien ist kein Kaffeekränzchen. Jeder spielt schmutzig, hinterhältig und gnadenlos. Wo ist dieser Trump, wenn wir ihn brauchen?

Thomas L. Friedman „Why is Trump fighting ISIS in Syria?“ New York Times, 12.4.2017

Übersetzung: Bernd Duschner

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